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Wohnungsloser an einer Bushaltestelle in Wien am 23. Juni Wohnungsloser an einer Bushaltestelle in Wien am 23. Juni 

Caritasdirektor zur Teuerung: „Bescheidener werden“

Angesicht der Häufung von Krisen wie Klimawandel, Pandemie und Ukrainekrieg ist auch in Österreich die Einbuße von Wohlstand unausweichlich - und der Verlust auch zumutbar, solange dieser gerecht verteilt wird.

Diese Einschätzung vertritt der scheidende Direktor der steirischen Caritas, Herbert Beiglböck, im Interview mit der „Kleinen Zeitung“ von diesem Sonntag. Für die Dramatik der Situation herrsche allgemein noch relativ wenig Bewusstsein: „Wir versuchen noch immer, mit ein paar Geld-zurück-Paketen so zu tun, als ob alles so weitergehen könne wie bisher. Das ist ein Trugbild. Wir werden bescheidener werden müssen, trotzdem wird gutes Leben möglich sein“, so der kirchliche Sozialexperte.

Die Pandemie habe die Menschen erleben lassen, „dass es auch mit weniger geht“, zeigte sich Beiglböck zuversichtlich. Notwendig seien ein weiteres Nachdenken darüber, „was wir wirklich brauchen“, und Reduktionen im Lebensstil besonders jener, für die „vier Urlaube im Jahr“ bisher selbstverständlich gewesen seien.

„Wir verteilen aktuell mehr, als wir haben“

Wichtig sei, dass „nicht die Armen, sondern die Starken“ die Hauptlast der Verluste trügen, hätten doch bisher die Vermögenden in der Krise ihr Vermögen noch erhöht, während die Masse die Teuerung tragen müsse. „Nicht ob, sondern wie wir zur Einfachheit fähig sind“ sei die Frage. Diese sei alternativlos, denn: „Wir verteilen aktuell mehr, als wir haben“.

Das jüngste Hilfspaket der Wiener Regierung bezeichnete Beiglböck als „Matte, die den Absturz abfedert“. Auf Dauer brauche es jedoch nachhaltigere Lösungen, „die jenen, die ihr Leben am letzten Zacken gestalten, Spielraum geben“. Derzeit verschlechtere sich die soziale Situation vieler Menschen in Österreich rapide: „Die Leute sind stark verschuldet, die Wohnung ist zu teuer, das Einkommen zu gering. Die Anfragen häufen sich, wo Leute sagen: Das geht sich nicht aus. Könnt ihr uns helfen, dass wir nicht delogiert werden?“, so die Erfahrung aus den Caritas-Sozialberatungen.

Sorge über Radikalisierung in der Politik

Am deutlichsten seien die Veränderungen bei den Lebensmittelhilfen: In der Steiermark habe die Caritas in den vergangenen Jahren eine Tonne von diesen pro Tag ausgegeben, „jetzt liegen wir bei knapp eineinhalb Tonnen“.

Politisch bereitet Beiglböck die Gefahr der Radikalisierung Sorgen. Mehr Dialog in der Gesellschaft sei nötig, um zu verhindern, dass sich Leute betrogen fühlten, Feindbilder geschaffen würden und neue und unverständliche Positionen Widerstand und Wut hervorriefen. Im Gegensatz zu früheren Krisen vermisse er derzeit jedoch eine ausreichende Zahl von „Dialogpunkten“ – „einzelne Personen, die Brücken bauen“.

„Die Hoffnungsdimension wiederentdecken“

Der Krisenzustand habe auch die Kirche erfasst, die ein „Wegsterben an Vertrauten“ registriere und „zu leise und zu ängstlich“ sei, befand der Caritas-Direktor. Derzeit sei man dort stark mit der Sicherung des eigenen Betriebs beschäftigt, was viel Kraft koste. Zu einer „Hoffnungsdimension“ könnte die Kirche diese Situation dann umwandeln, wenn sie die Sorge um die materiellen Güter und die bloße Fortführung des bisherigen Angebotes ablegen könnte, so der Sozialexperte und Theologe.

Wichtig wäre, auf die Sorgen der Menschen und Möglichkeiten ihrer Begleitung zu sehen und sich bewusst zu machen, dass man selbst viel zu bieten habe - vor allem eben die Hoffnung. Er selbst erlebe immer wieder, Menschen in Nöten wie etwa Arbeitslosigkeit oder ohne Pflegeplatz nicht weiterhelfen zu können. „Aber wenn sie das Gefühl haben, man hört ihnen zu, dann spüre ich diese Hoffnung ganz stark“, unterstrich Beiglböck.

(kap – sk)
 

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26. Juni 2022, 11:16