Suche

Migranten aus dem Sub-Sahara-Raum kampieren in der Nähe des IOM-Hauptquartiers in Tunis Migranten aus dem Sub-Sahara-Raum kampieren in der Nähe des IOM-Hauptquartiers in Tunis  (ANSA)

D: Menschenwürde – universal und unverfügbar?

Wieviele Flüchtlinge kann, muss, soll Europa aufnehmen? Und welche konkret? Diese Fragen stehen ständig auf der politischen Tagesordnung. Der Blick auf den einzelnen, von Krieg, Verfolgung, Hunger betroffenen Menschen geht dabei mitunter verloren. Wir sprachen mit dem katholischen Ethiker und Theologen Herbert Rommel.

Michael Hermann - Vatikanstadt

Im politischen Diskurs sind immer prominentere Stimmen zu hören, die eine Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl und stattdessen lediglich eine so genannte „Institutionsgarantie“ fordern. Dabei ist diese politische Debatte stark juristisch und auch migrationssoziologisch gefärbt. Eine andere Frage ist jedoch, wie dies ethisch zu bewerten ist. Verlangt die Menschenwürde, dass jedem verfolgten Menschen auch ein Recht auf Asyl zusteht?

Mit dem Thema Menschenwürde beschäftigt sich der im oberschwäbischen Weingarten lehrende Ethiker und katholische Theologe Professor Herbert Rommel. Er sagt, dass auch im philosophischen Diskurs Menschenwürde als individuelle, unverfügbare Größe zunehmend unter Druck gerate. Dies habe vor allem mit der sozialen Schere zwischen Arm und Reich zu tun, die beständig größer werde.

„Und durch diese soziale Schere wird vor allem die Menschenwürde angetastet. Dadurch werden die Armen geradezu sozial ermordet. Es gibt aber auch einen philosophischen Druck, dem die Menschenwürde ausgesetzt ist. Es ist dieses Konzept, das die Menschenwürde unter Druck setzt. Danach könnte es sein, dass es Menschen gibt, die ohne Menschenwürde leben müssen.“

 

Hier können Sie den Beitrag anhören

„Dadurch werden die Armen geradezu sozial ermordet“

In seinem 2020 erschienenen Buch „Globale Verteidigung der Menschenwürde“ setzt sich Herbert Rommel mit dem im philosophischen Diskurs und faktisch unter Druck geratenen Konzept der Menschenwürde auseinander. Was sind die Gründe dafür, dass ein Konzept, das so lange getragen hat, nun hörbar in Frage gestellt wird?

„Ein Hauptgrund ist sicher die Begründungsfrage selbst. Nicht wenige Philosophinnen und Philosophen gehen heute davon aus, dass man absolute Werte nicht mehr begründen könne. Solche Werte würden Begründungsformen voraussetzen, die über unsere Alltagserfahrungen hinausgehen. Viel einfacher sei es, Werte im Ausgang von unseren tatsächlichen Erfahrungen zu begründen. Ob allerdings unsere Werterfahrungen immer nur wieder mit anderen Werterfahrungen zu begründen sind, das ist meines Erachtens sehr fraglich. Wenn wir Werte erklären wollen, müssen wir manchmal über das rein Sinnliche hinausgehen.“

Philosophen sind sich uneins

Die Frage der unabdingbaren Menschenwürde taucht sowohl in der Philosophie als auch in der Theologie auf. Der Diskurs verlaufe hier aber nicht parallel: „In den christlichen Theologien wird die Gottebenbildlichkeit des Menschen als der Grund gesehen, durch den die Menschenwürde nochmals weitergehend begründet ist. Insofern reden die Schöpfungserzählungen davon, dass Gott dem Menschen einen unverfügbaren Wert eingestiftet hat. Und dieser Wert ist dem Menschen vorgegeben. Er selbst kann ihn also nicht bilden. Und insofern kann man dann sagen, dass die Gottebenbildlichkeit christlich als ein absoluter Wert zu verstehen ist.“

Vergleichbares findet man in allen monotheistischen Religionen, sagt Herbert Rommel:

„Der Menschen ist von Gott erschaffen ist. Gott ist es, der jeden einzelnen Menschen einen Wert eingestiftet hat. Diesem Wert kommt ein absoluter Status zu. Sowohl in rabbinischen Schriften als auch im Koran heißt es, dass ein Mensch so viel Wert sei wie die gesamte Welt, beziehungsweise die gesamte Menschheit. Dieser Wert des Menschen ist also nicht nur ein absoluter Wert, sondern er ist ein absoluter Höchstwert.“

„Dieser Wert des Menschen ist also nicht nur ein absoluter Wert, sondern er ist ein absoluter Höchstwert“

Den aktuellen Diskurs um Menschenwürde und dessen praktische Implikationen beobachtet Herbert Rommel mit großer Sorge: „Und die Frage ist natürlich: Wenn der Menschenwürdewert relativiert wird, ob dann dem Menschen dann überhaupt noch ein absoluter Status zukommt, ob sozusagen eine Verantwortung gibt, den Menschen in einem absoluten Sinne zu achten bzw. in anzuerkennen.“

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

18. Juli 2023, 15:10