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RfP: „Nationalismus und Hass sind keine zukunftsfähigen Konzepte“

Noch bis zu diesem Freitag findet in Lindau das große Friedenstreffen „Religions For Peace“ statt. Über 900 Kirchenvertreter aus mehr als 100 Ländern kommen dort zusammen, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Jonas Wipfler von Misereor ist mittendrin: Der Referent für Migration und Menschenrechte erzählt uns von der Stimmung vor Ort. Ein Interview.

Vatican News: Bei der Weltversammlung „Religions for Peace“ kommen über 900 Kirchenvertreter aus der ganzen Welt zusammen: Wie ist die Stimmung vor Ort, wenn so viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen?

Wipfler: Es ist ein sehr buntes Bild, und der Umgang ist wahnsinnig respektvoll. Ich bin sehr beeindruckt davon, wie miteinander umgegangen wird. Auch die verschiedenen Sprachen, dass man sich gut austauschen kann. Gestern Abend gab es zum Beispiel auch ein ganz schönes Bild, weil es eine Tafel unter freiem Himmel mit der Bevölkerung von Lindau zusammen gab. Da sind eben ganz besondere Begegnungen noch einmal möglich geworden.

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Vatican News: Welche Bedeutung hat die Weltversammlung für die Menschen und Gläubigen auf der ganzen Welt?

Wipfler: Ich denke, es ist in Zeiten wie diesen, die in Teilen von Hass und Nationalismus geprägt sind, ein wichtiges Signal. Dass Menschen in der ganzen Welt bereit sind, zu kooperieren und gemeinsam Lösungen für die großen Herausforderungen zu finden, die uns bevorstehen. Das sind eben auch die Themen, die hier auf der Konferenz behandelt werden: der Klimawandel, die Rolle der Frau, wie die Globalisierung gestaltet werden kann. Diese Fragen sind auch für Religionsvertreter/innen wichtig. Für die kann diese Diskussion auch genutzt werden, damit sie die Ergebnisse dann zurück in die Region tragen können.

Vatican News: Sie beschäftigen sich mit Migration und Menschenrechten und haben auch ein Panel in Anwesenheit des UN Flüchtlingshilfswerkes zu diesem Thema gegeben. Inwiefern ist es wichtig, im Zusammenhang mit Religion auch über Migration zu sprechen?

Wipfler: Wenn wir hier dieses Forum haben, wo es um Frieden geht, dann geht es natürlich auch viel um Gewalt und Konflikte und Menschen, die vor diesen Konflikten fliehen. Da treffen ganz oft unterschiedliche Gruppen aufeinander, die sich vorher wenig begegnet sind. Dann geht es eben um die Frage, wie man mit der Unterschiedlichkeit umgeht. Da können religiöse Akteure eine wichtige Rolle in Verständigungsprozessen und in der Erstaufnahme spielen.

Das UN-Flüchtlingswerk hat heute auch noch einmal sehr gewürdigt, dass gerade in Notsituationen, wo noch keine Strukturen von internationaler Seite bestehe, oft die ersten Akteure vor Ort Vertreter aus Religionsgemeinschaften sind, die Strukturen vor Ort haben und die eben schnell aktiv werden können. Zusätzlich muss man sagen, dass in allen großen Religionen die Solidarität und die Bereitschaft, Schutzsuchenden zu helfen, ein zentrales Element ist. Sich das noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und dann in Krisen auch Akteure aus Kirchen und Religionsgemeinschaften zu aktivieren, ist extrem wichtig.

Zudem muss man auch sagen: Natürlich werden manchmal durch diese Fluchtbewegungen Spannungen geschaffen. Auch da können Kirchenvertreter und Religionsgemeinschaften eine wichtige Rolle in der Aussöhnung spielen. Sie haben die Möglichkeit, Kontakte und Dialoge zu schaffen, um einfach insgesamt die Botschaft zu senden, dass Verständigung wichtig ist – gerade in Zeiten, wo so viel Hass in der Welt ist.

Vatican News: Was sind beim Thema Migration die größten Probleme, die in der Zukunft schnell gelöst werden müssen?

Wipfler: Natürlich sehen wir tagtäglich die Bilder, wo es um unmittelbare Erstversorgung geht: also Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Da muss ganz stark noch einmal unterstrichen werden, dass egal unter welchen Umständen jemand unterwegs ist: Für sie sollten die grundsätzlichen Menschenrechte genauso Geltung haben, wie für Menschen, die irgendwo bleiben dürfen. Das heißt aber auch, dass man ganz massiv Menschen retten muss. Dann müssen im zweiten Schritt die politischen Entscheidungen gefällt werden. Auch, dass jeder erst einmal das Recht hat, dass sein persönlicher Fall geprüft wird. Dass dann natürlich politische Entscheidungen danach getroffen werden müssen, ist klar. Jeder Mensch muss Zugang zu politischen Verfahren haben, und die Staaten müssen das auch aufgreifen, schließlich haben sie eine Schutzverantwortung. Genau das sehen wir zum Teil bei unseren Partnerländern verletzt. Da müssen wir uns und unsere Misereor-Partner vor Ort stärker engagieren.

Vatican News: Kann man bei so vielen Religionsvertretern und so vielen verschiedenen Themen wirklich in die Tiefe gehen, auch gemeinsame Entscheidungen fällen?

Wipfler: Ich würde sagen, das ist je nach Thema immer sehr unterschiedlich, wie sehr man in die Tiefe gehen kann. Mein Eindruck ist, dass es erst einmal darum geht, sich zu verständigen, damit man eine gemeinsame Grundlage hat. Dabei muss man diese Werte noch einmal definieren und gemeinsam und kooperativ die großen globalen Themen angehen. Ich habe das Gefühl, neben den großen Plenardebatten gibt es am Rande ganz viele Gespräche, wo es dann auch um konkrete Projekte geht.

Auch wir werden angesprochen zu konkreten Projektförderungen im Rahmen der Konferenz. Aber nicht im Plenum, dann eher im privateren, kleineren Teil der Runden. 

Vatican News: Was erhoffen Sie sich von dieser Weltversammlung? Mit welchen Erfahrungen und vielleicht auch Ergebnissen würden Sie gerne hier rausgehen?

Wipfler: Ich glaube, es geht vor allem darum, Begegnungen zu schaffen und Netzwerke aufzubauen, die wir auch in Zukunft nutzen können. Auch wir lernen hier jede Menge neue Leute kennen, die aus allen Ecken der Erde stammen und ganz neue Ideen mitbringen. Gleichzeitig sollten wir dieses Forum als Bestätigung sehen, dass es globale Lösungen braucht, und mit neuer Kraft und neuen Initiativen weiterarbeiten. Aber natürlich sehen wir, dass die großen globalen Herausforderungen, die Klimakrise und die Globalisierung, nur gemeinschaftlich gelöst werden können oder angegangen werden müssen. Das ist, glaube ich, das Symbol, das jetzt erst einmal im Vordergrund steht: Dass Nationalismus und Hass keine zukunftsfähigen Konzepte sind, sondern dass es um Kooperation und Zusammenarbeit der Religionen geht.

Das Gespräch führte Viktoria Michelt 

(vatican news)

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22. August 2019, 15:11