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Unser Sonntag: Tauet Himmel, den Gerechten

Die Menschen, so Pater Stefan Geiger, sehnen sich nach dem offenen Tor, sie sehnen sich, in den Himmel einzugehen. Wir erkennen das Ziel unseres Glaubens: die Beziehung mit Gott. Aber Beziehung ist nie einseitig, Beziehung braucht den anderen. Beziehung ist gewissermaßen der Inhalt des Wartens und damit auch der Inhalt des Advents.

Stefan Geiger, OSB

Mt 1, 18-24

4. Adventsonntag

Für viele ältere Generationen war die Tradition des Rorate-Amtes prägend. Nämlich die Gottesdienste im Advent, die frühmorgens stattfanden und zu denen man aufgrund der Dunkelheit oft mit Kerzen unterwegs war. An diese Erfahrung des morgendlichen Gangs, begleitet meist von den Eltern, durch den knirschenden Schnee, oft in eisiger Kälte, wohl noch die Müdigkeit in den Gliedern spürend, um dann die Erfahrung des warmen Lichts der Kerze zu machen, erinnern sich auch viele Schriftsteller und Künstler.

Hier zum Nachhören

Das Christentum ist eine sinnliche Religion, gerade in der adventlichen und weihnachtlichen Zeit besinnt man sich auf dieses wärmende „Gefühl“, das mit dem Brauchtum und der vielfältigen rituellen Ausgestaltung dieser Zeit zu tun hat. Die Jahreszeit begünstigt dabei, dass in der früher viel deutlich spürbaren Widrigkeit das Licht, die Wärme und die Nähe zu einer echten Sehnsucht wurden.

UNSER SONNTAG mit Pater Stefan Geiger OSB I Sonntag - 18.12.22

Adventliche Sehnsucht

Das alles sind Zeichen für die wirkliche adventliche Sehnsucht nach dem Heiland. Auch die Bibel bedient sich dieser bildhaften Sprache. Besonders die Propheten konnten dem Volk Israel mit Bildern der Fruchtbarkeit das verheißene Heil anschaulich machen, inmitten der Landschaft des Nahen Ostens, die sowohl durch die Wüste geprägt ist, als auch durch die blühende Pracht im fruchtbaren Halbmond. So bezieht sich die Rorate auf den biblischen Vers beim Propheten Jesaja: „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen.“ (Jes 45,8) Am 4. Adventsonntag ist der Introitus-Vers traditionellerweise dieser Bibelstelle entlehnt. Wir stehen kurz vor Weihnachten, der Ruf bekräftigt erneut die Sehnsucht nach dem Heiland.

Kurzformel der Weihnachtsbotschaft

Das uns vertraute Lied nimmt den biblischen Hoffnungsruf auf. Mehr noch, das Lied bietet uns eine Kurzfassung der Weihnachtsbotschaft, eine Kurzformel der Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen. Die so eingängige wie zu Herzen gehende Melodie nimmt uns ganz in die Dynamik der Menschwerdung hinein. Gottes Kommen in die Welt ist Bewegung, es ist nicht nur etwas von oben Kommendes, sondern die Erde, wir selbst werden hineingenommen in dieses Geschehen.

Für uns Menschen...

„Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ So beten wir im Großen Glaubensbekenntnis und genau dieses Bekenntnis spiegelt sich in dem Lied, genauso wie in der Melodie wider. Das Lied ist uns in verschiedensten Fassungen erhalten, deshalb finden wir es zwar nicht im Stammteil des GL, wohl aber in allen Eigenteilen. Da die ursprüngliche Melodie des Herrenchiemseer Augustiner-Chorherrn Norbert Hauner sehr anspruchsvoll und wohl eher für den Chor gedacht war, gab es verschiedenste Bearbeitungen, u.a. auch von Michael Haydn.

1. Strophe: Verheißung der Beziehung mit Gott

Die erste Strophe nimmt den prophetischen Ruf des Jesaja auf. Wir werden im mehr oder weniger tiefen Winter wohl nicht so sehr an den Morgentau und erfrischenden Regen denken. Aber das Volk Israel, in all seiner Hoffnung auf Befreiung, erflehte sich den Messias, dessen Macht sich auf der Erde ausbreitet und sich wie der Tau flächendeckend auf die Erde legt. Die oft so langersehnten Wolken mit dem Regen ermöglichen Fruchtbarkeit, blühende Landschaften. Trockene Wüste konnten erblühen, aus einem unwirtlichen Ort wurde ein Ort des Lebens. Wiederum finden wir das Motiv des Tores, das verschlossen bleiben soll, bis der Heiland aus ihm hervortritt. Damit ist das Tor des Paradieses gemeint, welches verschlossen wurde, nachdem die ersten Menschen ihre Beziehung zu Gott verloren hatten.

...und zum Himmel einzugehen!

Die Hoffnung aber richtet sich darauf, dass der Heiland dieses Tor wieder öffnet. Prophetische Botschaft ist Botschaft der Hoffnung, kein leeres Versprechen: Tauet Himmel – „Rief das Volk in bangen Nächten, dem Gott die Verheißung gab, einst den Mittler selbst zu sehen und im Himmel einzugehen.“ Diese bangen Nächte wecken die Sehnsucht für das Licht. Und schon hier deutet sich eine Bewegung an. Die Menschen sehnen sich nach dem offenen Tor, sie sehnen sich, in den Himmel einzugehen. Nicht nur wird Gott angefleht, er möge auf die Erde kommen, auch die Menschen erheben sich zu ihm hin, wollen zu ihm kommen. Wir erkennen das Ziel unseres Glaubens: die Beziehung mit Gott. Aber Beziehung ist nie einseitig, Beziehung braucht den anderen. Beziehung ist gewissermaßen der Inhalt des Wartens und damit auch der Inhalt des Advents. Wenn wir auf jemanden warten, bauen wir schon im Warten eine Beziehung zu ihm auf. Wir stellen uns vor, wie es denn sei, wenn diese Person dann ankommt, wenn sie da ist. Unser Warten, unsere Hoffnung richtet sich auf jemand. Sie richtet sich auf Gott. Das Geheimnis der Menschwerdung ist Beziehung – Gott wird Mensch, damit wir mit ihm in eine Beziehung eintreten können.

 

2. Strophe: Die Antwort des Menschen

Die zweite Strophe bringt dieses Geschehen mit zugegebenermaßen sehr menschlichen Worten, aber mit einer tiefen Innigkeit zur Sprache: „Voll Erbarmen hört das Flehen Gott auf hohem Himmelsthron; Alle Menschen sollen sehen Gottes Heil in seinem Sohn.“ Das Flehen der Menschen dringt zu Gott, Gott hört die Menschen. Auch das gehört zur Beziehung: Hören und Antworten. Gott reagiert: „Gottes Engel eilt hernieder, kehrt mit dieser Antwort wieder: ‚Sieh ich bin des Herren Magd, mir gescheh wie du gesagt!‘“ Hier wird das Evangelium vom 4. Adventsonntag aufgenommen.

„Gott hört die Menschen, Gott respektiert die Menschen. Er tritt in ihre Welt ein.“

Und nun sind wir endgültig in diesem gegenseitigen Beziehungsgeschehen. Gott hört die Menschen, Gott respektiert die Menschen. Er tritt in ihre Welt ein. Er schickt seinen Engel, der nun wiederum die Antwort des Menschen vor Gott tritt. Das Lied drückt eine Radikalität aus, die uns in ihrer Schlichtheit – auch die Schlichtheit der Melodie – fast erschaudern lässt: Gott hört das Flehen, er möchte wie Tau zu uns Menschen kommen. Aber er fragt zuerst uns Menschen, er erwartet unsere Antwort. Er reißt nicht einfach den Himmel auf und donnert wie ein Gewitter auf die Menschen nieder.

Unser ganzer Glaube ist die lebendige Beziehung zu Gott

Dialog gehört zur Beziehung. Gott ist Beziehung, Gott ist Liebe. Alles, was von ihm kommt, steht in dieser sich verschenkenden Liebe, zu der eben die Freiheit gehört. Unser ganzer Glaube ist die lebendige Beziehung zu Gott. Beziehung aber bedeutet Lebendigkeit, bedeutet Antwort geben, bedeutet Freiheit schenken und Freiheit zulassen. Maria steht nicht nur sinnbildlich für das neue Leben, sie steht für uns alle. In ihr hat Erlösung schon begonnen, weil sie mit ihrem ganzen Sein Offenheit ist, weil ihr ganzes Sein ein Ja ‚ist‘. Sie ist wirklich in den Dialog mit Gott eingetreten, nämlich in die lebendige Beziehung, so sehr, dass Gott dann durch sie Mensch geworden ist. Vereinigung Gottes mit dem Menschen, immer seine Freiheit respektierend. Aber diese Beziehung kommt von Gott, er ermöglicht uns erst, überhaupt Beziehung zu leben.

3. Strophe: Der Jubel der erlösten Erde

In der dritten Strophe wird nun die erfüllte Hoffnung besungen. Die Strophe ist weihnachtlich, österlich, ja fast schon die ganze Heilsgeschichte in prägnanter Form aussagend: „Und als Mensch zu Menschenkindern kommt des ewgen Vaters Sohn; Licht und Heil bringt er den Sündern, Friede von des Himmels Thron.“ Gott wird einer von uns. Er erfüllt die Verheißung, indem er in seine Geschöpflichkeit hinabsteigt. Nun erkennen wir dieses Beziehungsgeschehen, den Dialog, die Antwort in ihrer tiefsten Form: es geht nicht mehr um Himmel und Erde, um oben oder unten – es geht um lebendige Beziehung. Alles ist miteinander verbunden, alles steht miteinander in Beziehung.

Licht von ewigen Himmelsthron

Da ist nicht mehr Gott und Mensch, da ist Gott als Mensch und damit wir Menschen vor Gott; da ist nicht mehr die bange und dunkle Nacht hier unten, sondern das Licht vom ewigen Himmelsthron oben leuchtet uns hier auf der Erde; da ist nicht einmal mehr die sündige Welt, sondern die Gegenwart des Heils. Die Schöpfung steht wieder in ihrer heilen Beziehung zur Welt.
Die letzte Strophe drückt die Erfüllung der Verheißung aus, die sie in der ersten Strophe als des Menschen Hoffnung umschrieben hat: „dem Gott die Verheißung gab, einst den Mittler selbst zu sehen und zum Himmel einzugehen.“

„Bald erfüllet ist die Zeit. Macht ihm euer Herz bereit“

Der Mittler ist sichtbar, als Mensch; und die Menschen sind mitsamt ihrer Welt in den Himmel eingegangen, weil eben Gott nun gegenwärtig ist. Damit aber bekommt diese Erde eine „himmlische“ Aufgabe: „Erde jauchze auf in Wonne bei dem Strahl der neuen Sonne: Bald erfüllet ist die Zeit. Macht ihm euer Herz bereit.“ So wie im Himmel alles Gott lobt, so ist diese erlöste Schöpfung nun ein einziges Loblied auf Gott. Der letzte Satz lenkt unseren Blick noch einmal auf den Advent, aber mit der schon wahrnehmbaren Hoffnung. Das Herz bereiten – es zur Antwort bereiten. Unsere Freiheit wahrnehmen, das Liebesangebot Gottes annehmen. Gewiss wird dadurch die Welt nicht mit einem Mal erlöst, aber sie wird heller und friedvoller für uns. Wir stehen noch im Paradox des Advents, im Paradox der Erwartung, im Paradox des ‚schon‘ erlöst und immer noch in der Wirklichkeit des ‚Noch-nicht‘.

An der Schwelle zu seinem Kommen

Wir haben den Weg des Advents mit dem Lied „Macht hoch die Tür“ begonnen. Nun stehen wir an der Schwelle zu seinem Kommen, stehen an der Tür. Jesus hat selbst von sich gesagt: „Ich bin die Tür.“ (Joh 10,9) Christus macht uns die Tür nicht nur auf, er selbst ist die Tür. Aber er will, dass wir eintreten. Das Tor zum Paradies steht uns offen. Wir können wieder Beziehung leben, mit Gott und mit allen Menschen. „Bald erfüllet ist die Zeit. Macht ihm euer Herz bereit.“ Ein Herz, das Liebe hineinlässt und Liebe ausströmt. Wir sind wieder dazu fähig, weil Christus uns erlöst hat. Das ist die Weihnachtsbotschaft für die adventliche Zeit des Wartens. Das ist die Heilsbotschaft für unser Leben.

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
 

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17. Dezember 2022, 11:10