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Mutter Christiana Reemts OSB, Äbtissin von Mariendonk Mutter Christiana Reemts OSB, Äbtissin von Mariendonk 

Corona-Krise: Deutsche Äbtissin rät zu weniger Medienkonsum

Die deutsche Benediktiner-Äbtissin Christiana Reemts rät Menschen in der unfreiwilligen Klausur der Ausgangssperre, ihren Medienkonsum zu zügeln. „Schauen Sie nur einmal am Tag, wie die Fallzahlen gestiegen sind, hören Sie nicht ständig, was irgendwelche Experten sagen, sondern tun Sie auch noch etwas, was wirklich gut für Sie ist“, sagte die Äbtissin von Mariendonk. Im Gespräch mit uns erklärt Schwester Christiana Reemts auch, wie die Seuchensituation das Gebet in einer Klausur verändert und eindringlicher macht.
Zum Nachhören

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Radio Vatikan: Mariendonk ist als Benediktinerinnenkloster gastfreundlich – aufgrund der Corona-Krise ist diese Gastfreundschaft aber gerade unterbrochen. Wie empfinden Sie das in Ihrer Klostergemeinschaft?

Äbtissin Christiana Reemts: Tatsächlich, die Situation ist für uns seltsam und in dieser Form noch nie dagewesen. Gäste gehören zu uns! Und auf einmal sind alle Betten leer. Aber ich denke, es gibt eine andere Form der Gastfreundschaft, eine innere Gastfreundschaft, wo wir Menschen jetzt eben kein Bett im Kloster, sondern einen Platz in unserm Herzen geben. Insofern hat die Situation auch eine andere Seite: die Verbundenheit, die wir sonst durch unsere Gastfreundschaft ausgedrückt haben, die wird nicht weniger, sondern die wächst eher.

Radio Vatikan: Immer mehr Länder Europas verhängen Ausgangssperren zur Eindämmung der Pandemie. Das ist notwendig, aber eben auch ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit. Sie leben mit Ihren Mitschwestern in einer Art selbstgewählter Ausgangssperre, eben in Klausur. Was schätzen Sie daran?

Äbtissin Christiana Reemts: Ich würde sagen, zunächst die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche und das heißt auf Gott und die Menschen zu konzentrieren. Wir versuchen das zu tun, was der Heilige Gregor der Große in der Lebensbeschreibung des Heiligen Benedikt das „Bei sich Wohnen“ nennt. Tatsächlich haben wir ja eine Art Wüste gewählt, oder in einem moderneren Ausdruck das, was man kreative Monotonie nennen können. Das heißt, ein Leben, das gerade dadurch, dass es nicht ständig Abwechslung und Zerstreuung bietet, uns fähig macht, wirklich schöpferisch zu sein, wirklich zuzuhören, wirklich das zu tun, was wir im Tiefsten wollen.

„Sich eine Struktur zu geben, könnte gerade in dieser Situation auch für viele andere Menschen eine große Hilfe sein“

Radio Vatikan: Zum Leben in Klausur gehört der strukturierte Tagesablauf mit festen Gebetszeiten, festen Essens- und Schlafzeiten. Das ist außerhalb von Klöstern unüblich geworden. Wozu verhilft ein minutengenau geregelter Tagesablauf? Was lässt sich daraus lernen, wenn man zu Hause in unfreiwilliger Klausur ist?

Äbtissin Christiana Reemts: In unserer Lebensform muss man sich die Zeit für das, was man wirklich möchte, was einem wirklich wichtig ist – Gebetslesung, aber auch Zeit für anderes – die muss man sich nicht täglich mühsam freischaufeln, sondern die Zeit ist bei uns vorgesehen und in gewisser Weise geschützt. Wenn mir Gäste eine ähnliche Frage stellen, sage ich oft: Kloster ist nichts für die ganz starken, sondern eher für die Menschen, die sagen, ich brauche eine Struktur, um wirklich das tun zu können, was ich mir vorgenommen habe. Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich eine Struktur zu geben gerade in dieser Situation auch für viele andere Menschen eine große Hilfe sein könnte.

Radio Vatikan: Inwiefern?

Äbtissin Christiana Reemts: Struktur hilft, nicht völlig den Medien und dem Starren auf die Fallzahlen zu verfallen. Ich würde Menschen vorschlagen, schauen Sie nur einmal am Tag, wie die Fallzahlen gestiegen sind, hören Sie nicht ständig, was irgendwelche Experten sagen, sondern tun Sie auch noch etwas, was wirklich gut für Sie ist und was Sie weiterbringt.

„Uns wird in diesen Tagen deutlich, dass unser Gebet keine Privatsache ist, sondern ein Auftrag der Kirche und Gottes zum Heil der ganzen Welt“

Radio Vatikan: In ganz Deutschland können keine öffentlichen Gottesdienste mehr stattfinden. In den Klöstern schon, weil es feste Gemeinschaften mit immer denselben Teilnehmenden sind. Wenn Sie sich die eucharistische Not vieler katholische Gläubiger in diesen Tagen und Wochen vergegenwärtigen: In welchem Bewusstsein feiern Sie als Nonnen die Eucharistie?

Äbtissin Christiana Reemts: Uns wird in diesen Tagen etwas deutlicher, was wir als theologische Wahrheit eigentlich immer gewusst haben, aber manchmal muss sich im Äußeren etwas ändern, dass man es auch existentiell begreift. Ich denke, uns wird in diesen Tagen deutlich, dass unser Gebet keine Privatsache ist, sondern ein Auftrag der Kirche und Gottes zum Heil der ganzen Welt. Wir stehen nicht nur für uns vor Gott, sondern stellvertretend für alle. Wir beten nicht nur darum, dass wir in Mariendonk gesund bleiben, sondern wir beten für alle Menschen. Das wissen wir im Grund immer, aber meinen Mitschwestern und mir wird es jetzt fast bei jedem Psalmvers bewusst. Wenn wir zum Beispiel beten: Sei mir gnädig, Herr, ich sinke dahin, heile mich, Herr. Meine Seele ist tief verstört. Du aber Herr, wie lange zögerst du noch? Das sind die Psalmen, gegen die wir uns vielleicht in anderen Situationen wehren, weil sie so hart sind – jetzt erhalten sie eine neue Relevanz.

Radio Vatikan: Sie haben mit Ihren Mitschwestern vor einigen Tagen ein Seelsorge-Telefon in der Corona-Krise eingerichtet. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen damit?

Äbtissin Christiana Reemts: Es gibt schon viele Menschen, die anrufen, fast noch mehr schreiben E-Mails. Ich glaube, das allergrößte Bedürfnis ist im Moment, dass Menschen einfach ihre Situation schildern möchten, wie sie leben, was ihre Sorgen und Ängste sind und dass sie uns um Fürbitte bitten. Mehr Mails kommen vielleicht auch deshalb, weil man da nachdenklich schreiben kann, wie es einem geht. Dafür braucht man jemanden, von dem man weiß, dass er oder sie das wirklich mit vor Gott bringt.

„Wir brauchen auch Eventmanager, Fußballspieler und Tätowierer. Aber die eigentlichen Helden sind in der jetzigen Situation andere“

Radio Vatikan: Wenn Sie ein paar Monate in die Zukunft schauen, was erfüllt Sie mit Hoffnung? Was können wir miteinander aus diesen Wochen, dieser Fastenzeit 2020, gelernt haben?

Äbtissin Christiana Reemts: Ich würde mir schon wünschen, dass sich unsere Prioritäten verändert haben. Dass wir ein Stück gelernt haben, das Wesentliche von Unwesentlichem zu unterscheiden. Vielleicht würde es eine neue Wertschätzung der Sakramente, besonders der Eucharistie geben. Sicher nicht gesamtgesellschaftlich, aber vielleicht zumindest bei den Katholiken. Ich würde mir wünschen, dass wir gelernt haben, nicht so sehr in der Zukunft zu leben, sondern das Hier und Heute mit Dankbarkeit und Freude zu ergreifen. Ich würde mir ein neues Bewusstsein dafür wünschen, wie sehr wir einander brauchen und wie gut es ist, sich live begegnen zu können. Und ich könnte mir vorstellen, dass eine andere Dankbarkeit in uns hochkommt, wenn wir unsere Freiheit neu gewonnen haben. Und last not least: Vielleicht könnten wir in Zukunft Ärzten, Pflegepersonal, Verkäufern und Verkäuferinnen bis hin zu den Arbeitern, die in den Fabriken Toilettenpapier herstellen, mehr Respekt entgegenbringen und sie besser bezahlen. Ich denke, wir brauchen auch Eventmanager, Fußballspieler und Tätowierer. Aber die eigentlichen Helden sind in der jetzigen Situation andere. Und das sollten wir nicht vergessen haben.

„Die Kirche sollte gerade jetzt, wo wir auf Ostern zugehen, deutlich das Evangelium verkünden“

Radio Vatikan: Wo sehen Sie die Kernaufgabe der katholischen Kirche in dieser Krise?

Äbtissin Christiana Reemts: Die Kernaufgabe ändert sich nicht, aber vielleicht wird sie im Moment deutlicher. Die Aufgabe unserer Kirche ist es, eine lebendige Hoffnung vorzuleben, den Menschen Zuversicht zu geben und sie zu ermutigen. Selbst wenn Menschen sterben, sollten wir, wie der heilige Paulus sagt, nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wir haben eine Hoffnung, die über den Tod hinausreicht, und das ist keine billige Vertröstung, sondern das ist die Zusage unseres Herrn Jesus Christus. Wir sollten als Kirche in dieser Situation fürbittend für die ganze Welt vor Gott stehen. Was ich schwer finde: Wir sollten den Kranken und Sterbenden beistehen, und das ist jetzt im Moment manchmal nicht möglich, dafür habe ich keine wirkliche Antwort. Und die Kirche sollte gerade jetzt, wo wir auf Ostern zugehen, deutlich das Evangelium verkünden. Der Herr ist auferstanden, er lebt und er tritt beim Vater für uns ein.

 

(vatican news)

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25. März 2020, 09:05