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Das heilige Evangelium Das heilige Evangelium  

Unser Sonntag: Absage an Inkohärenz

In dieser ersten Betrachtung fragt Dekan Kurt Benedikt Susak, wozu kirchliche Hierarchie dient. Seiner Meinung nach verkaufte die damalige Tempelaristokratie das Heilige, daher gelangen Zöllner und Dirnen auch eher in das Himmelreich.

Dekan Pfarrer Kurt B. Susak, Kath. Kirchgemeinde Davos

26. Sonntag im Jahreskreis A

Evangelium Mt 21, 28–32


Später reute es ihn und er ging hinaus. – Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.

Zum Nachhören

Die einen sind vielleicht unüberlegte „Ja-Sager“, die immer schnell zustimmen, aber dann doch nicht einhalten, wozu sie vollmundig ja gesagt haben. Und die anderen sind vielleicht diejenigen, die im ersten Moment spontan „Nein“ sagen, offenbar, weil sie keine Lust haben oder die Mühe scheuen, es sich dann aber überlegen, umdenken, und doch dabei sind.

Das habe ich selbst einmal genauso - wie im Evangelium heute - bei zwei Ministranten erlebt. Wir brauchten zu einer festlichen Abendmesse unter der Woche noch zwei Weihrauchministranten. Ich fragte zwei. Der eine sagte spontan «Ja», kam dann aber nicht. Der andere sagte wohl eher «nein», war dann aber kurz vor der Festmesse da.
Wer hier die Ehre der Ministranten gerettet hat ist offenkundig.

Konfrontation zwischen Jesus und der Tempelaristokratie

Nach dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, dem wir letzte Woche begegnen durften, hören wir heute ein weiteres Gleichnis, in denen der Weinberg eine gewisse Rolle spielt. Die Leseordnung der Kirche hat mittlerweile einiges übersprungen und so befinden wir uns heute in einem ganz anderen Kontext.
Wir erinnern uns noch einmal kurz an die Evangelien der letzten Sonntage. Da hatte sich Jesus an seine Jünger gewannt, die fragten, was sie denn letztlich davon haben, dass sie alles verlassen hatten und ihm nachgefolgt sind. Schliesslich haben sie erkennen müssen, dass im Reich Gottes ganz andere Kategorien vorherrschen, dass dort nämlich die ersten die letzten und die letzten die ersten sein können. Heute aber wendet sich Jesus nicht an seinen Jünger-Kreis, sondern direkt an die Hohepriester und die ältesten des Volkes.

„Mit der Tempelreinigung traf Jesus den wohl empfindlichsten Nerv der damaligen religiösen Wirklichkeit: nämlich ihren wirtschaftlichen Aspekt“

Wir befinden uns also inmitten der Konfrontation zwischen Jesus und der Tempelaristokratie, in den Tagen der Karwoche zwischen Palmsonntag und Karfreitag. Was war inzwischen geschehen: Jesus war in Jerusalem eingezogen und hat in grosser Erwartung den Tempel betreten. Er war sichtlich darüber erschüttert was er dort sehen musste und entsetzt, dass dieses – Haus seines Vaters – zu einer Räuberhöhle verkommen ist.
Jesus hat – in einer mächtigen Geste – die Händler und die Kaufleute aus dem Tempel hinausgetrieben, die Tische der Geldwechsler umgestossen und damit den wohl empfindlichsten Nerv der damaligen religiösen Wirklichkeit getroffen, nämlich ihren wirtschaftlichen Aspekt!

In welcher Vollmacht tust du das alles? 

Was denken Sie, was damals bei Parisäern, Sadduzäern und Schriftgelehrten los war? Und das ruft jetzt die Eliten, die Autoritäten des Tempels auf den Plan, die ihn zur Rede stellen und fragen: In welcher Vollmacht tust du das alles?
Jesus antwortet nicht direkt, sondern stellt eine Gegenfrage. Nämlich:
Woher stammt die Taufe des Johannes? Vom Himmel oder von den Menschen. Die Hohepriester und Ältesten trauen sich jedoch nicht zu antworten, weil jede Antwort für sie ungünstig wäre. Würden sie sagen vom Himmel, dann könnte Jesus fragen: warum habt ihr Johannes dann nicht geglaubt? Würden sie sagen von den Menschen, dann haben sie die aufgebrachte Menschenmenge gegen sich, die Johannes den Täufer ja für einen grossen Propheten hält.
Also ziehen sie es vor nicht zu antworten und sagen: wir wissen es nicht.

„Es geht dem damaligen religiösen Establishment nicht primär um die Wahrheit“

Wir sehen, dass es keinen Sinn gehabt hätte, wenn Jesus hier eine Antwort gegeben hätte. Denn sie wollen die Wahrheit letztlich gar nicht wissen. Es geht dem damaligen religiösen Establishment nicht primär um die Wahrheit – es geht ihnen um den Selbsterhalt. Sie stellen keine Frage nach der Wahrheit. Sie stellen vielmehr die Wahrheit in Frage.
Das, was wir heute im Gleichnis von den ungleichen Söhnen gehört haben – und darum habe ich den weiteren Kontext zu den vorangegangenen Perikopen hergestellt, ist die unmittelbare Fortsetzung dieses Konflikts, die am Montag der Karwoche stattfindet. Kurz vor Jesu Leiden und Sterben.
Jesus begegnet den religiösen Autoritäten des Tempels nun mit einer Reihe von Gleichnissen, die wir an den kommenden Sonntagen hören werden. Es ist der Versuch Jesu, die Vertreter des Hauses Israels vielleicht doch noch zum Nachdenken anzuregen und zur Umkehr bewegen zu können. Er beginnt das Gleichnis mit einer Frage: Was meint ihr?

Jesus bindet die Hörenden mit ein

Das ist typisch für Jesus. Er bindet die Hörenden mit ein um selber nachzudenken. Er präsentiert nicht einfach eine fertige Geschichte. Sondern er fragt: was meint ihr?
So erzählt Jesus das heutige Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen, vom Vater der beide mit dem anrührenden Wort «mein Kind» bittet, heute im Weinberg zu arbeiten.
Der erste Sohn sagt «nein» ich will nicht. Später aber reut es ihn und er geht doch. Der zweite Sohn sagt schnell «ja, Herr», geht aber nicht. Wer von den beiden hat nun den Willen seines Vaters erfüllt? Die Antwort ist offensichtlich und sogar die Hohepriester und Ältesten geben sie richtig wieder, wenn sie sagen «der erste».
Das Gleichnis ist sehr kurz und prägnant, wie beim Evangelisten Matthäus oft üblich. Matthäus schmückt seine Texte nicht sonderlich aus. Er reduziert sie auf das Wesentliche. Und doch enthält gerade diese kurze Schriftperikope viele Feinheiten die sich lohnen tiefer betrachtet zu werden. 

Innerliche Umkehr des einen Sohnes...

So wählt Matthäus in Bezug auf die innere Wandlung des ersten Sohnes den griechischen Begriff metaméllomai, was so viel wie «reuen» bedeutet. Dieses Wort ist im Gleichnis gewissermassen ein Schlüsselwort, das sich aus dem Wort metà = mit, nach, bei und mélo = kümmern, besorgt sein, daran liegen zusammensetzt. Dem ersten Sohn liegt etwas daran, dass er die Bitte des Vaters mit nein erwidert hat. Im Nachdenken kommt der Sohn in einer inneren Beleuchtung der Situation zum Entschluss, sein nein noch einmal zu überdenken. Er kehrt innerlich um und trifft eine neue Entscheidung. Er denkt nach, er besinnt sich, er kümmert sich im Herzen um seine Haltung und ist im Innersten bewegt, sein Verhalten zu korrigieren. Er bereut, kehrt um und vollzieht eine innere Wende hin zum Vater, die der zweite Sohn vermissen lässt. Aus seinem schnell hergesagten ich Herr – ego kyrie – Ja, Herr – folgen keine Konsequenzen.

„Und darum geht es Jesus letztlich: Das Verlorene wiederzufinden und den Menschen zurückzuführen in die liebende und lebendige Beziehung mit dem Vater“

Das Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen erinnert stark an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Und darum geht es Jesus letztlich: Das Verlorene wiederzufinden und den Menschen zurückzuführen in die liebende und lebendige Beziehung mit dem Vater. Dass diese Gottesbeziehung im Tempel nicht präsent ist, macht diesen zu einer Räuberhöhle.
Weil Jesus die Selbstgerechtigkeit, ja die Heuchelei, der Hohepriester und Ältesten des Volkes erkennt, greift er nun zu einem harten Vergleich.
«Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr».
Jesus stellt den Hohepriestern und Ältesten jetzt also die Zöllner und die Dirnen gegenüber, um diesen Eliten des Tempels einen Spiegel vor Augen zu halten. Wer sind denn nun diese Zöllner und Dirnen?

Hohepriester und Älteste verkaufen das Heilige

Die Zöllner bereichern sich unrechtmässig an ihren Landsleuten. Die Dirnen verkaufen das, was man eigentlich nicht verkaufen darf, nämlich ihren Körper.
Genau das machen die Hohepriester und die Ältesten im Tempel. Sie bereichern sich an ihren Volksgenossen und sie verkaufen das, was unverkäuflich ist, nämlich das Heilige. Eigentlich sind sie schlimmer als die Zöllner und schlimmer als die Prostituierten. Die Zöllner und die Dirnen wissen wenigstens, dass das, was sie tun, nicht richtig ist. Es bedrückt sie. Aber weil sie wissen, dass das, was sie tun, nicht recht ist, lassen sie sich von der Predigt Johannes des Täufers berühren und sie haben die Möglichkeit umzukehren. Die Tempelhierarchie dagegen glaubt, dass sie im Recht ist, dass sie gerecht sind, und deshalb kann es nicht zur Umkehr kommen.

Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes

Darum kommen Zöllner und Dirnen eher in das Reich Gottes als diese Leute, die sich selbstgerecht als gut vor Gott halten. Umkehren kann nur der, der sich seiner Fehler und Sünden bewusst ist. Wer sich selbst für perfekt und vollendet hält, der ist zu diesem inneren Schritt nicht fähig. Und so präsentiert sich das religiöse Establishment geradezu als eine negative Mixtur der beiden ungleichen Söhne. Das Evangelium endet folgerichtig mit dem Wort Jesu: Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und nicht geglaubt.

„Wozu dient die kirchliche Hierarchie letztlich? Dem Selbsterhalt oder der Ehre Gottes?“

Dieses Gleichnis von den ungleichen Söhnen ist eine Anfrage Jesu an das Volk des neuen Bundes heute, die Kirche. Worum geht es uns? Wozu dient die kirchliche Hierarchie letztlich? Dem Selbsterhalt oder der Ehre Gottes? Und wir, die Getauften? Stellen wir uns noch die Frage nach der Wahrheit, dem Willen Gottes in unserem Lebens- u. Glaubensalltag? Oder stellen wir vielmehr die Wahrheit Gottes in Frage? Verwirklichen wir den Zeitgeist oder den Geist Gottes im kirchlichen und liturgischen Tun? Der Weinberg ist Bild für das Gottesvolk, die Kirche heute.

Was hat Bestand, damit der Glaube Herzen berührt?

Wenn in diesen Tagen der weltweite synodale Prozess beginnt, dann ringt die kirchliche Hierarchie zusammen mit dem Gottesvolk genau um diese Fragen. Was hat künftig Bestand, damit der Glaube Herzen berührt? Was ist die Grundhaltung im synodalen Prozess? Bin ich wirklich bereit - im Sinne Jesu - im Weinberg der Kirche mitzuarbeiten, oder geht es mir um Selbstverwirklichung meiner Ideen? Sage ich schnell einmal Ja ohne Konsequenzen? Oder wird aus meinem vielleicht anfänglichen Nein in einem Prozess innerer Wandlung doch noch ein Ja?

Innere Beleuchtung der Situation der Kirche

Wenn uns etwas daran liegt, der Bitte des Vaters (Gottes) nachzukommen, bedürfen auch wir der Grundhaltung des ersten Sohnes. In einer inneren Beleuchtung der Situation der Kirche. Er kehrt innerlich um und trifft eine neue Entscheidung. Er denkt nach, er besinnt sich, er kümmert sich im Herzen um seine Haltung und ist im Innersten bewegt, sein Verhalten zu korrigieren. Er bereut, kehrt um und vollzieht eine innere Wende hin zum Willen des Vaters.
Wenn wir dies als Gottesvolk wirklich tun, dann kann und muss der weltweite synodale Prozess gelingen. Und wenn nicht?
In einer Predigt in der Basilika St. Paul vor den Mauern sagte Papst Franziskus dazu:

Absage an Inkohärenz

Erinnern wir uns alle gut daran: Man kann das Evangelium Jesu nicht ohne das konkrete Lebenszeugnis verkünden. Wer uns hört und uns sieht, muss in unserem Tun das lesen können, was er aus unserem Mund hört, und Gott die Ehre geben! Da kommt mir jetzt ein Rat in den Sinn, den der heilige Franziskus von Assisi seinen Mitbrüdern gab: „Verkündet das Evangelium und, sollte es nötig sein, auch mit Worten!“

Verkünden mit dem Leben: Zeugnis geben. Die Inkohärenz der Gläubigen und der Hirten zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie tun, zwischen dem Wort und der Lebensweise untergräbt die Glaubwürdigkeit der Kirche.


(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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30. September 2023, 09:10