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Der Karabach-Krieg hat alte Wunden wieder geöffnet Der Karabach-Krieg hat alte Wunden wieder geöffnet 

Österreich: Friedens-Plädoyer für Karabach

Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Frieden hat der Wiener armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan beim „Ökumenischen Friedensgebet für Armenien und Karabach“ gehalten.

Es fand am Donnerstagabend im Salzburger Dom statt, Petrosyan leitete es gemeinsam mit Erzbischof Franz Lackner. Kein Wort komme in der armenischen Liturgie so oft vor wie „Friede“, so der armenische Bischof.

Armenien, die erste christliche Nation der Welt, habe vom 27. September an „44 Tage voll Angst und Leid“ erleben müssen. Das gemeinsame Gebet gelte jetzt der Unterstützung der Republiken Armenien und Karabach, aber auch dem „stabilen und friedlichen Miteinander“ mit den benachbarten Staaten und Völkern. Bei der Wahl zwischen Krieg und Frieden müsse der „auf Gerechtigkeit basierende Friede“ gewählt werden.

Lange Leidensgeschichte

Die Menschen in Armenien und Karabach hätten für „ein freies und unabhängiges Land“ kämpfen müssen, betonte der armenisch-apostolische Bischof. Aber das Ziel bleibe das Wort des Propheten Jesaja: „Er wird Recht schaffen zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg“.

Am Beginn des Friedensgebets erinnerte Erzbischof Lackner an die in die frühchristliche Zeit zurückreichenden „apostolischen Wurzeln“ der armenischen Kirche. In einer langen Leidensgeschichte sei das armenische Volk immer dem Glauben an Christus treu geblieben.

Die Sehnsucht nach Frieden wurde in Psalmen und Fürbitten in armenischer und in deutscher Sprache zum Ausdruck gebracht. Zum Abschluss des Friedensgebets zogen die beiden Bischöfe mit brennenden Kerzen durch den Dom.

„Unerbittlicher Krieg“

Jasmine Dum-Tragut gab vor dem Beginn des eigentlichen Friedensgebets im Dom einen Überblick über die Situation in Karabach. Sie war im Rahmen einer wissenschaftlichen Feldforschung in den ersten drei Wochen des Krieges selbst in Armenien. Die Armenologin bezeichnete die am 27. September begonnenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen azerbaidschanischen und armenischen Truppen als „unerbittlichen und hochtechnisierten Krieg“. Schon nach kurzer Zeit sei die militärische Überlegenheit der hochgerüsteten Aserbaidschaner spürbar geworden.

Dum-Tragut erinnerte daran, dass die Auseinandersetzungen um das Schicksal der armenischen Exklave Artsach schon in den Jahren des Zerfalls der Sowjetunion ab 1988 begonnen hatten. 1994 sei es dann zu einem Waffenstillstand gekommen, „der aber kein Friede war“. Immerhin sei Karabach mit seinen rund 180.000 Einwohner zu einer kleinen unabhängigen demokratischen Republik geworden (der allerdings internationale Anerkennung versagt blieb).

Eine Generation verloren

Der jüngste Krieg habe auf beiden Seiten 8.000 Todesopfer gekostet, die Armenier bezifferten ihre Verluste mit 4.750 Soldaten, fast alles junge Leute im Alter zwischen 18 und 25, „Armenien hat eine Generation verloren“. Es sei beängstigend gewesen, zu beobachten, wie das früher so lebhafte Eriwan im Verlauf des Krieges immer stiller geworden sei.

Der Krieg habe „tiefe physische und psychische Wunden“ geschlagen, unterstrich die Leiterin des ZECO. Mittlerweile mache sich die winterliche Kälte bemerkbar, es gebe Versorgungsengpässe, tausende Flüchtlinge seien zu betreuen. Die humanitäre Katastrophe werde dadurch verschärft, dass Armenien eines der Länder ist, die am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffen sind. Es fehle an Krankenhausbetten und Ärzten.

Sorge um die Zukunft des armenischen Volkes

In Karabach sei die Situation besonders ernst, so Jasmine Dum-Tragut. 100.000 Bewohner seien angesichts des Vorrückens der aserbaidschanischen Truppen nach Armenien geflüchtet. Mittlerweile seien in den letzten Wochen nach Angaben der russischen Friedenstruppen rund 35.000 Menschen wieder zurückgekehrt. Manche der Flüchtlinge seien in den letzten Jahrzehnten schon zwei oder drei Mal zur Flucht gezwungen gewesen.

Der Blick in die Zukunft sei überall in Armenien und Karabach getrübt. In Armenien gebe es Unruhe und Demonstrationen. Die Sorge um die Zukunft des armenischen Volkes greife um sich. Armenien sei mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge überfordert. Dazu komme die Sorge um die kostbaren Zeugnisse der armenischen christlichen Kultur – Kirchen, Klöster, Khatschkare (Kreuzsteine) aus dem 4. bis 19. Jarhundert - in Karabach und den umliegenden azerbaidschanischen Bezirken.

„Einer muss mit dem Frieden anfangen“

Das Erlebnis der Not habe sie bewogen, die Initiative #gib Hoffnung für Kriegsflüchtlinge und Kriegsopfer aus Karabach ins Leben zu rufen, berichtete die Leiterin des ZECO. Gemeinsam mit der armenisch-apostolischen Diözese Tavush im nördlichen Armenien werde versucht, vor allem auch den Familien von gefallenen Soldaten, den Witwen, die mit kleinen Kindern allein dastehen, rasch und unbürokratisch zu helfen. Es sei ein „kleiner Beitrag zum Frieden“, aber „einer muss mit dem Frieden anfangen“.

(pro oriente – sk)
 

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18. Dezember 2020, 10:56