Suche

Eine improvisierte Moschee in einem Zelt im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos Eine improvisierte Moschee in einem Zelt im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos 

D: „Stellen Sie sich vor, Sie müssen sich ständig Sorgen machen…“

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße bittet um mehr Aufmerksamkeit und Hilfe für Flüchtlingsfamilien. Beim Familiennachzug von Migranten bzw. Flüchtlingen fehlt es derzeit offenbar am politischen Willen, kritisierte Heße, der in der Deutschen Bischofskonferenz für das Flüchtlingsdossier zuständig ist.

Familiennachzug sei für die Integration von Migranten und Flüchtlingen in ihrer neuen Heimat wichtig, so Heße gegenüber dem Kölner Domradio. „Stellen Sie sich vor, Sie müssen permanent um einen oder mehrere Familienangehörige bangen und sich Sorgen machen. Dann ist das wahrscheinlich sehr schlecht für alles andere in Ihrem Leben!“

Heße hat am Mittwoch den fünften Katholischen Flüchtlingsgipfel ausgerichtet – allerdings digital, wegen der Pandemie.

„Ganz zu Beginn des so genannten Flüchtlingssommers 2015 hatte ich in einer Flüchtlingsunterkunft hier in Hamburg ein sehr bewegendes Erlebnis: Ich durfte den Moment miterleben, in dem ein Vater nach Monaten zum ersten Mal wieder seinen minderjährigen Sohn in die Arme schließen konnte. Es war ein gigantisches Erlebnis zu sehen, wie die beiden sich wiedergefunden haben, wie glücklich sie waren! Ich glaube, so geht es jedem Menschen, der seine Familienangehörigen wiederfindet. Und das ist noch einmal potenziert bei Menschen, die aufgrund von Krieg oder Flucht ihr normales Umfeld haben verlassen müssen.“

Erzbischof Heße
Erzbischof Heße

„Die Familienzusammenführung ist im Moment quasi außer Kraft gesetzt“

Mit Verve setzt sich der Erzbischof für den Familiennachzug ein. „Das Problem ist klar erkannt: Die Familienzusammenführung ist im Moment quasi außer Kraft gesetzt. Deswegen bin ich der Meinung, dass es da eine rasche Änderung braucht! Und dass dies auch so unbürokratisch wie möglich gemacht wird und eben nicht durch weitere Hürden verkompliziert oder in die Länge gezogen wird. Im Moment ist es so, dass nicht einmal tausend Personen pro Monat zusammengeführt werden. Das ist ein Hohn!“

Beim digitalen Gipfeltreffen vom Mittwoch hat Heße die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, auf das Thema angesprochen. Die CDU-Politikerin entgegnete, die Verfahren zum Familiennachzug seien wegen der Corona-Krise sechs Monate lang ausgesetzt worden; jetzt liefen sie wieder an. Allerdings sei es unbefriedigend, dass die Verfahren oft so lange – manchmal jahrelang – dauerten.

Zum Nachhören

Aufnahme von Kindern aus griechischen Lagern: „Das ist peinlich...“

Ein weiteres Anliegen der Kirche in dieser Hinsicht: die schwierige Lage der Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln. Deutschland hat einige unbegleitete Kinder und Jugendliche aus den Lagern aufgenommen. Dazu Heße: „Das ist peinlich, das habe ich immer wieder gesagt. Die genaue Zahl der Kinder in Deutschland war 47; Luxemburg hat 12 aufgenommen. Angesichts der Zahlen all derer, die auf den Inseln festsitzen, und angesichts der gefahrvollen Situation gerade jetzt zu Corona-Zeiten ist das einfach peinlich. Da gilt es, einzuschreiten und zu helfen.“

Allerdings sei da „nicht nur Deutschland gefragt, sondern alle EU-Staaten“, so der Erzbischof. Und er machte im Gespräch mit dem Domradio klar, dass es bei seinen Gesprächen mit Regierung und Behörden nicht nur um die griechischen Lager und das Thema Familiennachzug geht.

Im Lager Moria
Im Lager Moria

„Man darf das Wort der Kirchen nicht unterschätzen“

„Daneben setzen wir uns natürlich auch dafür ein, dass die Menschen, die zu uns kommen, zum Beispiel Zugang zu Bildungsangeboten bekommen, dass die Frauen gefördert werden, die ja oft in Sachen Sprachförderung vernachlässigt werden. Wir setzen uns für die Rechte der Frauen ein, aber auch gerade für die der Kinder. Wir versuchen, an mehreren Ecken anzupacken und Beiträge zu leisten für diese Menschen, die in wirklich ganz prekären Verhältnissen leben.“

Aber stößt die Kirche mit ihrer Lobbyarbeit für Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende überhaupt auf offene Ohren bei den Entscheidern? Doch, das tut sie, sagt Heße.

„Man darf das Wort der Kirchen nicht unterschätzen. Und man muss klar sagen, dass wir ja hier auch ökumenisch gemeinsam unsere Überzeugungen vertreten. Auf katholischer Seite arbeiten wir zum Beispiel im Verbund mit der Caritas. Es sind also verschiedene Player am Werk, und wir unterstützen sie. Jeder Diözesan-Bischof wird es auf seine Weise in seiner Diözese tun, um sich für die Flüchtlinge einzusetzen.“

Engagement für Flüchtlinge geht auch in Pandemie-Zeiten weiter

Während des digitalen Flüchtlingsgipfels hat sich Erzbischof Heße bei allen bedankt, die in der kirchlichen Flüchtlingshilfe aktiv sind: „Unter erschwerten Bedingungen haben Sie sich in den vergangenen Wochen – beherzt und kreativ – für die Anliegen schutzsuchender Menschen eingesetzt.“ Von dem Gipfel gehe ein klares Signal aus: „Auch in Zeiten der Pandemie setzen wir unser Engagement für Flüchtlinge fort!“

(domradio/dbk/vatican news – sk)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

25. Juni 2020, 10:24