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Pius XII. Pius XII. 

Historiker: Pius XII. rettete Tausende von Juden - Neue Beweise

Papst Pius XII. (1939-58) hat mindestens 15.000 Juden persönlich gerettet und wusste schon früh vom Holocaust. Darüber referierte der deutsche Historiker Michael Feldkamp. So habe der Pacelli-Papst den Amerikanern schon kurz nach der Wannsee-Konferenz einen Bericht zum Holocaust übermittelt; diese hätten ihm allerdings nicht geglaubt.

Das mitschuldige Schweigen von Pius XII.: das ist auch das Thema der neuen Erkenntnisse aus den Dokumenten, denen sich Feldkamp gewidmet hat, indem er sie im Historischen Archiv der Abteilung für die Beziehungen zu den Staaten des Staatssekretariats unter der Leitung von Johan Ickx, Autor des Buches "Pius XII. und die Juden", das in Italien vom Verlag Rizzoli veröffentlicht wurde, gesichtet hat. Papst Pius XII. (auf dem Stuhl Petri von 1939 bis '58) rettete persönlich, wie bereits von Professor Hubert Wolf von der Universität Münster berichtet, mindestens 15.000 Juden (zusätzlich zu den 2.800 Anträgen, die in den "Pacelli-Listen" enthalten sind, wie in Icks' Buch berichtet - Anm. d. Red.) - und wusste ab einem bestimmten Zeitpunkt vom Holocaust. Laut Feldkamp schickte Papst Pacelli kurz nach der Wannseekonferenz einen Bericht über die nationalsozialistischen Vernichtungsaktionen an die Amerikaner, die ihm jedoch keinen Glauben schenkten, so dass viele Aspekte in der Öffentlichkeit nicht bekannt waren.

VN: Herr Dr. Feldkamp, Sie waren in den vergangenen Tagen in den vatikanischen Archiven und haben einige bisher nicht bekannte Dokumente zu Pius XII. bzw. Eugenio Pacelli gesehen. Was gibt es denn aus Ihrer Sicht Neues zur Pius-XII.-Forschung, was die breite Öffentlichkeit noch nicht weiß?

Feldkamp: Zunächst ist es so, dass wir in Deutschland nicht die einzigen sind, die zu Pius XII. forschen. Es gibt in diesem Bereich nicht nur Historiker, sondern auch Journalisten - die wir als Multiplikatoren auch brauchen. Was jetzt neu ist und was wir bisher immer gewusst haben, ist, dass Eugenio Pacelli, also Pius XII., schon sehr früh über den Holocaust Bescheid wusste.

Hier das Interview mit Michael Feldkamp zu Pius XII.

Was die systematische Vernichtung der europäischen Juden betrifft, richtete Pius XII. im März 1942 - zwei Monate nach der Wannsee-Konferenz  - eine Botschaft an den US-Präsidenten Roosevelt. Darin warnte er ihn davor, dass in Europa in den Kriegsgebieten etwas passiere. Diese Nachrichten sind (aber von den Amerikanern) nicht für glaubwürdig erachtet worden. Heute wissen wir, (...) dass Pius XII. ohne Übertreibung fast täglich mit der Verfolgung von Juden konfrontiert war. Er bekam alle Berichte vorgelegt, und er hatte ein eigenes Büro innerhalb der zweiten Sektion im Staatssekretariat eingerichtet, in dem die Mitarbeiter sich ausschließlich um solche Belange kümmern sollten. Da waren Monsignore (Domenico) Tardini - der ist nachher beim Zweiten Vatikanischen Konzil ein wichtiger Kardinal gewesen -, und da war Monsignore Dell´Acqua, ebenfalls ein späterer Kardinal. Er gilt auch als einer der Hauptverfasser der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Aussöhnung mit den Juden (Nostra aetate).

Diese Verantwortungsträger waren während des Zweiten Weltkrieges mit Pius XII. ganz eng verbunden, um ihm täglich über Verfolgung und Massendeportation sowie über Einzelschicksale von Menschen, die sich an sie wandten, zu berichten. Und das Spannende ist jetzt, dass wir heute schätzen können, dass Pius XII. persönlich etwa 15.000 Juden gerettet hat, und zwar durch seinen persönlichen Einsatz: indem er die Klöster geöffnet hat, indem er die Klausur aufgehoben hat, damit dort Menschen versteckt werden können und so weiter. Das ist alles eine riesige Sensation! Die Archivbefunde, die ich jetzt im Vatikan gefunden habe, zeigen mir, wie genau Pacelli informiert gewesen ist.

Archivbild: Kardinal Pietro Parolin und Historiker Michael Feldkamp
Archivbild: Kardinal Pietro Parolin und Historiker Michael Feldkamp

VN: Sie haben gesagt, dass von der US-Seite sozusagen nicht für glaubwürdig erachtet wurde, was Pius XII. ihnen über das Schicksal der Juden mitteilte. Wie haben denn daraufhin der Vatikan und Papst Pius reagiert?

Feldkamp: Das ist diplomatische Korrespondenz: Da wird dann nur ein erhaltener Brief bestätigt. Interessant ist allerdings schon, dass sich der US-Präsident oder auch seine Abteilungen im Außenministerium nochmal wiederholt an Pius XII. gewandt haben, um Auskünfte zu Einzelfällen zu erfahren...

Seit 2000 arbeitet Feldkamp in der Verwaltung des Bundestages. Er war Mitarbeiter beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages sowie Mitarbeiter des Parlamentsarchivs. Ferner war er vertretungsweise als Ghostwriter und Redenschreiber sowie 2012/13 beim Protokoll des Bundestages und 2017 als persönlicher Referent des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Johannes Singhammer, tätig. Feldkamp veröffentlichte zu Themen wie der Kölner Nuntiatur und der Papstdiplomatie sowie Beiträge über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus. Sein Werk „Pius XII. und Deutschland“ aus dem Jahre 2000 verfolgte das Ziel, den komplexen Forschungsstand einem größeren Leserkreis nahezubringen, und war zugleich gedacht als eine Antwort auf John Cornwells Buch „Pius XII. – Der Papst, der geschwiegen hat“.

„Das Problem mit dem Schweigen ist natürlich immer noch da. Aber es ist jetzt als vernünftig zu betrachten, wenn man bedenkt, dass er in Geheimoperationen hier Menschen in Verstecke brachte“

Und das geht jetzt soweit, dass die päpstliche Palatin-Garde, also eine Art Leibgarde des Papstes wie die heutige Schweizergarde, sich auf Schlägereien mit der Waffen-SS, mit Wehrmachtssoldaten eingelassen hat, um Juden in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore zu verstecken. Das können Sie alles jetzt sehen und belegen. Ich bin dankbar, dass wir diese Archive im Vatikan geöffnet haben. Auf diese Weise können wir jetzt viele dieser etlichen vagen Vermutungen oder auch Behauptungen richtigstellen.

Vor allem geht es um den Vorwurf, Pius XII. hätte nichts getan und hätte geschwiegen. Das Problem mit dem Schweigen ist natürlich immer noch da. Aber es ist jetzt als vernünftig zu betrachten, wenn man bedenkt, dass er in Geheimoperationen hier Menschen in Verstecke brachte. Dann konnte er ja nicht die öffentliche Aufmerksamkeit noch mal zusätzlich auf sich lenken, indem er irgendwelche Proteste veranstaltete oder Protestnoten schrieb, sondern da hat er eben wirklich, um abzulenken Verhandlungen, auch mit der Deutschen Botschaft und mit italienischen Polizeikräften, ja sogar mit Mussolini und mit dem italienischen Außenminister und so weiter geführt. Er versuchte hier immer, auf dem Verhandlungsweg möglich viel zu erreichen.

Feldkamp, der am Samstag auf einer Veranstaltung der Goerres-Gesellschaft im Vatikan seine Pius XII.-Recherchen vorstellte, betonte in unserem Interview auch die enge Freundschaft von Eugenio Pacelli mit Roosevelt und mit dem späteren deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Diese Freundschaft sei nach dem Zweiten Weltkrieg wichtig geworden.

Archivbild: Pius XII. (rechts)
Archivbild: Pius XII. (rechts)

VN: Wie sehen Sie die heutige Geschichtswissenschaft und ihre Aufarbeitung der Pius-XII.-Akten? Werden die Befunde richtig und auch ehrlich dargestellt, oder haben Sie Befürchtungen, dass es da gewisse Vorbehalte gibt?

Feldkamp: Die heutige Aufarbeitung kann da helfen, eben das klarzustellen. Aber ich habe auch Befürchtungen, dass dann doch irgendwie gewisse Kreise versuchen, ihn trotzdem noch negativ darzustellen. Ich denke, das wird nicht ausbleiben. Aber es ist sicherlich schwierig, dies im Einzelnen jemandem zu unterstellen oder unterstellen zu wollen. Ich sehe auch in meinen eigenen Forschungen und ihrer Publizität hier in Deutschland, wie schwierig es ist, diese neuen Ergebnisse auch als glaubwürdig zu vermitteln. Also, es gibt immer noch Menschen, die sagen, dass das kann ich mir nicht vorstellen, 70 Jahre haben wir das anders geglaubt, und jetzt soll es anders sein? Das begegnet mir schon oft, und zwar sowohl innerkirchlich als auch außerhalb der Kirche.

Worauf wir wirklich aufpassen müssen und sollten und was auch ich immer gemacht habe, ist zu bedenken, dass die Befunde und die Akten alle auf französisch und größtenteils auf italienisch geschrieben sind. Und dass die meisten meiner Kollegen, die Historiker sind und sich auch mit dem Zweiten Weltkrieg sehr gut auskennen, oftmals kein Italienisch verstehen. Das heißt, sie sind jetzt angewiesen auf die spanischen Kollegen, die das übersetzen, oder sie sind angewiesen auf das, was ich dann präsentiere und übersetze. Natürlich versuche ich sehr genau zu übersetzen und ich bringe dann die italienischen Zitate, damit die Menschen das notfalls nochmals nachvollziehen können. Ich glaube, da kann man sehr viel machen... Wir haben schon Geschichten gehabt, da wurde einfach falsch übersetzt oder von einer Übersetzung in die andere Übersetzung falsch vorgegangen.

Das Interview führte Mario Galgano.

(vatican news)

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31. Januar 2022, 12:30