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Unser Sonntag: Treue

Prof. Marianne Schlosser verweist in dieser Betrachtung besonders auf die notwendige Treue zu Jesus und seiner Botschaft. Wir sollten vor Augen haben, dass wir weder Zeit noch Stunde des Kommens des Herrn kennen - und jeder Tag könnte der letzte für uns sein.

Prof. Marianne Schlosser, Wien

Lk 12, 32-48 Lesejahr C

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“

So beginnt das heutige Evangelium, und wir fragen uns vielleicht: Wovor haben denn die Jünger, zu denen Jesus da spricht, Angst? Oder wovor könnten sie in der Zukunft Angst haben?

Hier zum Nachhören

Die Anrede „Fürchte dich nicht“ oder „Fürchtet euch nicht!“ begegnet uns in der Heiligen Schrift ja öfters. Und vielleicht denken Sie jetzt auch an den Beginn des Lukasevangelium, wo das gleiche Wort erklingt: „Fürchte dich nicht, Maria“ - und es kommt eine Begründung: „Denn du hast Gnade gefunden vor Gott....“, Gott schaut mit Freude auf dich.

„Das Wort „Fürchte dich nicht“ kommt manchmal in einem Zusammenhang, wo eine große Aufgabe vorgeschlagen wird“

Das Wort „Fürchte dich nicht“ kommt also manchmal in einem Zusammenhang, wo eine große Aufgabe vorgeschlagen wird, wo etwas Großartiges, nicht im engeren Sinn Bedrohliches, aber doch Überwältigendes angekündigt wird.

Für die Jünger heißt das: „Euer Vater hat beschlossen, Euch das Reich zu geben.“

Der Vater Jesu ist auch der Vater derer, die an Ihn als den Sohn glauben. Würden die Jünger nur sich selber betrachten, dann gäbe es genügend Grund, verzagt zu sein oder Selbstzweifel zu haben:

Sie sind nicht viele.

Sie sind keine berühmten Leute.

Sie haben keine finanziellen oder politischen Mittel.

Sie haben keinen Einfluss.

Aber: Sie haben DEN zum Vater, dem alles gehört. Und was Er zu geben hat, ist ein unvergänglicher Besitz.

„Das Reich“, heißt es hier. Was dieses Reich ist, wird in unserer Perikope nicht näher ausgeführt. Es ist das, was Jesus bringt: Die Zugehörigkeit zu Gott. Zu seinem Herrschaftsbereich zu gehören. Und die Herrschaft Gottes ist dort, wo Gerechtigkeit, Liebe und Frieden herrschen.

Wenn davon das Herz eines Menschen erfüllt ist, wenn er also so Großes zugesagt bekommt, dann wird er auch großzügig sein. Die irdischen Güter, Reichtum oder Reputation werden zweitrangig. Und darum ist die Aufforderung Jesu verständlich, dass die Jünger das, worauf man sich normalerweise stützt, also den eigenen Besitz, „als Barmherzigkeit geben“ sollen.

Sie sollen „Barmherzigkeit geben“

Wörtlich heißt es: sie sollen „Barmherzigkeit geben“, also „Almosen“: das alte deutsche Wort, das aus dem Griechischen abgeleitet wird, bedeutet so viel wie „Werke der Barmherzigkeit.“

Es kommt Jesus darauf an, woran jemand sein Herz hängt, an Verlierbares oder an Unverlierbares. „Wo dein Schatz ist, da ist doch dein Herz."

Nun ist das Herz in der Bibel das Zentrum des Menschen, nicht nur der Ort, wo man Gefühle hat, sondern es ist der Wurzelboden von Plänen und Taten. Und deswegen ist so entscheidend, woran das Herz hängt. Denn das ist es, was auf das Herz dann einen bestimmenden Einfluss hat. Also das, was man liebt, beherrscht einen.

Die Aufforderung „Tut Werke des Erbarmens!“ wird begründet damit, dass diese Werke in Gottes Gedächtnis eingeschrieben sind, dass sie Bestand haben werden, selbst wenn sie auf Erden ohne Dank und ohne Frucht blieben. Sie haben Bestand, weil das Gute in den Augen Gottes der Ewigkeit würdig ist. Während alles andere vergeht wie Staub, wie Dinge, die von Motten zerfressen werden können.

Einsatz für die Ewigkeit

Es ist eine tiefe Einsicht, dass das, was uns materiell gehört, nicht mit uns eins wird und dass es deswegen auch unser Herz nicht beherrschen darf. Man hat das Herz dort, wo man seine Liebe hat, seinen Schatz, und man hat auch die Augen dort... Ein bekannter Autor des hohen Mittelalters, aus dem zwölften Jahrhundert, Richard von St. Viktor, hat den Spruch geprägt, der vielen von Ihnen im Ohr ist: „Wo die Liebe ist, da ist das Auge.“ Und das hat zwei Bedeutungen: (1) Man schaut gern an, was man liebt. Also, man hat nur Augen für das, was man liebt. (2) Aber auch, dass die Liebe macht, dass man überhaupt Augen bekommt, dass man bestimmte Dinge dann erst sehen kann. Auch das, was die Welt ist, und das, was man in dieser Welt zu tun hat.

„Gegürtet, das heißt nicht im Relax-Modus, sondern dienstbereit, entschlossen.“

Darum kann Jesus fortfahren: Bleibt wach. Lasst eure Augen nicht zufallen. „Lasst die Lampen brennen, die Hüften gegürtet…."

„Gegürtet", das heißt: nicht im Relax-Modus, sondern dienstbereit, entschlossen. Der Gürtel steht in der Bibel für Selbstbeherrschung. Also, wer liebt, und wer weiß, was das Reich ist, das verheißen ist, wird weniger leicht schläfrig. „Schläfrig werden" bedeutet:  Man bekommt zwar noch was mit, ist aber schon zu müde, um etwas zu unternehmen. Und wenn jemand richtiggehend einschläft, dann tut er gar nichts mehr.

Die Zeit des Wartens nicht unterschätzen

Ihnen kommt vielleicht jetzt ein paralleles Gleichnis, das bei Matthäus erzählt wird: Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, die darauf warten, dass der Bräutigam des großen Festes kommt und sie mitnimmt. Die zehn schlafen alle ein. Aber einige haben sich darauf eingerichtet, klugerweise, dass es länger dauern könnte - mit dem Warten.

Und bei Lukas, da sind es die Knechte, die warten, dass der Herr von einer Festlichkeit zurückkehrt. Vielleicht kommt er vor Mitternacht - vielleicht erst danach. Vielleicht auch erst gegen Morgen. Als Lukas sein Evangelium niederschrieb, war einige Zeit vergangen seit dem Abschied Jesu. So wie für uns vielleicht Pfingsten schon länger zurückliegt, und wir sind sozusagen zur Tagesordnung übergegangen.

Das Gleichnis, das Jesus erzählt von den Knechten oder von den klugen und törichten Jungfrauen - diese Gleichnisse warnen davor, die Zeit des Wartens zu unterschätzen.

„Niemand weiß, wann. Denken wir daran.“

So, dass man im schlimmsten Fall mit einem Kommen des Herrn gar nicht mehr rechnet. Und daran schließt sich eine ernste Warnung. Niemand weiß, wann.

Denken wir daran?

Es gehört zu unserem Glauben, dass wir die zweite Ankunft des Herrn erwarten: „Bis Du kommst in Herrlichkeit“ – so bekennen fast jedes Mal in der Akklamation nach der Wandlung. Und wir bekennen im Glaubensbekenntnis, dass der, der schon einmal gekommen ist, „wiederkehren wird, zu richten die Lebenden und die Toten“. Also wir glauben an sein Wiederkommen, seine zweite Ankunft.

Und wir glauben, auch wenn wir nicht viel daran denken wollen, an sein Kommen am Ende unseres Lebens, wo wir heimgeholt werden, wie man es manchmal noch in Todesanzeigen lesen kann. – Nicht oft denken wir daran, dass jeden Abend wir unser Zelt eine Tagesreise weiter zum Ziel aufschlagen.

„Nicht oft denken wir daran, dass jeden Abend wir unser Zelt eine Tagesreise weiter zum Ziel aufschlagen.“

Und man darf noch an ein drittes Kommen denken. Wie es manche geistliche Autoren (wiederum des Mittelalters) vorgeschlagen haben. Denn der Herr kommt nicht so, als sei er abwesend, als komme er von wo anders. Sondern er kommt, wenn er sich zeigt, als der, der da ist. Sind wir darauf gefasst?

Öffnen wir ihm, wenn er klopft, wie es im Evangelium heißt? Jetzt?

Kann er jetzt klopfen? Jetzt etwas von uns wollen?

Rechnen wir mit seiner Gegenwart?

Oder sind wir ein bisschen so wie die Braut im Hohenlied, die das Klopfen des Bräutigams hört, aber weil sie schon zu Bett gegangen ist, nicht schnell genug aufsteht, um zu öffnen … und dann ist der Bräutigam weg, und sie muss ihn lange suchen. Wir erkennen die Anwesenheit des Herrn nicht, weil unsere „Augen gehalten“ sind, wie es von den Jüngern von Emmaus heißt. Aber mit den Augen des Glaubens sollen wir wissen, dass Er da ist.

Verdrängung des Kommens Christi

Mir scheint, dass die Verdrängung des Kommens oder des Daseins Christi am Ende der Zeiten, am Ende unserer Zeit und während unserer Zeit, dass diese Verdrängung der Grund ist für viel Müdigkeit, für viel Lahmheit und Trägheit. Und für viel selbstbezogene Aktivität, die uns umtreibt.

Wer wartet, erschrickt nicht - oder nicht so sehr -, wenn es klopft.

Und da ist nun im zweiten Teil des Evangeliums von den Knechten die Rede: Petrus fragt nach, ob das Gleichnis für alle gilt oder nur für sie, also die Apostel, die Jünger.

Und wir fragen vielleicht auch: Betrifft das jetzt nur die Bischöfe? Und können wir uns zurücklehnen?

Jesus gibt wie öfter keine direkte Antwort, sondern antwortet mit einer Gegenfrage. Er fragt: „Wer ist der kluge und treue Verwalter?“

Der „treue Verwalter“...: Hier wird ein anderes Wort gebraucht – nicht das Wort für „Knecht" – sondern „oiko-nomos“, das ist derjenige, der über das Haus die Aufsicht führt; der „treu" und „klug" sein soll, also „besonnen" und „gläubig". Das besagen die griechischen Worte.

„Treue. Das scheint mir der springende Punkt in diesem Evangelium zu sein.“

Das heißt, Jesus verweist auf Personen mit besonderer Verantwortung. Wir haben alle in einem gewissen Sinn Verantwortung, auch für andere. Auch ohne kirchliches Amt. Und doch: Es gibt ein Mehr oder Weniger an anvertrautem Gut, und danach bemisst sich auch die Rechenschaft.

„Und wenn der Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht“ – wer weiß, ob er überhaupt noch kommt!, und sich ein Benehmen erlaubt, wie er es niemals wagte, wenn er den Hausherrn anwesend wüsste, dann wird dessen Kommen eine böse Überraschung sein; und zwar nicht, weil der Herr irgendwie hinterhältig darauf warten würde, auf einen Moment der Unaufmerksamkeit, um seine Strenge auszuüben, sondern umgekehrt: Weil die Stunde für den Knecht zur Unzeit kommt, der nicht gewartet hat, der nicht in Liebe und Sehnsucht gewartet hat, und der nicht der Zusage geglaubt hat: also für den, der „nicht treu“ war. Und darum wird am Ende dieser Knecht als „ungläubig“, „a-pistos“ (= „untreu" und „ungläubig") bezeichnet.

Treue. Das scheint mir der springende Punkt in diesem Evangelium zu sein.

Treue ist die Weise, wie eine Beziehung durch die Zeit hindurch aufrechterhalten wird. In erster Linie ist das Gottes Eigenschaft. Gott wartet auf uns. Und wir sollen seiner Treue antworten, indem wir ihm glauben.

Indem wir durchhalten, auch wenn es Nacht zu sein scheint, und die Zeit des Wartens sich hinzieht.

In einem Lied, das Ihnen vielleicht bekannt ist und mit dem ich schließen möchte -  aus dem 18. Jahrhundert - wird das ausgedrückt:

Der Herr bricht ein um Mitternacht

Der Herr bricht ein um Mitternacht.
Jetzt ist noch alles still.
Oh elend, dass schier niemand wacht
Und ihm begegnen will.
Er hat es uns zuvor gesagt
Und einen Tag bestellt.
Er kommt, wann niemand nach ihm fragt,
noch es für möglich hält.
Wer waltet als ein kluger Knecht
im Hause so getreu,
dass wenn der Herr kommt er gerecht
und nicht zu strafen sei.
So wach denn auf, mein Geist
Und Sinn und schlummere ja nicht mehr.
Blick täglich auf sein Kommen hin,
als ob es heute wär.
Dein Teil und Heil ist schön und groß
Auf, auf, Du hast die Macht
Ergreif im Glauben du das Los,
das Gott Dir zugedacht.
Der Herr bricht ein um Mitternacht.
Jetzt ist noch alles still.
Wohl dem, der nun bereit sich macht
und ihm begegnen will.

 

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski) 

 

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06. August 2022, 11:00