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...wenn das Weizenkorn nicht stirbt. ...wenn das Weizenkorn nicht stirbt. 

Unser Sonntag: Loslassen!

Am Passionssonntag geht es bei Christian Böck um das Leid. Er ist sicher: Viele Menschen finden Trost und Sinn im Blick auf Jesus, nicht auf den großen Meister, Lehrer und Wundertäter, sondern auf den am Kreuz. In ihm gibt Gott eine Antwort, nicht eine theoretische Erörterung.

Pfarrer Christian Böck

Direktor deutsches Pilgerzentrum, Rom 

Joh 12, 20-33 5. Fastensonntag, Lesejahr B


Liebe Schwestern und Brüder!
Der heutige Sonntag wird seit altersher Passionssonntag genannt. Immer deutlicher stellt uns die Kirche in ihrer Liturgie, in den Texten der Lesung und des Evangeliums das Leiden Jesu vor Augen.

Zum Nachhören

Es ist gut, an diesem Sonntag näher über sein Leiden und unsere Leiden nachzudenken. „Evangelium“, zu deutsch „frohe Botschaft“ kommt uns hierbei auf den ersten Blick sicherlich nicht in den Sinn, frohmachend ist es bestimmt nicht, eher einleuchtend, wenn Jesus sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein: wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht!“

„Wenn der Bauer ernten will, muss er das Weizenkorn aussäen, dem Acker anvertrauen.“

Jesus redet gerne mit Bildern aus der Landwirtschaft, denn landwirtschaftlichen Sachverstand brachten seine Zuhörer mit. Sie wussten aus eigener Erfahrung: Ein Weizenkorn kann nur Frucht bringen, wenn der Bauer es nicht festhält, ängstlich aufbewahrt, damit nur ja nichts dran kommt, es im letzten verdorren lassen. Wenn der Bauer ernten will, muss er es aussäen, dem Acker anvertrauen. Er muss es preisgeben. So, will Jesus sagen, ist es auch im menschlichen Leben: Wenn ein Mensch wachsen und reifen will, muss er dafür etwas, ja sich selbst immer wieder preisgeben, hingeben und loslassen.

Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium im Video

Wie fängt man einen Affen? 

In Indien wird erzählt, wie man einen Affen fängt: Man nehme eine leere Kokosnuss und mache ein Loch in die Schale, gerade groß genug, dass ein Affe seine Pfote hindurchschieben kann. Dann gebe man etwas Reis in die Kokosnuss und befestige sie an einem Baum. Der Affe greift nach dem Reis, dadurch wird seine Pfote so groß, dass er sie nicht mehr herausziehen kann. Weil der Affe den Reis um jeden Preis festhält, ist er gefangen. Nur wer loslassen kann, Schwestern und Brüder, hat Hände frei und neues erlangen zu können.

Nur wer loslassen kann, ist frei

Das ganze menschliche Leben ist ein ständiges Loslassen, um weiterzukommen, ein Abschied um zu Neuem aufzubrechen. Damit der Mensch überhaupt das Licht der Welt erblicken kann, muss er den schützenden, bergenden Mutterschoß verlassen. Jahre später verlässt er oder sie das Elternhaus, um den Kindergarten und die Schule zu besuchen. Dann der Auszug aus dem Elternhaus, egal um eine Partnerschaft einzugehen oder alleinstehend zu bleiben, der Mensch muss sich von seinen Eltern abnabeln und lernen, auf den eigenen Füßen zu stehen und selbständig Entscheidungen zu treffen und zu verantworten. Dass Loslassenkönnen, Schwestern und Brüder, zu einer reifen, gesunden Persönlichkeit ganz wesentlich dazu gehört, will uns Jesus mit dem Weizenkorn erklären und dieser Vergleich trifft auch sein Leben.

„Er wird zu einem neuen, unzerstörbaren Leben auferstehen“

Jesus nimmt ihn her, um anzudeuten, was mit ihm geschehen wird. Er will sagen, dass er sterben wird, aber aus seinem toten Leib wird etwas Neues, etwas Unglaubliches entstehen: Er wird zu einem neuen, unzerstörbaren Leben auferstehen. Jeder Vergleich hinkt, sagen wir. Das Weizenkorn ist zwar nicht tot, es enthält Leben. Dieses Leben muss nur geweckt werden. Aber es ist ein seelenloses Leben, es hat keinen Verstand und kein Gefühl. Jesus, der sich mit dem Weizenkorn vergleicht, ist Mensch - Gottes Sohn und Mensch zugleich.

Auch Jesus hatte Angst

Er war ein sehr empfindsamer Mensch. Er hatte Angst vor dem Leiden. Die Evangelisten berichten von der erschütternden Szene am Ölberg. Jesus hat sein ganzes irdisches Leben, sein Leiden und Sterben gleichsam einüben müssen: die Enttäuschungen über die Menschen, die ihn nicht verstanden - seine Jünger eingeschlossen -, die Nachstellungen seiner Gegner, das Scheitern seiner Pläne. Er hat die Tiefen menschlichen Lebens durchschritten. Seine Bitte an den Vater, er möge ihn von diesem Leiden und Sterben verschonen, ist zutiefst menschlich.

Protest gegen das Leid

Aber er hat sich in den Willen des Vaters ergeben, im unerschütterlichen Vertrauen, dass der Vater ihn nicht im Tode lassen wird. Was bedeutet das für uns, Schwestern und Brüder? Gibt uns der Glaube an seine Auferstehung auch Kraft und Zuversicht im eigenen Leid? Der Protest gegen das Leid ist vielleicht unser stärkster innerer Widerspruch und unüberhörbar unser Fragen: Wie kann Gott das zulassen, wenn er der „liebe Gott“ ist? Das Leid unschuldiger Menschen, das Leiden von Kindern, das Unglück der Armen? Wo ist Gott angesichts der schreienden Ungerechtigkeiten in der Welt, der Kriege, des Terrors, des Hungers von Millionen von Menschen? Warum müssen immer wieder die Guten leiden?

„Warum geht es denen gut, die sich um Gott und Kirche nicht kümmern?“

Warum geht es denen gut, die sich um Gott und Kirche nicht kümmern? Sicherlich bedrücken auch uns diese uralten Fragen der Menschheit. Die Frage nach dem Leid, nach dem Bösen in der Welt gehört zu den schwersten Prüfungen des Glaubens. Nicht wenige sind darüber an Gott irre geworden. Viel Leid fügen die Menschen sich selber zu. Viel Leid könnte vermieden werden. Viel Leid könnte behoben werden. Aber es bleibt ein Rest, für den niemand verantwortlich gemacht werden kann: Naturkatastrophen, Krankheit, Sterben und Tod. Warum das Leid? Ich meine, Schwestern und Brüder, darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Im letzten muss darauf jeder in seiner Situation seine eigene Antwort, seinen eigenen Sinn suchen - eine Frage, die ein ganzes Leben brennen kann.

Im Leid: Bitte Com-passione: Mitleid

Ich fände es nicht nur hochmütig, sogar dumm und herablassend, einem leidenden Menschen seine eigenen Fragen und Anfragen leichtfertig und formelhaft zu beantworten.
Was ich aber weiß ist, dass viele Menschen Trost und Sinn fanden, im Blick auf Jesus, nicht auf den großen Meister, Lehrer und Wundertäter, sondern auf den am Kreuz. In ihm gibt Gott eine Antwort, nicht eine theoretische Erörterung. Gott gibt sie im Leben, im Leiden und Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi. In ihm hat Gott selber das Leid der Menschen geteilt, ist ein Mitleidender im wahrsten Sinne des Wortes geworden. Com-passione bedeutet im Italienischen „Mitleid“. In seinem Sohn Jesus solidarisiert Gott sich mit dem Leid der Menschen, dem Leid der Unschuldigen - Jesus, der Unschuldigste von allen.

„In Jesus stellt Gott sich auf die Seite der Leidenden“

Es ist eine Erniedrigung Gottes, wie sie tiefer nicht gehen kann: der Anfang des Lebens Jesu im Stall, das Ende am Kreuz, zwischen Krippe und Galgen eingespannt. In Jesus stellt Gott sich auf die Seite der Leidenden, derer, die nichts zu lachen haben im Leben oder denen es vergangen ist. An diesen Jesus glauben heißt, sich selbst in diesem Jesus wieder finden, in. seiner Verzweiflung und in seiner Zuversicht, in seinem Karfreitag und Ostern. Das ist es auch, Schwestern und Brüder, was wir in diesen beiden Wochen vor dem Osterfest bedenken sollen, besonders auch im Hinschauen auf unser eigenes Leben.

Ostern ist die Antwort Gottes auf Karfreitag

Viele unserer Fragen werden verhüllt und abgedunkelt bleiben, genauso wie die Kreuze in der Kirche ab dem heutigen Passionssonntag verhängt werden. Erst am Karfreitag wird der Blick auf den Gekreuzigten wieder frei sein, der Vorhang des undurchdringlichen Fragens zerrissen sein. Ostern ist die Antwort Gottes auf den Karfreitag - das fruchtbare, ausgesäte, losgelassene Weizenkorn gibt Jesus uns als Bild dafür mit auf den Weg in diese Tage. AMEN

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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16. März 2024, 12:06