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Kürzlich hat Deutschland die Eintragung eines dritten Geschlechts im Pass ermöglicht Kürzlich hat Deutschland die Eintragung eines dritten Geschlechts im Pass ermöglicht 

Theologin findet Gender-Dokument zu selbstreferentiell

Was bedeutet es, männlich oder weiblich zu sein? Am Pfingstmontag hat die Kongregation für das katholische Bildungswesen ein Dokument veröffentlicht, mit dem es die Position der Kirche zur so genannten „Gender-Debatte“ deutlich machen will.

Fabian Retschke - Vatikanstadt

Im Gespräch mit Vatican News erklärt Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik an der Universität Osnabrück und spezialisiert für das christliche Menschenbild und Geschlechterfragen, dass die Bildungskongregation damit aus ihrer Sicht hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückbleibt.

„Also es herrscht Unkenntnis vor, auch ganz starke, aufgeheizte Stimmung im Blick auf diesen Genderbegriff“, erklärt die Dogmatikprofessorin im Interview. Darum sei der Versuch einer Klärung wichtig. Das Schreiben verstärke zum Glück nicht den aggressiven Ton einiger Gender-Ideologie-Papiere, sondern sei eher „eine nüchterne Annäherung“.

Zum Nachhören

Das Schreiben, dass am Montag im Vatikan veröffentlicht wurde, trägt den Titel „Männlich und weiblich erschuf er sie: Für einen Weg des Dialogs bei der Genderfrage in der Schule“. Die Autoren wollen im klassischen theologischen Dreischritt „hören, begründen und vorschlagen“, wie sie sagen. Die Dogmatikerin urteilt aber, dass ihnen das nicht ganz gelungen sei:

„Eine nüchterne Annäherung“

„Meine Sorge ist im Blick auf das Dokument, dass eigentlich die Autoren auf die Genderideologie hineingefallen sind, dass sie eigentlich nicht auf dem entsprechenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen usw. diskutierten Stand sind, was den Genderbegriff angeht.“ Den versprochenen Dialog, den es im Titel führt, löse das Schreiben nicht ganz ein, weil es den Gendertheorien vorwerfe, dass bei ihnen biologisches Geschlecht und kulturell-soziales Gender auseinanderfielen. Das „alte, fast auch essentialistische anthropologische Konzept geschlechtlicher Differenzierung“ werde damit fortgeschrieben, so Margit Eckholt.

Wesentlicher Ausgangspunkt der Gendertheorie ist die Vorstellung, dass das Mann- bzw. Frau-Sein nicht ausschließlich von biologischen Bedingungen her bedingt ist, sondern auch gesellschaftlich gewachsene Vorstellungen und Erwartungen einen erheblichen Einfluss darauf haben. Die Theologin Eckholt kritisiert, die Bildungskongregation habe ein „selbstreferenzielles Dokument“ vorgelegt. Da tauchten in den Fußnoten zwar Papst Franziskus‘ Enzyklika Amoris Laetitia oder Karol Wojtyła auf, aber deren Potenzial werde nicht ausgeschöpft.

„[Um den heißen Brei herum geredet]“

Das Dokument, das sich als an die Bildungsverantwortlichen weltweit adressiert versteht, fordert zu einer Erziehung der „Sensibilität für verschiedene Ausdrucksweisen der Liebe“ auf. Doch, so Margit Eckholt, dass an „an keiner Stelle die Rede von Homosexualität“ sei, bedeute hier im Grunde  eine Ausgrenzung von anderen geschlechtlichen Lebensformen“, mit anderen Worten werde „um den heißen Brei herum geredet“.

Dementsprechend würden im Vergleich zu früheren lehramtlichen Äußerungen andere Formen gelebter sexueller Beziehungen, in denen „auch eine solche Partnerschaft auf Treue“ und „eine Gestalt von Familien gebildet“ werde, nicht thematisiert. Deswegen meint die seit 2009 in Osnabrück lehrende Theologin: „Dieses Dokument schließt leider wieder genau diese Tür. Von dort her ist es ein Dokument, das nicht das einholt, was es eigentlich von Anfang auch benennt: Der Einsatz von Kirche gegen jegliche Form von Diskriminierung.“

Zutrauen zur jungen Generation und ihren Suchbewegungen

Das Thema Diskriminierung taucht in dem Dokument durchaus auf: Die Autoren befürchten hinter dem Begriff „Nicht-Diskriminierung“ eine Ideologie, die jede geschlechtliche Unterscheidung leugne. Diesem ihrer Meinung nach unwissenschaftlichen Vorwurf widerspricht Margit Eckholt. Es gehe vielmehr um eine größere Freiheit von der Fixierung auf ein biologisches a priori, also unverfügbare Voraussetzungen. „Von dort her verstehe ich das Dokument nicht, weil da etwas aufgemacht wird, was wie ein Papiertiger inszeniert wird, der so nicht stimmt. Dass Geschlecht, also im Sinne von Gender, jetzt nur eine Gender-Ausprägung ist, also nur sozial-kulturell bestimmt ist, das entspricht ja nicht den Theoriebildungen.“

Mit dem Dokument, so Margit Eckholt, „verkauft sich die katholische Kirche und ihre ganze Tradition eigentlich unter dem Niveau“. Entsprechend den Anliegen der Jugend-Bischofssynode vom letzten Herbst plädiert die Theologin für ein „Zutrauen zur jungen Generation und ihren Suchbewegungen, was die Realisierung ihres Menschseins angeht, in aller Ganzheitlichkeit; es geht auch um Familie, es geht um Gemeinschaft. Ich finde es eigentlich schade, dass dann ein solches Dokument so wenig diese Stimmen von jungen Menschen zu Gehör bringt.“

(vatican news)

Anm.: Die Äußerungen unserer Interviewpartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

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11. Juni 2019, 16:33