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Jesus und der Gesetzeslehrer Jesus und der Gesetzeslehrer 

Unser Sonntag: Das Gebot der Liebe

Dekan Susak geht davon aus, dass die Kirche im weltweiten Erneuerungsprozess des synodalen Weges die Liebe in den Herzen der Menschen wieder ins Bewusstsein rufen muss. Dann werde sich vieles Erneuern!

Dekan Pfarrer Kurt B. Susak, Kath. Kirchgemeinde Davos

30. Sonntag im Jahreskreis A

EvangeliumMt 22, 34–40

Das heutige Evangelium präsentiert uns eine der ganz zentralen Aussagen Jesu, die er selbst mit einem Schlußsatz nochmals bekräftigt. «An diesen beiden Geboten hängt alles! »

Zum Nachhören

Nach den drei Gleichnissen, mit denen Jesus den religiösen und gesellschaftlichen Eliten gleichsam einen Spiegel ihrer Selbstgerechtigkeit vorgehalten hatte, um ihnen zu zeigen, wie weit sie letztlich von dem entfernt waren, was Gott wirklich wollte, antworten ihm diese mit drei Gegenattacken.

Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium im Video

Am liebsten würden sie Jesus sofort beseitigen, aber viele im Volk bewundern Jesus und ein direktes Vorgehen würde ihn zum Märtyrer machen. Das müssen sie unbedingt verhindern. Also wollen sie ihn in den Augen der Leute lächerlich machen und versuchen ihn in Widersprüche zu verwickeln und damit in eine Falle zu locken. Eine altbekannte Strategie bis heute.

„Worst-Case-Szenario für die Tempelhierarchie: Als das Volk das hörte, geriet es ausser sich vor Staunen über seine Lehre“

Letzte Woche haben wir die erste Attacke gehört. Diese Woche hören wir gleich die dritte.
Der zweite Angriff auf Jesu Vollmacht durch die Sadduzäer wird in der aktuellen Leseordnung A übersprungen. Diese Schriftstelle wird am Sonntag der 32. Woche im Lesejahr C vorgetragen.
Jesus hatte eben diese Attacke der Sadduzäer, die ihn mit einer Frage nach der Auferstehung in die Falle locken wollten, wiederum gekonnt abgewehrt.
Dann hiess es: «Als das Volk das hörte, geriet es ausser sich vor Staunen über seine Lehre. » Das war das Schlimmste für die Tempel-Hierarchie was passieren konnte. Sozusagen das Worst-Case-Szenario.

Jesus lehrt mit Autorität

Denn anstatt Jesus vor den Leuten lächerlich zu machen, staunt das Volk immer mehr über seine Lehre, die ganz anders, ganz neu ist als die der religiösen Eliten. Jesus lehrt mit Kraft und Autorität. Während das Volk über Jesus staunt und sich wahrscheinlich auch über ihn freut – denn sie begreifen, dass etwas Neues heranbricht - bleiben die religiösen Eliten stur und überlegen, wie sie Jesus endgültig zum Schweigen bringen können. Es geht schliesslich um die alttestamentliche Ordnung, um ihre schwindende Autorität und um den Selbsterhalt der Eliten. Bis heute!

Pharisäer und Sadduzäer verbünden sich...

Die Pharisäer, wie wir es am letzten Sonntag gehört haben, stellten Jesus die «Steuer-Frage» die er wiederum mit dem uns bekannten Wort: «Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und gebt Gott was Gott gehört» treffsicher abgewehrt hat.
Wiederum ist es interessant, dass sich die Pharisäer jetzt mit den Sadduzäern verbünden. Denn eigentlich standen sich Pharisäer und Sadduzäer feindlich gegenüber, weil auch die Sadduzäer – genauso wie die Hohepriesterschaft – mit den Römern kollaboriert haben. Den Sadduzäern ging es vor allem um wirtschaftliche Interessen, da sie für den Tempelschatz verantwortlich waren. Aber jetzt, um gegen Jesus vorzugehen, überwinden sie vorübergehend ihre Feindschaft und verbünden sich. Zwei gegen einen! Ein ebenso bekanntes Muster.

...und schicken einen Gesetzeslehrer

Nachdem sie nun selbst erfahren mussten, wie gekonnt Jesus ihre heuchlerische Strategie abgewehrt hat, fahren sie jetzt ein schärferes Geschütz auf. Sie schicken einen erfahrenen Gesetzeslehrer. Den wird Jesus wohl nicht aushebeln können, denken sie, denn dieser kennt sich – als Experte – im mosaischen Gesetz bestens aus.
So nähert sich jetzt der Gesetzeslehrer Jesus mit der Frage: «Meister, welches Gebot im Gesetz ist das Wichtigste?» Natürlich ist es wiederum keine Frage nach der Wahrheit, keine Interessensfrage, sondern eine Prüfungsfrage, denn der Gesetzeslehrer geht ja davon aus, dass er – Jesus – selber ganz genau weiss, was das wichtigste Gebot ist.

613 Regeln der alttetamentlichen Lehre

Zum besseren Verständnis: Nach der alttestamentlichen Lehre gab es im Gesetz des Mose genau 365 Verbote und 248 Gebote, also 613 Regeln, an die man sich halten musste. Als das wichtigste Gebot galt das Sabbatgebot. Denn nach den Gesetzestafeln des Mose, so wie diese im Buch Exodus überliefert sind, wurde das Sabbatgebot mit dem siebenten Schöpfungstag begründet, an dem Gott selber geruht hat. «Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der HERR den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt.» (Exodus 20,11)

„Natürlich wusste der Gesetzeslehrer, über den wir keine näheren Angaben finden, dass Jesus das Sabbatgebot mehrfach gebrochen hatte“

Es hiess damals, wer das Sabbatgebot hält, hält das ganze Gesetz. Wer das Sabbatgebot aber gebrochen hat, hat das ganze Gesetz gebrochen.
Natürlich wusste der Gesetzeslehrer, über den wir keine näheren Angaben finden, dass Jesus das Sabbatgebot mehrfach gebrochen hatte. Wir erinnern uns an das provokante Wort Jesu: «Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat».
Auch deswegen war die Elite so wütend auf ihn. Wir lesen im Kapitel 12, dass der Beschluss durch die Pharisäer, Jesus zu töten, genau auch deshalb gefasst wurde. Dort wird nämlich berichtet, dass Jesus am Sabbat einen Mann geheilt hat. Und: Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen. (Matthäus 12,14)

„Jesus lässt die Einleitung weg, das «Schm‘a Israel Höre Israel».“

Welches also ist nun das wichtigste Gebot im Gesetz? Wiederum verblüfft Jesus mit seiner Antwort. Denn er nennt überhaupt kein Gebot aus den Gesetzestafeln des Mose, sondern er nennt das Glaubensbekenntnis, das alle Juden zweimal am Tag zu beten hatten, das Schm‘a Israel – Höre Israel:
«Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinem Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot.» Es findet sich ursprünglich im Buch Deuteronomium im sechsten Kapitel. «Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.» (Deuteronomium 6,4-5) Und hier bemerken wir zwei wichtige Unterschiede: Jesus lässt die Einleitung weg, das «Schm‘a Israel Höre Israel».

Jesu Botschaft richtet sich an alle Menschen

Denn die Botschaft Jesu vom anbrechenden Gottesreich, richtet sich nun nicht mehr nur an Israel oder an die Juden, sondern an alle Menschen. Dies schliesse Israel und die Juden mit ein. «Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt», so das Wort Jesu im vorangegangenen Gleichnis. Das neue Gebot gilt nun für alle Völker. Das Gottesreich, der neue und ewige Bund, bricht an, das Gott in seinem Sohn errichtet. Wir erinnern uns an das Gleichnis der Hochzeit des Königs, der schliesslich alle einlädt, bis hinaus an die Grenzen und Ränder.

Das Denken ganz auf Gott ausrichten

Der zweite Unterschied findet sich dann am Ende dieses Abschnitts – dort, wo es im Original heisst: «Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft», - da sagt Jesus neu, dass man ihn mit dem ganzen Denken lieben soll. Dazu muss man verstehen, dass mit dem hebräischen Begriff der Kraft auch alle materiellen Güter verstanden wurden.
Das heisst also, Jesus lehrt neu, dass man Gott nicht damit ehren soll, dass man ihm Güter bringt – also materielle Güter aufopfert – sondern den ganzen Verstand, das ganze Denken, das ganze Sein auf ihn hin ausrichtet. Das ganze Denken, der ganze Verstand soll in einer erneuerten Leben- u. Glaubenshaltung auf Gott hin ausgerichtet sein. Gott hat den ersten Platz. Es geht Jesus hier um die «metanoia» eines neuen Bewusstseins der lebendigen und liebenden Gottesbeziehung im neuen Bund.

Das Gebot der Liebe

So folgt dann auch der zweite Teil, in dem Jesus noch ein Zitat aus dem Buch Levitikus hinzufügt wenn er sagt: «Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.»
Im Buch Levitikus sind mit dem Begriff des Nächsten zunächst einmal nur die Mitglieder des eigenen Volkes gemeint. Auch die Selbstliebe wurde damals noch anders verstanden. Mit dem «selbst» damals war gemeint: das eigene Fleisch und Blut, d.h. die Angehörigen der eigenen Familie, der eigenen Gruppe. Bedeutsam ist nun aber, dass Jesus an die Stelle des Ritualgesetzes – das den Juden damals als das Wichtigste galt – das Gebot der Liebe setzt. Jesus macht deutlich: «An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.»

Die Gegner Jesu sind zum Schweigen gebracht

Das Gesetz der Gottes- und Nächsten- u. Selbstliebe ist also das wichtigste Lebens- u. Glaubensgesetz und alles, was sich sonst in den Heiligen Schriften findet, ist wie ein Kommentar dazu.
Alle Gegner Jesu sind jetzt endgültig zum Schweigen gebracht. Es wird von keiner Reaktion des Gesetzeslehrers berichtet und auch von den anderen, die Jesus attackiert haben und in eine Falle locken wollten, ist nichts mehr zu hören. Jesus wird aber nun, wenige Tage vor seinem Tod und seiner Auferstehung, in den grossen Wehe-Rufen – die auch als Trauerklage verstanden werden können – über die gottvergessenen Menschen und religiösen Führer klagen, die in ihrer Selbstgerechtigkeit gar nicht bemerken, wie weit sie letztlich von Gott entfernt sind.
Trotzdem werden auch all diese Menschen, über die Jesus klagt, nicht aus seiner Liebe ausgeschlossen. Gott bietet seine Liebe allen Menschen an.

Kirche: wahre Reform von Innen

Er braucht zuallererst aber und unwiderruflich das offene, liebende Herz und die Bereitschaft zu empfangen. Wenn dieser erste Schritt im Herzen, im Sein eines Menschen getan ist, wird ihm alles Weitere dazugegeben.

«Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.»
Wenn es der Kirche in unserer Zeit gelingt - die sich momentan in einem weltweiten Erneuerungsprozess des synodalen Weges befindet - diese Liebe in den Herzen der Menschen wieder ins Bewusstsein zu rufen und in ihrer Sendung in den Mittelpunkt zu stellen, dann wird sich vieles Erneuern! Dann rücken viele Fragen, Meinungen, Wünsche, Ideen, Spaltungen und Ideologien in den Hintergrund. Wahre Reform, wahre Erneuerung muss von Innen, vom Herzen kommen. Die wahre Liebe zu Gott, wie sie Jesus uns heute im wichtigsten Gebot ans Herz legt, mag der erste und vielleicht wichtigste Schritt zur Erneuerung sein.


(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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28. Oktober 2023, 11:00