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D: Missbrauchsstudie belegt Fehler von Münsteraner Bischöfen

Ehemalige und heute aktive Bischöfe haben nach einer Studie im Bistum Münster große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen begangen und zur Vertuschung beigetragen. Die Untersuchung wurde am Montag von der Universität Münster vorgestellt. Die Zahl der Missbrauchsbeschuldigten liegt demnach deutlich höher als in einer früheren Studie.

Michael Keller (Amtszeit 1947-1961), Joseph Höffner (1962-1969), Heinrich Tenhumberg (1969-1979) und Reinhard Lettmann (1980-2008) hätten verurteilte Geistliche immer wieder in der Seelsorge eingesetzt und damit weitere Taten ermöglicht, heißt es in der am Montag vorgestellten Untersuchung.

Dem aktuellen Bischof Felix Genn (72) bescheinigen die Autoren um die Historiker Thomas Großbölting und Klaus Große Kracht zwar, den Umgang mit Missbrauchsfällen den Regeln der Deutschen Bischofskonferenz angepasst zu haben. Gleichwohl habe der seit 2009 amtierende Oberhirte eine längere Phase gebraucht, um seiner Verantwortung für Intervention und Prävention gerecht zu werden. In seinen ersten Jahren sei der Bischof Missbrauchstätern, sofern sie Reue zeigten, kirchenrechtlich nicht immer mit der gebotenen Strenge begegnet. Genn habe eingeräumt, gegenüber Beschuldigten „zu sehr als Seelsorger und zu wenig als Dienstvorgesetzter gehandelt zu haben". 

Genn wurde die Untersuchung erst nach der Vorstellung ausgehändigt. In einem ersten Statement zeigte sich der Münsteraner Bischof davon überzeugt, dass Missbrauch in der Kirche nur durch vollkommen unabhängige Institutionen aufgearbeitet werden könne. „Das haben die Wissenschaftler der WWU getan. Auf eine solche Aufarbeitung haben alle und haben insbesondere Sie und alle Betroffenen sexuellen Missbrauchs einen Anspruch“, so Genn, der sein Verständnis darüber äußerte, wenn Betroffene keine Bitte um Entschuldigung akzeptieren wollten.

„Sehr gewiss bin ich mir, dass eine Bitte um Entschuldigung nicht ausreicht. Mit dem Eingeständnis von Fehlern und einer ehrlichen Reue muss eine wirkliche Umkehr verbunden sein. Konkret heißt das für mich: Es müssen über das hinaus, was schon geschehen ist, weitere Konsequenzen im Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Münster gezogen werden. Das ist für mich eine Verpflichtung, an der ich mich messen lassen möchte.“

„Die Betroffenen sind die Opfer, ich bin Teil der Organisation, aus der die Täter kamen und kommen“

Am Freitag werde er die Konsequenzen bekannt geben, die er aus der Studie ziehen wolle, kündigte Bischof Genn an. Bereits jetzt sei klar, dass es um die Betroffenen sexuellen Missbrauchs gehe. „Allerdings möchte ich mich davor hüten, Betroffene zu vereinnahmen oder eine Solidarität mit ihnen zu konstruieren, auf die ich kein Anrecht habe. Die Betroffenen sind die Opfer, ich bin Teil der Organisation, aus der die Täter kamen und kommen. Die Betroffenen erwarten völlig zu Recht, dass wir als kirchliche Verantwortungsträger alles tun, um sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung in der Kirche künftig zu verhindern.“

Es gehe weiterhin „um eine möglichst umfassende und unabhängige Aufarbeitung der Vergangenheit“, für die mit der WWU-Studie noch nicht der Schlusspunkt gesetzt werden könne, ebenso wie um „die Übernahme von Verantwortung“: „Ich übernehme selbstverständlich die Verantwortung für die Fehler, die ich selbst im Umgang mit sexuellem Missbrauch gemacht habe. Ich war und bin Teil des kirchlichen Systems, das sexuellen Missbrauch möglich gemacht hat. Das bin ich seit vielen Jahren an verantwortlicher Stelle: als Regens und Weihbischof in Trier, als Bischof von Essen und Münster. Von daher habe ich neben der persönlichen auch eine institutionelle Verantwortung.“ In dieser doppelten Hinsicht trage er auch eine „Mitverantwortung“ für das „Leid von Menschen, die sexuell missbraucht wurden“, betonte Genn.

Felix Genn, aktueller Bischof von Münster
Felix Genn, aktueller Bischof von Münster

Ein Vorwurf in einem Fall trifft auch den heutigen Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der früher Weihbischof in Münster war. Overbeck habe 2009 als Übergangsleiter des Bistums entschieden, den Fall eines beschuldigten Mitarbeiters nicht der Missbrauchskommission vorzulegen. Die Vorwürfe gegen den heute noch lebenden Geistlichen aus dem Jahr 1997 seien damit nicht vollständig aufgearbeitet.

Viele Täter gingen straffrei aus

Die WWU-Untersuchung zählt nach Auswertungen von Akten und Betroffenen-Interviews 610 Betroffene und 196 Beschuldigte zwischen 1945 und 2020. Damit liegt die Zahl der Beschuldigten um ein Drittel höher als in der 2018 vorgestellten MHG-Studie der Bischofskonferenz. Die Gründe seien, dass Zeitraum und Methoden variierten und sich weitere Betroffene gemeldet hätten. Missbrauchsvorwürfe betreffen 4,1 Prozent aller Priester zwischen 1945 und 2020. 40 Prozent der Beschuldigten seien Mehrfachtäter. Neun von zehn Beschuldigten hätten keine strafrechtlichen Konsequenzen erfahren.

Teils seien Täter in andere Bistümer oder ins Ausland versetzt worden, so die Forschenden. Die Flucht in andere Staaten sei durch kirchliche Netzwerke wie Caritas International gelungen. Höffner habe beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) Kontakte ins Ausland geknüpft.

Internationale Netzwerke für die Flucht

„Die katholische Kirche ist Täterorganisation", sagte Großbölting. Auch Laien hätten einen Priester als „heiligen Mann“ betrachtet und zur Vertuschung beigetragen. Er kritisierte, dass die Aufarbeitung nur durch Druck von außen erfolgt. Neben den inzwischen umgesetzten Maßnahmen zur Prävention und Aufklärung müsse im Bistum nun auch eine Debatte über die Machtstrukturen folgen. Betroffene beklagten immer wieder auch Defizite in der Kommunikation des Bistums mit ihnen.

Politik sollte sich nicht nur auf Kirche konzentrieren

In einem Interview mit dem Magazin „Cicero“ vom Montag warf Großbölting jedoch auch der Politik vor, die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zu verschleppen. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiere die Beschäftigung mit der katholischen Kirche. Diese gesellschaftliche Wahrnehmung sei aber verzerrt: „Kommunionunterricht ist für Kinder nicht gefährlicher als der Sportverein“, so Großbölting. Es sei richtig, die speziellen katholischen Mechanismen zu verstehen, über katholische Machtkonstellationen, über die katholische Sexualmoral zu reden, so der Historiker. Es spiele auch eine Rolle, so das Ergebnis der Untersuchung, dass die Kirche lange „auf dem hohen Ross der moralischen Instanz" gesessen habe. Dennoch beklagt Großbölting Zurückhaltung der Politik, die die katholische Kirche mit dem Problem alleine lasse. „Gelegentlich macht es schon den Eindruck, dass die Politik diese Auseinandersetzung scheut und froh ist, dass alle nur über die Kirche reden.“

Unabhängige Studie - Genn hatte die Ergebnisse nicht vorab

Das Bistum Münster hatte die am 1. Oktober 2019 begonnene Studie in Auftrag gegeben und den Forschenden Unabhängigkeit zugesichert. Anders als andere Diözesen entschied sich Münster gegen ein juristisch angelegtes Gutachten wie in Köln oder München, sondern beauftragte das Team aus vier Historikern und einer Ethnologin. Sie übergaben die Studie nach der Medienpräsentation Genn, der zur Wahrung der Unabhängigkeit zuvor keine Ergebnisse erfahren sollte.

(kna/pm - cs)

 

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13. Juni 2022, 14:12