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Die Philosophin Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz Die Philosophin Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz 

Unser Sonntag: Der „göttliche Jagdhund”

Gott komme oft in Bedrängnissen, meint die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in ihrer Betrachtung zum Sonntagsevangelium. Der „göttliche Jagdhund“ treibe uns so lange in die Enge, bis er uns gestellt habe. Enge meint: sich einsam wie ein Schaf in der Steppe verlaufen, ohne Sonnenschutz, ohne Quelle. Aber die göttliche Liebe steigt auch hinab in unsere nächtlichen Gassen - um uns zu holen.

Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Lk 15, 1–32

Gott sucht uns - stimmt das? Dass wir ihn suchen und nicht finden, nicht rasch finden, gehört eher in die normale Erfahrung. Wieso bemerken wir seine Suche so selten? Könnte es sein, dass wir die Zeichen überlesen, die seine Nähe verraten? Oft kommt er nämlich in Bedrängnissen.

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Der englische Dichter Francis Thompson (+1907) sprach vom „göttlichen Jagdhund“, der uns so lange in die Enge treibt, bis er uns gestellt hat. Enge meint: sich einsam wie ein Schaf in der Steppe verlaufen, ohne Sonnenschutz, ohne Quelle, ohne Kräuter, oder Enge meint: wie ein Geldstück in eine Ritze rollen und darin eingeklemmt bleiben.

Gott findet uns, wenn sich das Verlorene nicht verschanzt im Unglück

Oder beim verlorenen Sohn: sich mit den Schweinen um das Essen streiten. Oder: in der Krankheit nicht aus noch ein wissen. Im Beruf abstürzen. In der Beziehung auf einen Bruch zusteuern. Alles ausweglos.
Und dann wird Er uns finden. Automatisch? Nein, sondern: wenn das Verlorene, das Verzwickte sich nicht verschanzt in seinem Unglück: Mir kann doch keiner helfen. Oder verzweifelt: Ich schmeiße alles hin. Unvergeßlich ist ein Vortrag, in welchem ein älterer Zuhörer sichtlich aufatmete, langsam die Schultern hob und hingegeben zu lauschen begann. In der Pause aber hingen seine Schultern wieder nach unten, und er murmelte vorwurfsvoll: „Ich laß mir doch von Ihnen mein Unglück nicht nehmen.“ Schon Platon wußte, wie gerne wir in der Höhle der Schatten sitzen - draußen blendet nur die Sonne. Dem Blinden ist das Dunkel Heimat. Wer vom Licht erzählt, versteht angeblich nichts vom Leben…

„Aber der Jagdhund ist schon unterwegs zu uns; er kennt die Steppe, er sucht rastlos.“

Aber der Jagdhund ist schon unterwegs zu uns; er kennt die Steppe, er sucht rastlos. Man muß ihn nur rufen, und wenn es ein kraftloses Flüstern ist. Nie werden wir wie ein nasser Sack von Gott mitgeschleift, ob wir wollen oder nicht - er braucht es, er will gerufen werden, er sehnt sich danach. Dann wird der Satz wahr, dass „Gott sich jäh in der Umkehrung offenbart, in Abgrund, Wunde und Leere“ (so Botho Strauß). Das ist Trost. Gib dich mir, sagt er dann einfach. Laß Dich fallen. Laß alles fallen, Gepäck, Brille, und dann fall nur noch in meine Arme.

Gebet muss nur noch Durst sein...

Ganz selten machen wir uns klar, daß Gott geliebt werden will. Oder in der Vorstufe: daß er gesucht, gerufen werden will. Daß er uns nur „stellt“, damit wir endlich, notgedrungen seinen Namen nennen. Simone Weil, die jung verstorbene Philosophin mit einem ganz eigenen Weg zu Gott, fragte sich, warum Gott unsere Gebete so selten erhöre. Die Antwort war: Weil wir meist um dies oder jenes bitten, um etwas Zusätzliches, um ein paar Nettigkeiten. Aber wenn das Gebet nicht mehr um irgendetwas bittet, heute dies und morgen das, sondern wenn es nur noch Durst ist, nur noch Schrei nach Wasser, nur noch ein einziger Schrei, dann hört er uns. Dieser Schrei wird immer gehört, sagte sie.

Andere Religionen sprechen kaum davon, daß die Götter überhaupt lieben. Götter sind gleichgültig, so bei den Griechen, sie schauen aus ihrer eigenen Seligkeit kalt oder höchstens mitleidig auf uns, oder sie sind hinterhältig, stellen Fallen und führen in die Irre, so der ägyptische Seth; sie lassen sich bezahlen durch unentwegte Opfer. Paul Claudel, lange als Botschafter Frankreichs in Peking tätig, schreibt den düsteren Text:

„Von wem eine Zuflucht erbitten? zu welchen Göttern die Hände heben?
(…) Es gibt keine Hilfe bei den Göttern.
Ihr Wille ist ungewiß, ihre Auswirkung furchtbar, und wer entwirrt ihre Vielzahl?
Sie fordern unersättlich, wir sind vor ihnen wie Kinder in der Hand eines Fieberkranken, und in der Stunde der Not lassen sie uns allein.
Im Innern des düsteren Tempels mit seinem schwarzen Hohlraum über dem heiligen Stein,
Und während die Asche des Weihrauchs anwächst bis an die Ränder, liegen wir auf dem Boden, stockenden Herzens,
Und reden wie (ein Zager) Einer, der einem argen Gewaltherrn schmeichelt.
Doch die - vergebens haben wir ihnen die Wangen vergoldet, uns zu Häupten hockend, blicken sie grinsend auf uns.“

Die alte Welt kennt Götter als Dämonen...

Die alte Welt kennt ihre Götter auch als Dämonen, gut und böse verwirren sich unentwirrbar. In der Tiefe der alten Religionen findet sich Angst. Denn furchtbar sind die Götter, schaudererregend. „Die Götter haben das letzte Wort. Sie heben dich in die Höhe, wenn du auf der dunklen Erde liegst, sie werfen dich auf den Rücken, hast du erst einmal Fuß gefaßt“, weiß der Grieche Archilochos 700 Jahre v. Chr. Ja, es gibt die Angst vor den Göttern, vor ihrer undurchschaubaren Macht, ihrer dämonischen Zweideutigkeit: gut und böse, Leben und Tod werfen sie durcheinander, sie verstricken den Menschen in Schuld und strafen ihn dann ab... Der Angst antwortet das Opfer, um sie immer wieder mit kostbaren Gütern zu beschwichtigen, auch mit Menschenopfern – das ist die Grundgeste vieler Religionen.

...aber Gott ist gut

Israel ist das Volk, das nicht ein blindes, sondern sehendes, erprobtes, durch Feuer und Wasser gegangenes Vertrauen gegen die Angst vollzogen hat. Denn die Macht des einen Allmächtigen wird durch Rechtheit und Barmherzigkeit bestimmt; die Wirklichkeit des Heilig-Guten und das Unwiderstehliche seines gerechten Gerichts enthält keine versteckte Bosheit mehr. Gott ist gut.
Allerdings: Auch Israel kennt Gott als furchtbar, und es erzieht seine Kinder zur Gottesfurcht, aber vor einem anderen Hintergrund. Zu fürchten ist nicht mehr das Unberechenbare und Willkürliche, sondern der furchtbare Schmerz der verletzten Liebe, der unbeugsamen Treue, die auf die Untreue des Volkes trifft. Er ist das Licht, das hier fordert, nicht die Bosheit, die verunsichert. Das Neue an Gott bedeutet nicht, daß er seine Stärke oder Unzugänglichkeit einbüßt. Seine Gutheit ist gerade nicht „zahnlos“; sie wird durchaus bedrängend erfahren. Aber die Strenge der Forderung läßt sich als Anspruch der Liebe erkennen:

„Jede Liebe, auch Seine Liebe will wiedergeliebt werden“

Jede Liebe, auch Seine Liebe will wiedergeliebt werden. Und so fürchtet sich Israel, Gott zu beleidigen – mit unserer engen, ängstlichen Abwehr. So sehr Er gegen uns anstürmt: Die Tore der Hölle werden von innen zugehalten. Mißtrauisch, eigensinnig, frech, dumm (denn Bosheit ist dumm).
Gerade große religiöse Wahrheiten bedürfen – ihrer Größe wegen – des vielleicht erschütternden Durchgangs durch eine Wüste: Erst dann kann die Tröstung kommen, erst dann weiß der Geprüfte, was er weiß. Viele Menschen, vielleicht alle, tragen in sich eine Wüste, die im Lauf des Lebens wächst. Darin liegt die sinnbildliche Bedeutung des Finsteren der Sünde: verdorrter Wille, ersticktes Gutsein, welke Liebe, die „einst wie Rosen roch“, Sandberge des Unbewältigten, das nie mehr abgetragen wird. Aber gerade weil es die Höhlen gibt, worin alte Schuld verrottet, weicht man der eigenen Wüste aus. Wagt es wirklich jemand, uns davon zu erlösen? Ist es unvorstellbar, zitternd vor Freude die eigene Wüste aufblühen zu sehen?

Kein Gericht: nur das Licht bricht ein

Über die unerschöpfliche Gestalt Jesu, wie sie durch die Augenzeugen umkreist wird, fällt ein Wort: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm.“ (1 Joh 1,5) Damit ist alles Unsagbare zusammengefasst. Es gibt kein donnerndes Gericht, keinen rasenden Götterzorn. Nur das Licht bricht ein, auf seine leise Art zwingend. Es wird nicht gerichtet, es wird nur ans Licht geholt. Es wird nicht angeklagt, es wird gelöst. Dann kann sich „in stürzende Tränen ausschütten all dein Leid“ (Nietzsche), das sonst unterdrückt wird. Dann läßt sich abladen und neu aufrichten, die eigene Scham vergessen und wie der verlorene Sohn nach Hause gehen. Und vor niemandem, auch vor sich selbst nicht mehr, Angst haben.
„Herzklopfend heimgekehrt“ kann man die Stunde der Umkehr nennen: in das lang Vergessene, an das Herz der Welt. Die göttliche Liebe selbst ist damals, vielmehr: auch heute „abgestiegen“ in unsere nächtlichen Gassen, um uns zu holen. Ja, rätselhafte Liebe.
Die einzige Furcht, die bleibt, ist die Furcht, ihr wieder weh zu tun.

(vatican news - claudia kaminski)
 

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14. September 2019, 10:10