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Freundschaften sind fragil - mehr denn je. Aber sie können auch aus Gegensätzen entstehen. Freundschaften sind fragil - mehr denn je. Aber sie können auch aus Gegensätzen entstehen.  

Wie mit Andersdenkenden reden?

Wie können wir mit Mitmenschen, die komplett anderer Meinungen sind als wir, wieder ins freundliche Gespräch kommen? Schwieriger denn je. In Wien hat eine katholische Akademie nun damit begonnen, Geschichten von Menschen zu sammeln und zu prämieren, die sich nach längerer Sendepause wiedergefunden haben.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

„Ziemlich beste Geschichten“ heißt die Aktion, und sie lehnt sich an einen berühmten Film an: „Ziemlich beste Freunde“, darin entdecken ein gebildeter, pflegebedürftiger Mann und sein junger afrikanischer Betreuer ihre gemeinsame Wellenlänge. Das ungleiche Paar wächst hinein in eine hinreißende Freundschaft. Eine wahre Geschichte, und sie darf sich gerne so oft wie möglich wiederholen, gerade heute, sagt Otto Neubauer, Leiter der Akademie für Dialog und Evangelisation in Wien.

„Wir spüren einfach, dass das Gift des Misstrauens so viele Beziehungen erfasst, und wir haben uns gedacht, es wäre einfach gut, gute Dinge weiterzuerzählen. Gute Geschichten.“ Geschichten, in denen es um Annäherung geht, um Schritte auf den anderen zu. „Wir möchten Menschen einladen zu sagen: Ich treffe mich mit jemandem, der mir am Herzen liegt, aber wo etwas zwischen uns steht, aufgrund dieser ganzen schwierigen Situation, die es heute gibt. Und ich möchte einfach einmal dem anderen zuhören. Wie geht es dir? Das ist die Grundfrage: Wie geht es dir eigentlich? Misstrauen begegnen durch Vertrauen schenken.“

„Das ist die Grundfrage: Wie geht es dir eigentlich?“

Es braucht heutzutage schon ein bisschen Übung, sich vorurteilsfrei auf den anderen einzulassen, gibt Otto Neubauer zu. „Eine individualisierte Gesellschaft, die stark vom Ich ausgeht, von dem, was ich gerade brauche, ist manchmal auch entwöhnt einer gemeinschaftlichen Sorge. Des Sich-umeinander-Kümmerns. Und dort, wo etwas krisenhaft wird, da kriegt man Angst. Man schließt sich in sich ein und versucht Bestätigung zu bekommen. Und dann entstehen eben solche Blasen, wo man wie in einem Kerker gefangen ist.“ Dazu kommt oft mangelnde Wertschätzung, die Menschen für sich selbst empfinden. In einer solchen Lage zuzugehen auf den anderen, der anders denkt, habe etwas Heilsames, beobachtet Otto Neubauer.

„Wir sagen ja gerne als Christen, dass Gott uns bedingungslos liebt. Genau darum geht es eigentlich, dass wir, auch wenn wir nicht so lieben können wie Gott liebt, aber ein Stück weit doch lernen, ohne Bedingungen den anderen als anderen anzunehmen. Auch wenn er oder sie vielleicht eine Meinung vertritt, wo ich gar nicht mit kann. Aber ich versuche einmal zu verstehen, warum kommt der andere, die andere zu diesem Schluss. Und dann frage ich so lange nach, bis ich es einigermaßen verstehe.“

Hier zum Hören:

Voraussetzung: echtes Interesse

Unabdingbar für diese Art von Gespräch ist eines, sagt Otto Neubauer: echtes Interesse am Anderen. Nur dann weiß sich das Gegenüber wertgeschätzt als Person.

„Ich glaube, das ist das Entscheidende: dass wir den anderen als Carola, als Hermann, einfach als Person wahrnehmen und nicht nur, ob er ein Impfgegner oder ein Befürworter ist. Nicht in Kategorien denken. Den anderen als Person wahrnehmen. Und dann ist oft ein Gespräch eher ein Austausch - und nicht ein Kampf. Sobald ich siegen will in einem Gespräch, sobald ich den anderen niederringen will, passiert viel Verletzung. Es ist wichtig, dass man sich selber so weit zurücknehmen kann, dass der andere wichtig ist.“

Die besten Geschichten sind solche, die eigentlich unmöglich sind

Die Akademie für Dialog und Evangelisation ist eine Art österreichisches Pendant zum „Vorhof der Völker“ des Päpstlichen Kulturrates, der das Gespräch mit Nichtglaubenden sucht. Vor einiger Zeit hat die Akademie schon mit der Initiative „Stille schenken“ auf sich aufmerksam gemacht; dabei ging es darum, innezuhalten, still zu werden, für sich selbst und andere. „Ziemlich beste Geschichten“ dagegen zielt auf das Wiederanknüpfen fragil gewordener Beziehungen. Das „Zeug“ zu so einer „ziemlich besten Geschichte“ haben nach Neubauers Erfahrung solche, die anfangs unmöglich erscheinen.  

„Ich denke da zum Beispiel an einen jungen Politiker, der eher rechts außen steht, und eine Politikerin, die mehr links außen gestanden ist. Als die sich begegnet sind und miteinander ins Gespräch gekommen sind, war das für mich schon ein Wunder, dass sie überhaupt einander zugehört haben. Und daraus hat sich über Monate tatsächlich eine Freundschaft entwickelt.“ Beide Politiker hätten Welten kennengelernt, die sie weder vermutet und noch für möglich gehalten hatten.

„Wir Christen glauben, dass das der Heilige Geist wirkt“

„Ein wichtiger Punkt dabei ist schon, dass man die eigene Zerbrechlichkeit, die eigenen Wunden, die eigenen Ängste, das eigene Unvermögen eben zulässt. Dass man nicht über dem anderen steht, sondern auf Augenhöhe, aber manchmal sogar drunter steht. Und dann passiert schon das Wunder, dass man plötzlich Dinge von anderen geschenkt bekommt, was man einfach nicht vermutet hätte. Wir Christen glauben, dass das der Heilige Geist wirkt. Das ist ja das Besondere. Es ist nicht nur eine rein menschliche Übung, sondern wir dürfen vertrauen, dass die Liebe etwas ermöglicht, was uns dann auch menschlich übersteigt.“

Die Einladung, „ziemlich beste Geschichten“ zu schicken, ergeht an alle. Je mehr Menschen mitmachen, desto eher kann aus dem Kleinen Großes entstehen, nämlich ein besseres Miteinander in Zeiten wie diesen. Willkommen sind nicht nur Geschichten, sondern auch Statements. Die Akademie veröffentlicht alle Beiträge anonymisiert auf ihrer Webseite „ziemlichbestegeschichten.at“. Der pflegebedürftige Mann aus dem Film „Ziemlich beste Freunde“, der im wirklichen Leben Philippe Pozzo di Borgo heißt, nach eigenem Bekunden Atheist ist und der Akademie seit langem freundschaftlich verbunden, will im kommenden Juni zehn der „besten Geschichten“ prämieren.

(vatican news)

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03. Februar 2022, 13:43