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Demonstration gegen Rechtsextremismus am Mittwochabend in Berlin Demonstration gegen Rechtsextremismus am Mittwochabend in Berlin  (AFP or licensors)

Erzbischof Heße: Nicht auf Abschottung setzen

Ein Strategietreffen von Rechtsradikalen bewegt seit Tagen Deutschland. Dabei soll es um eine sogenannte „Remigration“ gegangen sein, also die massenhafte Abschiebung und Umsiedlung von Ausländern, aber auch Deutschen mit Migrationshintergrund. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, hat sich in den sozialen Medien scharf gegen diese Pläne positioniert. Im Interview mit Radio Vatikan verdeutlichte er seine Sorgen.

Von Wenzel Widenka - Vatikanstadt

Heße hatte sich in einem Post auf der Plattform X entsetzt über das Gedankengut gezeigt, dass bei dem Treffen deutlich wurde. Eigentlich sei „Remigration“ ein sozialwissenschaftlicher Begriff. Er bezeichne die Rückkehr von Menschen in ihr Herkunftsland nach einem gewissen Lebensabschnitt im Ausland.

Allerdings hätten Rechtsextreme und AfD-Politiker diesen Begriff vereinnahmt und aus dem Kontext gerissen. Damit werde er zu einem rechtsextremen Kampfbegriff. Er werde von Gruppen wie der „Identitären Bewegung“ in Zusammenhang mit Abschiebung und Vertreibung genutzt. Auch die AfD benutze den Begriff. Er stehe bereits im Programm zur Bundestagswahl 2021. Es gehe um eine „nationale und supranationale Migrationsagenda“.

„Für mich ist das Netzwerk alarmierend, das offenbar dahintersteht“

„Diese Agenda ist bei der AfD nicht neu, aber jetzt haben wir diese Correctiv-Recherche, die veröffentlicht worden ist und die zeigt, welch bedrohliches Ausmaß die Verbreitung solch rechtsextremer Vertreibungspläne in Deutschland mittlerweile erreicht hat,“ so der Erzbischof. „Für mich ist auch das Netzwerk aus ganz verschiedenen Gruppierungen alarmierend, das offenbar dahintersteht. Aus dem aktuellen Diskurs in Deutschland wird sichtbar: Die Erfolge der AfD und ihre menschenverachtende Agenda sind für meine Begriffe eine große Gefahr für die Demokratie in unserem Land. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, klare Grenzen zur AfD zu ziehen, und ihr demokratiefeindliches ideologisches Denken genau zu markieren.“

Hier das ganze Interview zum Nachhören

Nicht den Rechten in die Hände spielen

Heße betonte im Gespräch mit Radio Vatikan, dass die katholische Kirche deshalb in der Migration und Flüchtlingspolitik nicht auf Abschreckung und Abschottung setzen dürfe. Das spiele nur den Rechten in die Hände. Natürlich brauche es ein Regelwerk und geordnete Verfahren für den Umgang mit Flucht und Asyl. Der Flüchtlingsschutz dürfe aber nicht geschwächt werden. Verantwortung für die Flüchtlinge dürfe nicht ausgelagert oder abgegeben werden. Im Zentrum stehe die Menschenwürde, die gewahrt werden müsse. Dabei ist es für Heße selbstverständlich, dass es hierfür eine gesamteuropäische Lösung brauche.

„Kein Land allein kann diese großen Herausforderungen für sich bewältigen, sondern das wird nur in einem großen Miteinander gehen. Statt auf Abschreckung oder Abschottung oder einseitig auf Abschiebung zu setzen brauchen wir einen Raum des Schutzes und der Solidarität. Das steht in der großen christlichen Tradition Europas“, so Heße.

Würde jedes Menschen verteidigen

Er befürchtet, dass mit dem Begriff „Remigration“ nun versucht werde, die Deportation von Millionen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte salonfähig zu machen. Das Wort sei gerade auch zum sogenannten „Unwort des Jahres“ gewählt worden. Die Jury habe bei ihrer Begründung ausdrücklich auf die Gefahr dieser Normalisierungsversuche hingewiesen.

Die AfD zeige sich gerne bürgerlich und konservativ. Doch hätten die Enthüllungen gezeigt, dass ihr Gedankengut nationalistisch und auch völkisch geprägt sei. „Wenn ich zum Beispiel darin lese, dass es Ideen zur Deportation in sogenannte 'nordafrikanische Musterstaaten' gibt, dann erinnert mich das an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Da müssen wir uns als Staatsbürger, aber erst recht auch als Kirche, eindeutig entgegenstellen, und zwar mit aller Entschiedenheit! Maßstab für uns ist die Verteidigung der Würde eines jeden einzelnen Menschen.“

Erzbischof Heße
Erzbischof Heße

Er erwarte weitere Enthüllungen. Das Treffen in Potsdam sei nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Darunter lauere noch mehr.

Demokratie funktioniert

Das Thema Flucht und Migration bewegt viele Menschen. Für Heße ist es wichtig, dass die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst genommen und nicht übergangen werden. Diese Sorgen hätten ihre Berechtigung. Ihm sei es aber wichtig, dass immer wieder auf das Wesentliche hingewiesen werde: Dass der Schutz für Menschen, die vor Gewalt und Elend fliehen, nicht eingestellt werden dürfe. Das Leid der Menschen dürfe niemals aus dem Blick geraten. Es müssten menschenwürdige Antworten gefunden werden. Diese sollten durchaus pragmatisch sein.

Man habe in Deutschland schon viel erreicht. Man könne auf bereits existierende Strukturen zurückgreifen, die aus der Flucht-Zuwanderung von 2015 und 2016 stammen. 2022 habe die Katholische Kirche fast 95 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe aufgewendet. Zwei Drittel davon gingen in internationale Projekte. Das bedeute, dass die Kirche versuche, an den Fluchtursachen anzusetzen. Zudem seien fast 40.000 Ehrenamtliche und über 5000 Hauptamtliche damit beschäftigt, sich für schutzsuchende Menschen in Deutschland einzusetzen. Das sei eine große Leistung.

„Nüchtern und sachlich bleiben“

Momentan gehen zahlreiche Menschen in Deutschland auf die Straße. Verschiedene Anliegen treffen aufeinander. Heße ist deshalb aber nicht beunruhigt.

„Ich kann nur hoffen, dass wir nüchtern und sachlich bleiben. Ich finde bemerkenswert, dass die Menschen ihren politischen Sinn so entfalten und auch für ihre Rechte auf die Straße gehen und dafür demonstrieren. Das ist ein Zeichen, dass unsere Demokratie funktioniert,“ lobt Heße. „Ich hoffe, dass die einen die anderen nicht für ihre eigenen Belange verzwecken, sondern dass wir bei dem bleiben, was jetzt für uns im Raum zur Debatte steht.“

(vatican news)

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18. Januar 2024, 14:47