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Litauen: Papst betet im Ghetto, besucht KGB-Museum

Papst Franziskus hat in Vilnius an die schwere Last der jüngeren Geschichte Litauens erinnert. Er betete am Ort des jüdischen Ghettos, das vor genau 75 Jahren von der SS gewaltsam geräumt wurde, und gedachte der Schrecken der deutschen Besatzung und der sowjetischen Herrschaft.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Rudninku-Straße, mitten in der Altstadt von Wilna: Hier erinnert ein nüchterner Gedenkstein an das, was einmal eines der größten jüdischen Ghettos Litauens, ja Europas war. Lange bestand es nicht – nur von 1941 bis 1943. 95.000 Einwohner von Vilnius, also knapp die Hälfte aller Einwohner, waren Juden; am Ende der Nazizeit lebten nur einige tausende von ihnen.

Keine Reden am Ghetto-Eingang

 

Franziskus betete still am Eingang des früheren Ghettos, dann legte er gelbe Rosen am Gedenkstein nieder. Reden waren nicht vorgesehen, nur ein Moment der Stille in Anwesenheit der jüdischen Gemeinde und der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite. Schon bei seiner Messe in Kaunas am Vormittag hatte der Papst an den Termin erinnert und vor einem neuen Antisemitismus gewarnt.

Ebenfalls am Sonntagabend kam es zu einem weiteren „starken und symbolträchtigen Moment“ – mit diesen Worten hatte Vatikansprecher Greg Burke die Sache angekündigt. Franziskus besuchte das Museum der Besatzung und des Freiheitskampfes, auch „Museum der Opfer des Genozids“ genannt. Oder auch KGB-Museum – denn der sowjetische Geheimdienst hat die Örtlichkeiten, in denen vor ihm die Gestapo hauste, einfach weitergenutzt.

„Dein Schrei, Herr, verstummt nicht“

Der Papst besuchte zwei der etwa zwanzig unterirdischen Zellen des Gebäudes (die beiden Isolierzellen sind nur 60 Quadratzentimeter groß) und auch den Hinrichtungsraum; er zündete eine Kerze für die Opfer an. Mehr als tausend Menschen sollen in der KGB-Zeit in diesem Gebäude das Leben gelassen haben. Unter den Verstorbenen sind – daran hatte er kurz zuvor in der Kathedrale von Kaunas Priester und Ordensleute erinnert – viele christliche Märtyrer. Für einige von ihnen laufen Seligsprechungsprozesse.

In einer Ansprache am nahegelegenen Denkmal für die Opfer der Sowjetzeit griff Papst Franziskus den Schrei Jesu am Kreuz auf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,47). „Dein Schrei, Herr, verstummt nicht und hallt wider von diesen Wänden… In deinem Schrei, Herr, hallt der Schrei des Unschuldigen wider, der sich mit deiner Stimme vereint und zum Himmel schreit. Es ist der Karfreitag der Trauer und Bitterkeit, der Verzweiflung und Hilflosigkeit, der Grausamkeit und Sinnlosigkeit…“

Nicht taub werden für den Schrei der Menschen

Er bete darum, dass dieser Schrei noch heute gehört werde und „uns wachhalte“, sagte der Papst. „Möge dein Schrei, Herr, uns von der geistigen Krankheit befreien, vor der wir als Volk nie sicher sind: unsere Väter, das Erlebte und Erlittene zu vergessen… Herr, lass nicht zu, dass wir taub sind für den Schrei all jener, die auch heute immer noch zum Himmel schreien.“

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23. September 2018, 15:48