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Johannes der Täufer Johannes der Täufer 

Unser Sonntag: In principio...

In der ersten Betrachtung des neuen Jahres 2022 von Frau Professor Gerl-Falkovitz geht es um den Anfang. Anfang ist ein wunderbares Wort. Es ist Aufbruch, Helle, Frische und neuer Schwung, so die Philosophin. Und sie empfiehlt: Wer sich an der Kirche ärgert, sollte sich doch einmal über die Genialität ihrer Feste freuen...

Joh 1,1-18

„Es trat auf ein Mensch, gesandt von Gott; sein Name war Johannes.“

Hanna-Barbara Gerl Falkovitz

Johannes der Täufer ist der Mann mit den meisten Beinamen im Evangelium: Zeuge, Stimme, Lampe, Vorläufer, kein Schilfrohr, Rufer in der Wüste... Noch dazu ist er der Cousin Jesu, und von prachtvoller Härte wie dieser. Und wird auch wie dieser gewaltsam ermordet. Grünewald hat ihn auf dem Isenheimer Altar unter das Kreuz versetzt, unhistorisch, mit dem übergroßen Zeigefinger: Da hängt der Mann, auf den wir gewartet haben. Der Ort des Johannes ist die Wüste – dort wo Gott lauter spricht als im Lärm der Städte, im Brausen des Unwichtigen. Wenn ihm die Menschen nachlaufen, zeigt er ihnen den, dem sie wirklich nachlaufen sollen - der sie aus dem Weglosen herausführt.

Viele Menschen, vielleicht alle, tragen in sich eine Wüste, die im Lauf des Lebens wächst. Unvorstellbar, daß diese Wüste noch einmal zum Blühen kommen könnte. Daß die Höhlen vom Unrat geräumt sind, das Verlorene jung vor einem steht. Wagt es wirklich jemand, uns zu erlösen? Johannes ahnt, nein, er weiß und ruft mit „gewaltiger Stimme“, daß der Gewaltige, daß sein fruchtbarer Neuanfang kommt. Er ruft es mit Isaja, mit Elija, mit den anderen Großen, auf die man (auch schon) nicht hörte... Und im Rufen ändert sich das Versteinte: Strecken sich nicht die krummen Wege bereits von selber, wird es nicht leichter, den Unrat abzuräumen, den Dornverhau zu roden? 

Betrachtung zum ersten Sonntagsevangelium im Januar 2022 - Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz für Radio Vatikan

Das Evangelium, der Johannesprolog, redet von Anfangen.

Anfang – ein wunderbares Wort. Es ist Aufbruch, Helle, Frische. Es ist Morgen und neuer Schwung. In der Heilkunde gibt es das Fremdwort Resilienz; sie überwindet das Kranke, Lähmende: Wir springen wieder auf und fangen den Ball des Lebens im Flug. 

Wenn wir die Evangelien genau betrachten, gibt es zwei Anfänge. Die Lateiner unterscheiden zwischen initium, dem Anfang in der Zeit, der Initialzündung der Geburt; sie versinkt in den späteren Jahren. Solche Anfänge gibt es viele: die Schule, die erste Liebe, das Arbeitsleben, die Ehe, das erste Kind... Diese Anfänge hinterlassen Spuren, doch sie vergehen. Auch Jesu Leben hatte Anfang und Ende auf dieser Erde. 

Aber es gibt auch den Anfang, der sich durchhält, principium: den währenden Anfang. Mit 70 Jahren bin ich noch dieselbe, obwohl fast alles an mir biologisch ausgetauscht ist. Das Entscheidende bleibt: das Leben selbst, immer wieder quillt es hoch. Selbst bei Sterbenden fühlen wir: Sie gehen in ein anderes, währendes Leben. 

Leben ist das Prinzip, das Bleibende, das Göttliche. Gott ist währender Anfang. Und der Lieblingsjünger Johannes, der so viel von Jesus verstand, weiß, daß das Leben selbst nicht nur zeitlich in der Krippe lag, sondern immer schon, ewig, an der Brust des Vaters ruht. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ In principio…

Wer sich an der Kirche ärgert, sollte sich doch einmal – tief unter dem Ärger - auch über die Genialität ihrer Feste freuen. Freuen über den großen Atem der Texte. Da wird in der Christmette die arme, doch glückliche Geburt Jesu erzählt. Alles ist dem inneren Auge vertraut, lieblich – trotz des Kummers über Stall und Heimatlosigkeit und Flucht. Die Erzählung ist verständlich, alltäglich (leider), gefärbt mit menschlichem Glück und Leid; sie erzählt initium.

Und dann setzt die Kirche mit einer riesig ausholenden Geste am nächsten Morgen etwas anderes darauf: Vor aller Zeit, jenseits des Begreifens wagt sie einen Blick in die ewigen Tiefen Gottes - bevor noch Welt war. In principio… Hier setzt das Begreifen aus. Der Text wirft sich ins Übergroße. Welt ist durch das Kind geworden. Aber die Welt ist dem Kind auch zum Schicksal geworden. Obwohl sie Sein Werk ist, fügt sie sich Ihm nicht. Was ist das Sperrige an ihr? Diese Frage wird uns im Helldunkel der Zeiten, im Helldunkel des eigenen Herzens begleiten müssen. Gehören wir selbst zu denen, die sperren, oder zu denen, die aufmachen? 

Was für ein Atem geht durch diese Feste! An uns entscheidet sich das Schicksal des Kindes, ja, merkwürdigerweise das Schicksal Gottes. Größeres kann man nicht erzählen.

Ist es unvorstellbar, zitternd vor Freude die eigene Wüste durch diesen Anfang aufblühen zu sehen? Ja, es ist möglich, es ist sogar wirklich.

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01. Januar 2022, 11:42