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Der ungläubige Thomas, Albani-Psalter, ca 1130 Der ungläubige Thomas, Albani-Psalter, ca 1130 

Unser Sonntag: Die drei Erkennungsmerkmale Jesu

Am dritten Sonntag der Osterzeit geht es Prof. Dr. Westerhorstmann um das Staunen - auch über die Realpräsenz Jesu in der Eucharistie, in der Er ganz zu uns kommt. Die Theolgin fragt, ob wir wirklich innerlich vorbereitet sind und tatsächlich eine Begegnung mit Ihm in der Kommunion erwarten?

Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann

Dritter Sonntag der Osterzeit 2021, Lk 24,35-48

Können wir über den Glauben noch staunen? Können wir noch staunen über das, was sich an Karfreitag und dann am Ostertag ereignet hat? Papst Franziskus hat am Palmsonntag zu Recht diese Frage aufgeworfen, ob wir überhaupt noch staunen können über unseren Glauben. Er sagte: „Wenn der Glaube nicht mehr staunen macht, wird er taub für das Wunder der Gnade, er verliert den Geschmack am Brot des Lebens und des Wortes, er nimmt die Schönheit der Brüder und Schwestern und das Geschenk der Schöpfung nicht mehr wahr.“

Zum Nachhören

Das Evangelium vom heutigen Sonntag bietet uns die Möglichkeit, mit dem Staunen wieder zu beginnen und dass, obwohl es unter den Evangelien an Ostern und den Sonntagen danach eigentlich das am wenigsten aufregende ist.

Mein Herr und mein Gott

Es braucht einen Moment, sich darauf einzulassen und sich ansprechen zu lassen. Darüber zu staunen, ist vielleicht eine Herausforderung und hängt auch davon ab, ob wir gewissermaßen unseren eigenen Ort im Evangelium entdecken. Am Ostersonntag haben wir noch von der Begegnung zwischen dem auferstandenen Jesus und Maria von Magdala gehört, wie sie ihn erkennt als er sie mit Namen anspricht: Maria. Ostermontag war von den Emmausjüngern geprägt, die Jesus beim Brotbrechen erkennen und denen das Herz brennt als er mit ihnen geht und ihnen die Schrift auslegt. Und am weißen Sonntag zeigt der Auferstandene dem Thomas seine Wunden und lässt sich von ihm berühren. Thomas spricht die bewegenden Worte: Mein Herr und mein Gott. Nächsten Sonntag werden wir hören, dass Jesus von sich sagt: Ich bin der gute Hirte, ich gebe mein Leben für die Schafe.

„Diese Erkennungsmerkmale entsprechen heute drei Möglichkeiten, wie auch wir Jesus begegnen können: In seinem Wort, im gebrochenen Brot und in seinen Wunden.“

Der heutige Abschnitt aus dem Evangelium berichtet von drei Erkennungsmerkmalen, durch die er als Jesus von Nazareth identifiziert wird, als der, den sie kennen: seine Stimme, d.h. von ihm gesprochene Worte, das Brotbrechen und seine Wunden. Diese Erkennungsmerkmale entsprechen heute drei Möglichkeiten, wie auch wir Jesus begegnen können: In seinem Wort, im gebrochenen Brot und in seinen Wunden. Zuerst das Wort. Jesu Stimme zu hören, von ihm angesprochen zu werden, lässt Maria Magdalena Jesus erkennen. Mehrfach wird in den Erzählungen von Begegnungen Jesu mit den Jüngern nach der Auferstehung berichtet, sie hätten ihn erst später erkannt oder er erklärte ihnen den Sinn der Schrift. So auch im heutigen Evangelium: „Alles muss sich erfüllen“, was in den Heiligen Schriften geschrieben steht und er „öffnete … ihren Sinn für das Verständnis der Schriften“. Obwohl sie ihn kannten, obwohl sie seine Lehre gehört hatten, brauchen sie eine Hilfe im Verstehen.

Das betende Lesen der Heiligen Schrift: lectio divina

Für uns Christen heute ist nicht nur das gesprochene Wort Jesu, hauptsächlich aus den vier Evangelien, sondern das gesamte Alte und Neue Testaments Wort Gottes. Dies aber muss uns häufig erst erschlossen werden, damit wir seine Stimme darin tatsächlich vernehmen können. Um dies zu erleichtern, sich vom Wort der Schrift treffen und berühren zu lassen, kennt die geistliche Tradition die so genannte lectio divina. Sie bedeutet das betende Lesen der Heiligen Schrift, ein Sich-Einlesen und Sich-Einüben, bei dem die lesende Person Gott sprechen hören kann und ihm im Gebet mit einem offenen, vertrauendem Herzen antworten soll. „Rede, Herr, dein Diener hört“ (1 Sam 3,10) das Wort des jungen Samuel, kann ein guter Einstieg sein oder auch das Wort Mariens: Mir geschehe nach deinem Wort (Lk 1,38) – man könnte hinzufügen: Was immer du zu sagen hast. Lectio divina bedeutet, sich auf einen inneren Dialog einzulassen beim Lesen der Schrift – Hören und Antworten. John Henry Newman hat über diese persönliche Begegnung im Innern zwischen Gott und Mensch gesagt, es sei: ein Gespräch von Herz zu Herz: Cor ad cor loquitur. Das Herz spricht zum Herzen. Darin kann der Einzelne Gottes Stimme vernehmen und Ihm begegnen - und das geht auch in Corona-Zeiten, wenn man z.B. keine Messe besuchen kann.

Licht für schwierige Entscheidungen

Dafür jedoch braucht es Zeit, einen Ort an dem es still ist und die Bereitschaft, beim Lesen des Wortes das innere Ohr zu öffnen. Das Apostolische Schreiben über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute „Gaudete et Exsultate“ aus dem Jahr 2018 erklärt dazu: „Das betende Lesen des Wortes Gottes, das »süßer als Honig« (Ps 119, 103) und »schärfer als jedes zweischneidige Schwert« (Hebr 4,12) ist, erlaubt uns, innezuhalten und dem Meister zuzuhören, damit er eine Leuchte für unsere Schritte sei, Licht für unsere Wege (vgl. Ps 119,105).“ Dieses Licht kann eine konkrete Hilfe bieten, wenn schwierige Entscheidungen anstehen, oder persönliche Not zur Verzweiflung zu werden droht oder Unsicherheit und Ratlosigkeit nicht enden wollen. Es kann Warnung sein oder Trost spenden, zur Umkehr rufen oder ermutigen, einen Neuanfang zu wagen.
Wenn dieses Wort auf ein hörendes Herz trifft, ist Begegnung mit dem Auferstandenen, dem lebendigen Gott in seinem Wort möglich, die das Leben verändern kann. Denn das Wort Gottes hat in sich die Kraft, das Leben der Menschen zu verwandeln, weil Jesus in seinem Wort selbst gegenwärtig ist. Im Buch der Offenbarung spricht Jesus: „Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“

„Eucharistie ist Realpräsenz dessen, der das lebendige Wort ist“

Dies führt uns zum zweiten Erkennungsmerkmal Jesu, das Brechen des Brotes, das unmittelbar verbunden ist mit dem Wort Gottes. Es wird heute im Evangelium am Anfang genannt, weil die Emmausjünger berichten wie sie Jesus erkannt haben. Hierzu noch einmal aus dem Papstschreiben „Gaudete et Exsultate“: „Die Begegnung mit Jesus in der Heiligen Schrift führt uns zur Eucharistie, wo eben dieses Wort selbst seine größte Wirksamkeit erlangt, weil die Eucharistie Realpräsenz dessen ist, der das lebendige Wort ist. … Wenn wir ihn in der Kommunion empfangen, erneuern wir unseren Bund mit ihm und erlauben ihm“ mit der Verwandlung in uns zu beginnen.

Viele von uns kennen es seit Kindertagen: Dass Jesus selbst uns im Brot begegnet. Können wir darüber noch staunen oder sind wir gleichgültig geworden? Kann es uns noch berühren, erfreuen oder überraschen, dass Gott uns im Brot begegnet, lebendig begegnet, oder ist es bereits so gewohnheitsmäßig, dass wir im Glauben träge geworden sind? Es lässt sich darüber staunen, dass sich in einem Stück Brot der Herr der Welt verbirgt, nur um uns nahe zu sein und uns das Leben in Fülle zu schenken.

Er ist tatsächlich und real mit uns, wird ein Teil von uns

„Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch“ steht im 6. Kapitel des Johannesevangeliums. Im griechischen Urtext heißt es noch drastischer: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht kaut, … habt ihr das Leben nicht in euch.“ Das heißt, es ist wirklich praktische Realität. Damit ist das Versprechen verbunden, dass immer wenn wir dieses Brot essen und es innerlich empfangen, Er tatsächlich und real mit uns ist, ein Teil von uns wird. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“ (Joh 6,58) Lässt uns das kalt oder brennt unser Herz, wenn wir solche Worte hören? Er bleibt in mir und ich bleibe in ihm.

„Bei jeder Begegnung ist Er ganz da – die Frage ist nur, ob ich dann auch „da bin“…“

Es ist die tiefste Begegnung mit dem lebendigen Herrn, die uns überhaupt möglich ist: Ihn leibhaftig zu empfangen. Bei jeder Begegnung ist Er ganz da – die Frage ist nur, ob ich dann auch „da bin“… Man könnte etwas kindlich fragen: Wenn Jesus in mein Herz kommt, wird er mich dort treffen? Bin ich in mir selbst zu Hause oder bin ich ständig auswärts unterwegs ohne zur Ruhe zu kommen? Bin ich innerlich vorbereitet auf die Begegnung mit Jesus in der Kommunion? Habe ich von meiner Seite alles ausgeräumt, was diese Begegnung erschweren kann wie Ärger oder Unversöhnlichkeit, Sünden? Und: Erwarte ich überhaupt eine Begegnung? Sich daran zu erinnern und darüber zu staunen, dass mir diese Begegnung angeboten wird, erscheint mir wie ein erster Schritt, damit das Wort Aufnahme finden und die Begegnung von Herz zu Herz tatsächlich stattfinden kann.

Jesu Hände und Füße bezeugen: Er war am Kreuz

Und nun zum dritten Erkennungszeichen Jesu, das uns ebenfalls zugleich eine Gottesbegegnung ermöglichen kann – wie es uns das Evangelium von heute zeigt: Nach dem Wort, das aus dem Herzen Gottes kommt und in unserem Herz gehört werden möchte, und dem Brot, also der Eucharistie, dem Empfangen des Herrn in der Kommunion, kommt als drittes hinzu: Jesus an seinen Wunden zu erkennen und ihm darin zu begegnen. Wir erinnern uns:

„Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen?
Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst.
Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.“ Und noch einmal heißt es: „Bei diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und Füße.“
Die verwundeten Hände und Füße Jesu bestätigen es den Jüngern einwandfrei, dass Er es wirklich ist. Er ist derselbe, den sie vorher kannten, der am Kreuz litt und starb, über den der Hauptmann sagte: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“. (Mk 15,38) Er ist nun nicht mehr im Grab, sondern er lebt. Für Thomas wurden die durchbohrten Hände und Füße zum Schlüssel der Erkenntnis, dass vor ihm nicht nur ein Mensch steht, der gelitten hat, sondern dass Gott selbst sich zeigt: Er berührt die Wunden Jesu und bezeugt „Mein Herr und mein Gott“. (Joh 20,28)

Den verwundeten Jesus suchen

Zu früheren Zeiten haben Menschen immer wieder Zuflucht genommen zu den Wunden Jesu. Aus der Zeit des Spätmittelalters stammt das bekannte Gebet „Seele Christi, heilige mich“. Darin heißt es auch: „Birg in deinen Wunden mich“. In unserer Zeit ist das Vielen fremd geworden. Und doch erfahren offenbar immer mehr Menschen, dass Jesus sich besonders in ihrer Verletzlichkeit mit ihnen verbindet. Dass ihre eigenen Wunden ihnen zur Begegnung mit dem Herrn werden, der für uns – so sagt es uns die Schrift – und für unser Heil-Werden gelitten hat. „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5)
An diesem Ostermorgen scheinen die Schwäche, die Ohnmacht und der Schmerz des Kreuzes überwunden. Aber die Hände und Füße Jesu bezeugen noch: Er war am Kreuz und ist durch alles hindurchgegangen, um uns das neue Leben zu ermöglichen. Es gibt den christlichen Glauben nicht ohne diese Wunden. Auch bei uns hinterlassen schwere Zeiten im Leben ihre Spuren. In Narben, äußeren oder inneren. Aber sie können uns zum Begegnungsort mit dem Herrn werden. Im normalen Leben ist man oft zu beschäftigt und, wenn alles gut läuft, auch zu unabhängig, um den verwundeten Jesus zu suchen, der neues Leben schenken kann. Der Autor Tomas Halik empfiehlt daher allen, die sich aktuell mit dem Glauben schwer tun oder damit, Jesus in ihrem Leben zu entdecken, sich den Armen zuzuwenden, die Begegnung mit den Verwundeten zu suchen und zu helfen. Darin lässt sich die Erfahrung machen, die Jesus versprochen hat und die eines Tages als Lackmustest unseres Christseins dienen soll: Was ihr dem Geringsten meine Brüder getan habt – und Schwestern darf man hier einfügen –, das habt ihr mir getan (Mt 25,40). In anderen, die unserer bedürfen, lässt er sich konkret begegnen.

Jesus ist unser Verwundetsein nicht fremd

Seine Wunden, die er den Jüngern zeigt, zeugen davon, dass ihm unser Verwundetsein nicht fremd ist: ob nach einer zerbrochenen Beziehung, nach dem Verlust eines geliebten Menschen durch Tod, nach einer tiefen Enttäuschung. Am Ostermorgen sind die Wunden noch da, aber sie sind nicht das Ende. Die Auferstehung und damit das vollständige Heil und Leben kündigen sich schon an. Was für Jesus bereits Wirklichkeit ist, möchte er auch für uns: Dass auch wir das Leben in Fülle haben. Dass es hier schon beginnt, weil wir ihn kennen dürfen und dass es vollendet wird, wenn eines Tages seine Stimme sagt „Komm“ und wenn wir ihn sehen dürfen Auge in Auge.

Das ist das Staunenswerte am Christentum, an das wir uns hoffentlich nicht zu sehr gewöhnen, und dass nichts weniger meint als die Hoffnung auf eine erfüllte Gegenwart, ein „Leben an der Hand meines Herrn“ – wie es Edith Stein einmal gesagt hat – und die Hoffnung schlechthin in der Zukunft auf ewig mit ihm zu sein.

Die Begegnung mit Jesus nicht verpassen

Hoffentlich haben wir an jedem der letzten Sonntage auch unseren eigenen Ort im Evangelium gefunden – nicht nur zugehört, sondern hoffentlich sind wir selbst dem Auferstandenen in seinem Wort auch begegnet – wie Maria von Magdala oder wie Thomas, wie die ängstlichen Jünger. Denn das gehört zum Kern des Christentums, dass die Osterbotschaft nicht nur heißt, Jesus wurde auferweckt und ist seinen Jüngern erschienen, sondern dass er bis heute lebt, lebendig ist, dass er wiederkommen wird und dass er uns auch heute begegnen möchte: Im Wort Gottes, dem Brotbrechen und in den Wunden Jesu. Diese drei Wege hat uns das Evangelium heute gezeigt, um Ihm, den Herrn, zu begegnen. Beginnen wir mit dem Staunen, damit wir ihn, der uns die Begegnung anbietet, nicht verpassen.


(radio vatikan - claudia kaminski)

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17. April 2021, 11:00