Suche

Abendmahlsszene in Oberammergau Abendmahlsszene in Oberammergau 

Oberammergauer Passionsspiele 2022 beendet

Mit einer großen Schlussaufführung sind am Sonntagabend in Oberammergau die Passionsspiele zuende gegangen. Nach 110 Aufführungen mit über 410.000 Besuchern beendete die oberbayerische Gemeinde die 42. Erfüllung ihres Gelübdes aus dem Pestjahr 1633.

Das „Spiel vom Leben, Leiden, Sterben und der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus“ sollte bereits 2020 stattfinden, wurde Corona-bedingt aber um zwei Jahre verschoben. Allerdings blieb „Oberammergau 2022“ praktisch bis zum Auftakt Mitte Mai eine Zitterpartie, und verlangte dann von den 1.700 Laiendarstellern regelmäßige Tests - und viel Improvisation: Denn ständig mussten Rollen um- und neubesetzt werden, da Akteure und Musiker wegen Quarantäne ausfielen.

Viele deutschsprachige Besucher, gute Auslastung

Erstmals seit vielen Jahren kamen zu diesen Passionsspielen mehr deutschsprachige Besucher als Ausländer. Die Organisatoren, die Gemeinde und das Ensemble unter Leitung von Regisseur Christian Stückl äußerten sich zum Abschluss „total zufrieden“. Und während die Aufführungen normalerweise still zuende gehen – immerhin geht es um eine Passion – traten am Ende der fast sechsstündigen „Derniere“ am verregneten Sonntagabend noch einmal alle 1.700 Akteure auf die Bühne, entzündeten Kerzen und bedankten sich für den guten Verlauf. Unter dem stehenden Applaus der fast 5.000 Gäste, mit dem Gesang des jüdischen Gebets „Schma Israel“ und dem Danklied „Nun danket alle Gott“ schloss die Passion 2022.

Oberammergau 2022
Oberammergau 2022

Minutiöse Arbeit am Text

Die Zeiten sind schon länger vorbei, als Kritiker den Passionsspielen von Oberammergau Judenfeindlichkeit und eine vorkonziliare Einstellung zum Judentum vorhielten. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Texte und Dialoge ständig von Bibelexperten, Theologen und Historikern überarbeitet, die den historischen und insbesondere den jüdischen Kontext stärker aufscheinen lassen. Eine Heilig-Land-Reise mit vielen Gesprächen gehört inzwischen traditionell zum Vorbereitungsprogramm für die Hauptdarsteller. Regisseur Stückl erhielt Auszeichnungen etlicher jüdischer Organisationen.

In der „Passion“ erscheint Jesus als Jude, der der Religion der Väter, den Gesetzen und Propheten folgt und sie erneuern will; der die Thora liest und das jüdische Pessachfest feiert. Innerhalb des Hohen Rates sei die Gruppe der Jesus-Befürworter bei dieser Aufführung nochmals größer geworden, erklärte der Münchener Pastoraltheologe Ludwig Mödl, Berater seitens des Erzbistums. Und auf der Bühne werden – etwa beim Abendmahl oder der Vertreibung der Händler aus dem Tempel – Gebete auf Hebräisch gesprochen.

Der gekreuzigte Jesus
Der gekreuzigte Jesus

„Ich hatte so etwas zuvor noch nie mit solcher Intensität erlebt – und ich bin sehr beeindruckt“

An der Derniere nahmen auch Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz unter Leitung des Münchener Kardinals Reinhard Marx teil. Die Generalsekretärin der DBK, Beate Gilles, äußerte sich am Rand der Aufführung gegenüber Radio Vatikan:

Beate Gilles: Es war für mich die erste Begegnung mit Oberammergau und mit einem Passionsspiel. Ich hatte so etwas zuvor noch nie mit solcher Intensität erlebt – und ich bin sehr beeindruckt. Das gilt auch für die Länge der Aufführung - von mehr als fünf Stunden. Ich konnte mir zuvor nicht vorstellen, ob und wie man das Passionsspiel auf eine solche Zeit ausdehnen kann. Aber es braucht genau diese Zeit, man muss sie sich nehmen und es werden Aspekte intensiviert und ausgeleuchtet.

Radio Vatikan: Was wie ein „Spiel“ war es für Sie, ein Schauspiel, ein Mysterienspiel…?

Beate Gilles: Es ist mehr als ein Schauspiel - auch wenn sich dieser Eindruck bei mir noch setzten muss. Es ist und war für mich ein geistliches Ereignis, eine ernsthafte und tiefreichende geistliche Auseinandersetzung mit der biblischen Geschichte.

Radio Vatikan: Wie hat die Gemeinde Oberammergau diese „größte Geschichte aller Zeiten“ auf die Bühne gebracht?

Beate Gilles: Das hat ja zwei Seiten; zum einen finde ich es sehr beeindruckend, wie viele Menschen sich von dem Passionsspiel immer und immer wieder ansprechen, berühren und mitnehmen lassen. Die Resonanz der Besuchszahlen sprechen für sich, trotz der anfänglichen Unsicherheiten infolge der Corona-Pandemie. Auf der anderen Seite ist es sehr beeindruckend, was die „Dorfgemeinschaft“ nach Jahrhunderten auf diesem Niveau auf die Beine stellt. Denn auch die Menschen in Oberammergau verändern sich: wie religiös gebunden sind die Menschen, die mitwirken dürfen. Mich würde sehr interessieren, was die fünf Monate des Passionsspiels mit ihnen gemacht hat, wenn sie mehrmals in der Woche mit einem solchen Inhalt auf der Bühne stehen.

Radio Vatikan: Wie ist der biblischen Text im Passionsspiel umgesetzt?

Beate Gilles: Ich fand die Umsetzung sehr gelungen. Im Vorfeld wurde ja viel diskutiert, wie zeitgemäß eine solche Aufführung ist. Das Spiel versucht in die biblische Situation hineinzuführen und es ist erst einmal die biblische Zeit, in die es hineinführt. Aber die Komposition der Texte und die Ausgestaltung der Szenen und ganz besonders die Unterbrechungen durch die Standbilder und den Chor führen in die Reflexion. Es liegt dann an mir, die Brücke ins hier und jetzt zu schlagen. Dieses Zusammenspiel hat mich sehr berührt.

Radio Vatikan: Der Umgang mit den biblischen Vorlagen war mitunter recht frei. Der „Verräter“ Judas bekommt weiten Raum und beeindruckt als Revolutionär mit reflektierendem Tiefgang. Und Pontius Pilatus wirkt hier düsterer als in der Bibel, als zynischer, menschenverachtender Machtmensch. Ist das legitim?

Beate Gilles: Einige der Rollen sind sehr stark entfaltet. Judas lädt dazu ein, weil er als Jünger in eine besondere Rolle kommt. Im Spiel geht es gar nicht anders. Man muss die biblischen Berichte und Geschichten für die Bühne in Dialoge umsetzen. Von Bedeutung ist dabei die Art, wie die Konflikte in das Leben der einzelnen Personen hineingeführt werden. Ob es dann dem Stand der Exegese entspricht, finde ich nicht entscheidend. Wichtig ist doch, in welche Reflexion es die führt, die das Passionsspiel sehen.

Radio Vatikan: Früher gab es gegen die Passionsspiele Vorwürfe einer  Judenfeindlichkeit. Die Texte sind inzwischen im Sinne des Konzils so geglättet, dass sich eine solche Kritik erübrigt hat. Dagegen werden nun aber Stimmen laut, dass beim Bemühen um eine Entfernung antisemitischer Tendenzen vorhandene Unterschiede und Konflikte zwischen Juden und Christen verwischt würden. Wie sehen Sie das?

Beate Gilles: In der Tat bestehen und bleiben Differenzen, und ich sehe durchaus Risiken einer zu starken Harmonisierung. Die Evangelien sind voll von harscher Kritik Jesu und von ernsten Botschaften an seine Jünger, die diese nicht verstehen. Diese Spannungen bleiben immer eine Anfrage, und die Frage ist, ob die Konflikte in ihrer Schärfe erfasst sind. In der Szene des letzten Abendmahls etwa bildete der Aufruf zur Mitmenschlichkeit die zentrale Botschaft. Dagegen wurde die ganze Brutalität, die auch mit der Szene verbunden ist, an dieser Stelle nicht so greifbar. 

Es ist verständlich, dass das Stück immer wieder zu harmonisieren versucht. Aber es geht darum, auch die Produktivität von Konflikten zu sehen. Wir müssen die Konflikte sehen und mit den Konflikten gehen. Und da brauche ich gar nicht den jüdisch-christlichen Dialog betrachten. Da kann ich auch in unsere katholische Kirche schauen, diese Konflikte wahrzunehmen und in Anbetracht der Konflikte nicht auseinanderzudriften. Das ist die Kunst.

(vatican news - cs)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

03. Oktober 2022, 14:45