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Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 1870  von Jörg Ernesti Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 1870 von Jörg Ernesti 

Buchtipp: Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 1870

Päpste stehen für Frieden ein – diese Aussage dürfte kaum ein Zeitgenosse in Frage stellen. Doch das war nicht immer so. Wie sich die Friedenspolitik der Päpste in der Neuzeit entwickelt hat, vertieft der Augsburger Historiker Jörg Ernesti in seinem Buch „Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 1870“. Wir haben mit ihm über sein Werk gesprochen.

Jörg Ernesti (Priester und Professor für MIttlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg): „Meine Grundthese ist, dass 1870 mit dem Verlust des alten Kirchenstaates, eines Territorialstaates, eine neue Entwicklung einsetzt, die bis in die Gegenwart fortwirkt. In Italien entsteht für das Papsttum die Chance, sich international neu aufzustellen.

Leo XIII. (1878-1903) ist im Grunde genommen der Papst, der diese Chance ganz klar erkennt, indem er den Heiligen Stuhl als internationalen Vermittler profiliert und indem er humanitäre Aktivitäten des Heiligen Stuhls initiiert - wie etwa der Kampf gegen die Sklaverei, die es damals immer noch in Afrika gab - und indem er die Souveränität des Heiligen Stuhls auch ohne größeres Territorium festhält.

Und diese Prioritäten, flankiert durch das Grundprinzip der Überparteilichkeit, das also durchgehalten wird in der vatikanischen Außenpolitik, wird durchdekliniert von den folgenden Päpsten des 20. Jahrhunderts bis hin zu Papst Franziskus. Jeder Papst trägt letztlich zu dieser Linie der vatikanischen Außenpolitik, der Friedensvermittlung und Friedensuche, etwas Charakteristisches bei.“

Hier das Gespräch mit Prof. Ernesti zum Nachhören

„Wie viele Divisionen hat der Papst?“

Radio Vatikan: Ihr Buch heißt Friedensmacht. Was macht den Vatikan, den Papst, so mächtig in der Friedensdiplomatie?

Ernesti: „Stalin hat dieses berühmte Wort geprägt: ,Wie viele Divisionen hat der Papst?‘, damit wollte er im Grunde genommen den Heiligen Stuhl lächerlich machen. Der Papst hat in der Tat keine Macht, also keine äußerliche Macht, keine Druckmittel, kein wirtschaftliches Gewicht. Er hat keine große Armee und er kann Konfliktparteien nicht an den Verhandlungstisch zwingen. Von dem hergesehen, was er mitbringt, ist er nicht ernst zu nehmen. Aber wie Paul VI. gesagt hat: Die Kirche ist Expertin für alle menschlichen Fragen. Die Kirche hat großes moralisches Gewicht. Das Papsttum versteht sich gewissermaßen in einer Rolle als moralisches Gewissen der Menschheit. Und dieses Gewicht wird eigentlich recht effektiv in der Weltpolitik ausgespielt.“

Moralisches Gewissen der Menschheit

Radio Vatikan: Inwieweit muss man sagen, dass Papst Franziskus diese Tradition seiner Vorgänger aufgenommen hat?

Ernesti: „Wir finden jetzt an seiner Seite als Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, einen Spitzendiplomaten und wirklich erfahrenen Außenpolitiker, der diese Tradition fortschreibt. Und wir können bei Papst Franziskus schon beobachten, dass für ihn die Überparteilichkeit eine zentrale Rolle spielt. In internationalen Konflikten ergreift er nicht Partei für die eine oder andere Seite. Das ist Voraussetzung dafür, dass man überhaupt erst effektiv in Friedensvermittlung einsteigen kann, also Vermittlungen anstoßen kann.

Das ist zum Beispiel 2016 geglückt, als der Heilige Stuhl eine Wiederannäherung zwischen Kuba und den USA erreicht hat. Auf sehr diskretem Wege hat der Heilige Stuhl da seine guten Dienste angeboten, damit es zu dieser Wiederaufnahme von Kontakten kam. Die Überparteilichkeit spielt dabei eine große Rolle, auch wenn sie nicht mit Neutralität verwechselt werden darf. Papst Franziskus behält sich durchaus vor, auch Kriegsunrecht, also Unrecht, das von einer Konfliktpartei ausgeht, zu verurteilen, wie er das jetzt im Ukrainekrieg auch mit zunehmender Deutlichkeit getan hat. Der Papst hofft aber nach wie vor, auch als Friedensvermittler im Ukrainekonflikt ins Spiel zu kommen.

„Nicht immer nur Negativschlagzeilen produzieren und wahrnehmen“

Radio Vatikan: Und wie kamen Sie denn eigentlich auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Wieso haben gerade Sie genau dieses Buch geschrieben?

Ernesti: „Wissen Sie, ich bin Wissenschaftler und befasse mich als Wissenschaftler mit diesen Fragen des Papsttums und der Entwicklung der päpstlichen Außenpolitik. Zugleich habe ich versucht, auch für ein breiteres Publikum zu schreiben.

Im Grunde genommen spüre ich ja auch als Priester und als Professor stark den Gegenwind, den die Kirche in Deutschland so erfährt. Und ich persönlich denke, da muss man doch auch das Positive sehen, was es in der Gegenwart gibt. Und diese positiven Kräfte in politischer Hinsicht gehen vom Papsttum aus. Das große Zeugnis, das Papst Franziskus in der Verteidigung der Migranten gibt, das er im islamisch-christlichen Dialog gibt und indem er eine gemeinsame Verpflichtung dieser beiden Religionen für den Weltfrieden feststellt.

Also, im Grunde genommen habe ich dieses Buch auch geschrieben, um auf andere Gedanken zu kommen und meine Leser auf positive Gedanken zu bringen, also nicht immer nur Negativschlagzeilen zu produzieren und wahrzunehmen.“

Das Buch Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870 von Jörg Ernesti ist bei Herder erschienen und kostet in der gebundenen Ausgabe 34 Euro.

(vatican news - cs)

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06. Februar 2023, 09:23