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Ein neues Atom-U-Boot der französischen Marine wurde vor einer Woche vorgestellt Ein neues Atom-U-Boot der französischen Marine wurde vor einer Woche vorgestellt 

D: Aufrüstung wegen Suche nach globaler Machtbalance

Papst Franziskus hat es bei der Generalaudienz an diesem Mittwoch abermals wiederholt: Es findet weltweit ein Aufrüsten der Atommächte statt und jeden Tag werden immer mehr neue Waffen produziert. Der Experte für Rüstungskontrolle und frühere Oberst der Bundeswehr Wolfang Richter von der Stiftung „Wissenschaft und Politik“ erläutert im Gespräch mit Radio Vatikan, weshalb dieses Phänomen derzeit wieder zunimmt. Richter arbeitet auch zu Fragen der europäischen Sicherheit, der Regionalkonflikte und neuerdings auch über das NATO-Russland-Verhältnis.

Radio Vatikan: Derzeit nimmt ja die Aufrüstung wieder weltweit, aber auch in Europa allgemein zu. Nicht nur die bisherigen Atommächte beschaffen sich neue Waffen, auch die regionalen Mächte. Meine Frage an Sie: Weshalb? Was sind denn die Gründe dafür, dass immer mehr auch regionale Kräfte aufrüsten und sozusagen zu regionalen Weltmächten werden wollen?

Richter: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass es eine ganze Reihe von regionalen Konflikten gibt, die sich mittlerweile zu Großkonflikten ausgeweitet haben und sich verschärft haben. Also ich nenne mal den Konflikt um Syrien, Irak und Libyen, zeitweise die ganze Region Naher Osten und Nordafrika. Hier gibt es natürlich mehrere Gründe. Einmal geht es um regionale Vormachtstellungen, um regionale Geopolitik, und die Involvierung von Mächten der Region wie Iran, Israel, Saudi-Arabien. Aber auch Großmächte wie Russland, USA, und auch europäische Mächte intervenieren dort.

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Der andere große Konfliktherd derzeit ist das Südchinesische Meer, in dem wir einen chinesischen Versuch sehen, sich eine Vormachtstellung zu verschaffen, um amerikanische Interventionsflotten außerhalb der Region zu halten. Ein dritter Konfliktherd betrifft Europa selber. Das ist der Ukrainekonflikt, der seine Schatten auf das Baltikum wirft, weil die NATO glaubt, ein solches Szenario könnte sich im Baltikum wiederholen.

Und so könnte man also eine ganze Reihe von weiteren Konflikten hier dazu aufzählen, aber das sind glaube ich die wichtigsten. Wir sehen also eine Rückkehr von Großmacht- und Geopolitik. Es geht um ein globales Ringen um Machtbalance, es geht um Dominanzstreben, oder ein unterstelltes Dominanzstreben, und um einen Versuch, insbesondere von Moskau und Peking, dem gegenüber ein System der "Multipolarität" aufrecht zu erhalten, also gleichgewichtige Machtzentren. Und insgesamt beobachten wir einen Abschied dieser großen Mächte vom Multilateralismus und damit auch eine Abkehr von der regelbasierten Weltordnung. Das alles verschärft diese Konflikte. Und leider müssen wir dann feststellen, dass während diese Konflikte sich verschärfen, die Rüstungskontrolle an Bedeutung verloren hat. Eine ganze Reihe von Verträgen ist außer Kraft getreten während der letzten zwanzig Jahre, der jüngste ist der INF-Vertrag.

Wir beobachten also eine Erosion der Rüstungskontrolle leider in einer Zeit, in der es eine neue Raketenrüstung und eine Rückkehr der nuklearen Abschreckung gibt. Und das sind gegenläufige Entwicklungen, die natürlich nicht guttun. Das heißt, wir müssen versuchen, die Rüstungskontrolle wieder in Gang zu setzen, und auch das Prinzip der strategischen Zurückhaltung: Dem müssen wir wieder Geltung verschaffen.

Radio Vatikan: Wie sehen Sie denn die Rolle Europas, wie verhält sich diesbezüglich Westeuropa, von Deutschland, Frankreich in diesem ganzen Wirrwarr von Geopolitik?

Richter: Zunächst einmal muss man sagen: Europa gehört eigentlich nicht zu den vorrangigen Treibern des qualitativen Rüstungswettlaufs, in dem es um die Erhaltung des Technologievorsprungs aus amerikanischer Sicht geht, oder um die Angst Moskaus und Pekings, die Parität oder die Zweitschlagfähigkeit zu verlieren. Das sind Kategorien, in denen Europa glücklicherweise nicht denkt. Obwohl natürlich europäische Staaten, nicht Europa als Ganzes, aber europäische Staaten, auch in bestimmten Regionen als Interventionsmächte involviert sind.

Insgesamt sind jedoch die transatlantischen Beziehungen Europas zu den USA gegenwärtig belastet, nicht zuletzt auch durch das Verhalten des aktuellen amerikanischen Präsidenten. Aber Europa ist halt tief gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sagen, die USA sind eine Macht, die nicht gleichzusetzen ist mit dem gegenwärtigen Präsidenten - das heißt, die Beziehungen sind tiefer und gehen viel weiter, und führen auch in die Zukunft. Während andere daran eher Zweifel haben und über die strategische Autonomie Europas reden. Das ist eher eine französische Position. Dann haben wir auch noch den Brexit als Sonderproblem. Das heißt: Europa hat nicht immer eine einheitliche Meinung und ein einheitliches Verhalten zu diesen Regionalkonflikten, und daran muss Europa arbeiten.

Radio Vatikan: Wie verhalten sich denn die Vereinten Nationen? Gibt es da auch Bestrebungen, gegen die Aufrüstung vorzugehen? Gibt es irgendwelche Erfolgsmeldungen von Seiten der UNO zur Abrüstung?

Richter: Also zunächst mal hat ja auch der UNO-Generalsekretär Guterres diesen neuen qualitativen Rüstungswettlauf beklagt, aber auch die verschiedenen Konflikte, die wir gerade thematisiert haben. Und er hat auch die Erneuerung der Rüstungskontrolle gefordert. Die Vereinten Nationen haben ja eigene Rüstungskontrollforen. Dazu gehört insbesondere der erste Ausschuss der Generalversammlung, dazu gehört aber auch die UN-Abrüstungskommission, die immer im Frühjahr tagt, und dazu gehört natürlich das zuständige Forum der Abrüstungskonferenz in Genf.

Wir werden im Mai nächsten Jahres die Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag haben. Diese Überprüfungskonferenz wird leider voraussichtlich ohne Ergebnis enden. Denn es stehen hier zwei Staatengruppen gegenüber. Die einen, die nach wie vor auf nukleare Garantien insbesondere durch die USA hoffen, und damit also an Nuklearwaffen und an der nuklearen Teilhabe festhalten wollen. Dagegen argumentiert eine große Staatengruppe, die nicht in Blöcken organisiert ist, jetzt in Richtung des neuen Vertrages über das Verbot von Nuklearwaffen. Sie sagt, die Großmächte, die Nuklearmächte nehmen ihre Abrüstungsverpflichtungen nach Artikel 6 des NVV nicht ernst.

Und deswegen gibt es ja diesen neuen Verbotsvertrag seit 2017, der möglicherweise im nächsten Jahr im Kontext der NVV-Überprüfungskonferenz noch mehr Staaten bewegen wird, diesen zu ratifizieren. Wenn 50 Ratifikationen erreicht sind, dann wird der neue Verbotsvertrag in Kraft treten. Das wird die Staatengemeinde des Nichtverbreitungsvertrags voraussichtlich spalten, weil die eine Seite sagt, wir wollen Nuklearwaffen generell stigmatisieren und als Verbotsgegenstand behandeln, während die andere eben auf der nuklearen Abschreckung beharrt und ihre regionale Sicherheit davon abhängig macht, dass die Amerikaner insbesondere - aber es gibt auch andere - diese Nukleargarantien aufrechterhalten.

Was ich glaube, was jetzt zu tun ist: Der Vertrag über strategische Nuklearwaffen (New START, Anm. d. Red.) zwischen Russland und den Vereinigten Staaten muss dringend verlängert werden. Denn wenn das nicht geschieht, dann sind wir im Jahr 2021, und zwar schon im Februar, also jetzt in 14 Monaten, in einer Situation, in der dieser Vertrag ausläuft und damit nicht mehr gültig ist. Dann hätten wir eine Lage, die es seit 1972 nicht mehr gab, nämlich eine Welt, in der Nuklearwaffen nicht mehr rechtsverbindlich begrenzt sind und verifiziert werden. Das muss verhindert werden. Also es muss jetzt ein Signal kommen, auch mit Blick auf die NVV-Überprüfungskonferenz, dass die Großmächte ihre Abrüstungsverpflichtung ernst nehmen und an der Rüstungskontrolle festhalten wollen.

Radio Vatikan: Glauben Sie, dass man hier moralisch vorgehen kann, also dass irgendwelche Persönlichkeiten wie der Papst oder die Bundeskanzlerin die beiden Kontrahenten dazu bewegen könnten?

Richter: Ich glaube, das ist eher schwierig. Zwar soll man nicht unterschätzen, welche moralische Wirkung es hat, wenn der Papst etwas sagt und wenn er fordert, dass die Welt diesen Rüstungswettlauf abbremsen und einstellen muss. Und dass man eben der Rüstungskontrolle wieder zum Durchbruch verhilft. Das betrifft natürlich auch die Bundeskanzlerin. Allerdings muss man hier deutlich sagen: Während der Papst aus moralischer Warte ein Wort mit großer Autorität sprechen kann, ist die Bundeskanzlerin natürlich die Kanzlerin Deutschlands, das nach wir vor ein Bündnismitglied in der NATO ist, und damit die eigene Sicherheit auch auf nuklearen Garantien, zumindest derzeit noch, abstützt. Damit ist auch die nukleare Teilhabe im Verhältnis Deutschland-USA noch gültig. Das ist eine schwierige Position, weil Deutschland gleichzeitig für die Abrüstung eintritt. Wie man das unter einen Hut bringen kann, ist also nicht so leicht zu beantworten. Deswegen würde ich auch das moralische Wort des Papstes nicht vergleichen wollen mit dem der Bundeskanzlerin.

Wir haben zwar derzeit einen qualitativen Rüstungswettlauf, noch keinen quantitativen - wie ich vorhin schon betont habe, geht es den USA vor allem darum, den Technologievorsprung zu erhalten, das ist ihr erklärtes Ziel. Doch gleichzeitig löst man damit Ängste in Moskau, Peking und anderen Hauptstädten aus, dass man die Parität oder die Überlebensfähigkeit der eigenen Nuklearwaffen verliert, oder, wie man auch sagt, die Zweitschlagfähigkeit. Dort glaubt man, dass man dann politisch erpressbar wäre, und darum geht es.

Aber dies sind die Treiber des Rüstungswettlaufes, und den kann man eigentlich nur dadurch vermindern oder mildern, wenn man sich wieder zur Rüstungskontrolle bekennt, was ja seit den frühen siebziger Jahren Teil der Politik der alten Sowjetunion und der USA war. Und wir beobachten jetzt eine gewisse Abkehr von dieser heilsamen Wirkung der Rüstungskontrolle. Das heißt, wir müssen alles tun, damit die Idee der Rüstungskontrolle wieder politisch Raum greift. Insbesondere auch in den USA, wo das am meisten infrage gestellt wird. Wir müssen also eine Politikwende erreichen, nicht Verträge aufzulösen, wie das in den letzten Jahren der Fall war, sondern uns wieder bereitfinden, Verträge abzuschließen, natürlich immer unter der Maßgabe, dass die Frage der strategischen Zurückhaltung glaubwürdig und reziprok beantwortet wird und dass sich beide Seiten gleichermaßen verpflichtet fühlen.

Das Gespräch führte Mario Galgano.

(vatican news)

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18. Dezember 2019, 13:24