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Frohe und gnadenreiche Weihnachten! Frohe und gnadenreiche Weihnachten!  

Unser Sonntag:"Hast du dir ihn größer vorgestellt?"

Pater Stefan Geiger meint, dass Gott in unsere Situation der gestörten Beziehung hinein, in Jesus Christus nun erneut das Schöpfungswort gesprochen hat und den Dialog eröffnet hat… Durch und mit uns wird dieses Wort die Welt verändern, wird es Frieden, Versöhnung, Vertrauen geben – Nicht weil wir es geplant haben, sondern weil wir alle aus Seiner Fülle Gnade über Gnade empfangen haben.

Stefan Geiger, OSB

Weihnachtsbetrachtung

Joh 1, 1-14

Der Lyriker Rainer Maria Rilke hat um Weihnachten 1912 einen Gedichtzyklus über das Leben Mariens verfasst und widmet ein Gedicht der Geburt ihres Kindes. Wir kennen die Hintergründe der Geburt: Maria wird vom Engel Gabriel die Geburt des Erlösers vorausgesagt. Sie weiß, dass ihr Kind etwas Besonderes sein wird, sie weiß, dass ihr Kind göttlichen Ursprungs ist. Sie weiß auch, dass dieses Kind nicht ihr gehören wird, dass es größer sein wird als sie. Der Dichter Rilke stellt nun an Maria angesichts des Kindes in der Krippe die Frage: „Hast du dir ihn größer vorgestellt?“

Hier zum Nachhören

Es ist eine Frage, die wohl an uns alle gerichtet ist: „Hast du dir ihn größer vorgestellt?“ Gott kommt zur Welt, der Gott, der diese Welt erschaffen hat. Er kommt – als kleines Kind, wehrlos und hilflos; in einem armen Stall, ungeschützt und unwohnlich; in einem kleinen Dorf, unbekannt und unbedeutend. Angesichts dieser Tatsache richtet sich die Frage Rilkes auch an uns: „Hast du, habe ich ihn mir größer vorgestellt?“ Muss Gott nicht kraftvoll und stark daherkommen? Muss ich von Gott nicht erwarten dürfen, dass er in diese oft so ungerechte Welt Gerechtigkeit bringt, Frieden in die Kriege und Versöhnung in den Streit? – Würde er das alles nicht machen können oder wollen, dann wäre er kein guter Gott. Dann bräuchten wir nicht auf Gott zu warten, geschweige denn seine Ankunft zu feiern oder herbeizusehnen. Aber angesichts des Kindes in der Krippe wird nicht nur den damaligen Menschen, sondern auch uns der Zweifel aufkeimen, ob dieses Kind wirklich Gott sein kann, ob es die Welt befreien, retten und erlösen kann. „Haben wir ihn uns größer vorgestellt?“

Die Frage nach Gott

Die Frage nach der Größe ist letztlich die Frage nach Gott. Eine Frage, mit der sich auch das eben gehörte Evangelium beschäftigt. Die Stelle ist der Anfang, das Eingangstor zum Johannesevangelium. Dieser Beginn stellt die Frage nach der Identität dessen, von dem das Evangelium, also die frohe Botschaft, handelt. In der weihnachtlichen Festmesse hat dieses Evangelium seit ältester Überlieferung seinen festen Platz. Vielleicht verwundert uns das. Auf jeden Fall schafft es eine ganz eigene Atmosphäre, die wohl gar nicht so recht zu Weihnachten passen mag. Keine Krippe, keine Hirten und keine Schafe. Der Prolog atmet etwas Erhebendes, zuweilen auch etwas Geheimnisvolles, Tiefes. Das Evangelium ist quasi die Ausführung dessen, was in der ersten Lesung der Prophet Jesaja fordert: nämlich die Stimme zu erheben, ein Jubellied zu singen auf den ankommenden Friedenskönig, der das Heil bringt.

Ein zentraler Gedanke des Johannesprologs ist die Rede vom Wort:

Ohne dass es im Evangelium gesagt wird, wissen wir, dass mit diesem Wort Christus gemeint ist. Das Wort war im Anfang, es war bei Gott und hat Leben geschaffen. Dieses Wort umgreift unsere gesamte Geschichte, es reicht von der Schöpfung bis an das Ende der Zeiten. „Gott sprach: es werde…und es ward“ – Schöpfung geschieht durch das Wort, weil Gott spricht. Aber die eigentliche Schöpfung geschieht, nachdem die gesamte Welt erschaffen ist. Die eigentliche Schöpfung geschieht mit dem ersten Dialog, der in der Bibel stattfindet, denn da schafft Gott Beziehung. Dort heißt es: „und Gott sprach zu ihnen“ (Gen 1,28), nämlich zum Menschen.

„Gott tritt mit dem Menschen – und nur mit dem Menschen – in einen Dialog“

Gott tritt mit dem Menschen – und nur mit dem Menschen – in einen Dialog; und Gott ist es, der diesen Dialog eröffnet, der es dem Menschen möglich macht, zu sprechen und zu antworten. Sprache, Dialog, Kommunikation – das hat mit Beziehung zu tun. Mit jemandem zu sprechen heißt, mit ihm in Beziehung zu treten. Es bedeutet, sich zu öffnen und sich der Reaktion des anderen auszuliefern. Im Sprechen teilen wir uns selbst mit, im Aussprechen wird sichtbar und hörbar, wer wir sind. In einer Kommunikation der Liebe, wie sie von Gott am Anfang geschehen ist, gibt sich der Sprechende ganz in den anderen hinein.

Ein liebender Dialog

Ein liebender Dialog kennt keine Angst und kein Misstrauen, was denn der andere denken könnte, wie ich meine Worte abzuwägen habe, was ich besser verschweigen sollte. Und doch spüren wir diese andere Realität tagtäglich: dass in unseren Beziehungen, in unserem Sprechen und Urteilen das Misstrauen und die Angst vorherrschen, dass wir dem anderen nicht vorbehaltlos und hunderprozentig trauen und vertrauen können. In diese Situation der gestörten Beziehung hinein hat Gott in Jesus Christus nun erneut das Schöpfungswort gesprochen, er hat erneut den Dialog mit uns eröffnet. In Christus hat Gott unsere Beziehungen geheilt.

„Das Kind in der Krippe ist dieses fleischgewordene Liebeswort“

Je tiefer eine Beziehung, eine Liebe ist, desto weniger Worte bedarf sie. Liebende Menschen sprechen durch ihr Sein, sie müssen nicht mehr viele Worte machen. Das Kind in der Krippe ist dieses fleischgewordene Liebeswort: Ein kleines Kind, ein Säugling, der noch unfähig zum Sprechen ist, der keine Worte bilden kann – dieses Kind ist das wirkmächtige Wort, in dem das Leben ist und durch den alles Leben geschaffen wird.

Und in diesem kleinen Kind, in diesem Liebeswort Gottes an uns, wird uns vor Augen geführt, dass wir Abbild Gottes sind, seine Schöpfung. Wir sind nicht selbst Gott, nicht wir können schaffen, tun und die Welt verändern. Und wir müssen es auch nicht! Vor dem Kind in der Krippe werden unsere Vorstellungen zerstört, die wir uns so von Gott machen. Das, was wir meinen, das Gott tun müsste, um diese Welt gerechter, friedvoller und besser zu machen, entpuppt sich als unsere kleine menschliche Vorstellung. Wir hätten gerne einen Gott, der so handelt, wie wir es wollen. Und ohne es zu merken, haben wir die Beziehung zu Gott abgeschnitten. Unser Gespräch ist zu einem Monolog geworden, der angebetete Gott sind wir selber, die wir uns an die Stelle Gottes gesetzt haben.

„Gottes Handeln ist immer überraschend, unerwartet und zuweilen auch unbequem“

„Hast du dir ihn größer vorgestellt?“ Vielleicht müssen wir die Frage umdrehen: „Hast du dir ihn kleiner vorgestellt oder gar kleiner gewünscht, erwartet und erhofft?“, nämlich so, dass wir ihn im Griff haben, ihn manipulieren können; einen kleinen Gott, der unsere Wünsche und Vorstellungen ausführt, der unserem Verstand fassbar ist. „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5), so schreibt der Evangelist Johannes. Dieses Licht, nämlich Gott, ist nicht zu fassen. Gottes Handeln ist immer überraschend, unerwartet und zuweilen auch unbequem. Aber gerade dieses Unerwartete ist der weihnachtliche Trost für uns: weil wir wissen, dass Gott der Schöpfer und wir die Geschöpfe sind, wissen wir auch, dass nicht wir Gott sind: wir sind nicht alleine dafür verantwortlich, dass diese Welt eine bessere wird; nicht unsere Pläne, Gedanken und unsere Möglichkeiten entscheiden über das Heil der Welt.

Die Welt ist von Gott getragen

Diese gesamte Welt ist getragen vom liebenden Wort seines Schöpfers: er hat diese Welt erschaffen, er liebt diese seine oft so entstellte Schöpfung und er hat diese seine gute Schöpfung erlöst. In dieser Gewissheit, getragen vom liebenden Wort Gottes, können wir diese Liebe in die Welt hineinsprechen, durch unser Leben konkret werden lassen und so zu Freudenboten Gottes werden. Durch und mit uns wird dieses Wort die Welt verändern, wird sich in unserer kleinen Welt Frieden und Versöhnung, Vertrauen und Vergeben, Sinn und Glück einstellen. Nicht weil wir es geplant haben, sondern weil wir alle aus seiner Fülle Gnade über Gnade empfangen haben (vgl. Joh 1,15). Das kleine Christuskind in der Krippe ist Gottes Weihnachtsgeschenk an uns.

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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24. Dezember 2022, 09:37