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Hamburgs Erzbischof Stefan Heße Hamburgs Erzbischof Stefan Heße 

D: „Grenzzäune sind eine Scheinlösung“

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, in der Bischofskonferenz zuständig für Migrations- und Fluchtthemen, hat in der vergangenen Woche Äthiopien besucht und sich in Flüchtlingscamps über die Lage informiert. Im Interview mit Vatican News berichtet er, wie Spannungen zwischen Flüchtlingen und Bevölkerung zunehmen. Nach den EU-Wahlen befürchtet er, dass die internationale Hilfe nicht einfacher wird.

Fabian Retschke - Vatikanstadt

Herr Erzbischof Heße, Sie haben ja im Vorfeld angekündigt, dass Sie nach Äthiopien reisen würden, um zu lernen. Was haben Sie denn gelernt?

Heße: Es gibt dort unwahrscheinlich viele verschiedene Ethnien und zwischen diesen Ethnien auch durchaus eine ganze Reihe von Spannungen. Diese Spannungen führen zu Auseinandersetzungen und die wiederum führen zu einer hohen Anzahl von Binnenmigration innerhalb von Äthiopien. Von den vier Millionen Flüchtlingen in Äthiopien sind aber drei Millionen Binnenflüchtlinge. Dann habe ich vielleicht auch noch gelernt, dass in diesem Land Flüchtlinge selber zu Akteuren in ihrer eigenen Sache gemacht werden sollten. Also sie zu beteiligen. Ich habe zum Beispiel bei meinen Besuchen in diesen Camps erlebt, dass etwa die Erziehungsarbeit dort mit Lehrern aus dem Kreis der Flüchtlinge geleistet wird.

Zum Nachhören

Was können Sie über die Lage der Flüchtlinge nach ihren Besuchen in diesen Lagern denn sagen. Das Land selbst, ist es nicht ein bisschen überfordert mit dieser Lage?

Heße: Die kommen natürlich an ihre Grenzen in dieser Arbeit mit den Flüchtlingen. Das betrifft zum Beispiel die Versorgung der Flüchtlinge durch die Behörden. Da stellt sich dann die Frage: Wie ist das mit dem Wasser? Wie viel hat man da, wie viel kann man geben? Die Frage nach der gesundheitlichen Versorgung und der Ernährungssituation. Dann ist es natürlich so, dass die örtliche Bevölkerung wahrnimmt, was für die Flüchtlingscamps getan wird. Dieser örtlichen Bevölkerung geht es natürlich auch nicht so besonders gut, sodass die zum Teil sagen: Für die Flüchtlinge wird besser gesorgt als für uns selber und in diesem Sinne entsteht dann Neid. Und das ist dann auch eine schwierige Situation, wo dann gerade auch Kirche eine Instanz ist, die für Versöhnung sorgen möchte. Ja, eine kleine, aber keine unwichtige Instanz. Ich habe wahrgenommen, dass natürlich die äthiopisch-orthodoxe Kirche viel stärker ist – das sind etwas über 40 Prozent der Bevölkerung – aber die orthodoxe Kirche ist im Bereich der Sozialarbeit und der Migrantenarbeit nicht so gut aufgestellt. Da ist dann die katholische Kirche präsent und auch die protestantische, also katholisch-evangelisch kooperiert man da sehr gut.

Wo das Land selbst an seine Grenzen kommt, braucht es sicherlich auch die Hilfe von anderen Ländern in der Region oder gerade auch die Hilfe von Europa…

Heße: Klar ist ja, dass das Flüchtlingsthema ein Kennzeichen unserer Zeit ist. Der Papst hat in seinem Schreiben Christus vivit extra betont, es ist eine „Signatur der Moderne“, der Gegenwart. Wir müssen ferner wahrnehmen, dass  es natürlich ein Thema ist, was man nicht lokal begrenzen und damit abgrenzen kann. Das heißt, es geht uns alle an. Deswegen sind wir als Europäer auch mit im Boot. Wir können Äthiopien eben nicht nur als Handelspartner nehmen. Sondern wir müssen dem Land auch helfen, wenn es um diese elementaren menschlichen Fragen geht.

Jetzt haben wir gesehen, dass immer mehr Menschen bereit sind, auch in der europäischen Union rechte, rechtsextreme Parteien zu unterstützen und auch zu wählen. Was, denken Sie, wird sich jetzt dadurch ändern?

Heße: Ich glaube nicht, dass es dadurch leichter wird, sondern dass es durch das Wahlergebnis eher schwieriger wird. Ich glaube, die Lösung, die Mauern oder die Grenzzäune nur noch höher zu ziehen, ist nur eine vermeintliche Lösung, eine Scheinlösung. Das bringt doch gar nichts. Die Menschen wollen eigentlich ihr Land nicht verlassen, aber das eben nur, weil die Umstände derart unerträglich sind. Es herrscht kein Friede, unter dem man eben normal leben kann, unter dem dann auch Kinder erzogen werden können. Wenn es gelänge, dort für Frieden zu sorgen, dann wäre man einen Schritt weiter. Aber das scheint im Moment in sehr weite Ferne gerückt zu sein. Deswegen glaube ich, können wir nicht wegschauen. Also die Fluchtursachen am Keim anzupacken und zu bewältigen, wäre sicher das allerbeste Mittel. Aber da sieht man eben auch, wie begrenzt die Möglichkeiten sind. Das kann man so einfach gar nicht.

Wäre nicht irgendwie auch die Unterstützung der orthodoxen Kirche, die ja doch deutlich größer ist in dem Land, eine große Hilfe? 

Heße: Meiner Wahrnehmung nach ist die Orthodoxie nicht so gut aufgestellt in der sozialen Arbeit. Das sehen wir ja auch in anderen orthodoxen Nationalkirchen. Was das Miteinander der Konfessionen dort anbelangt, da habe ich durchaus auch unterschiedliche Stimmen gehört. Das scheint auf der offiziellen Ebene irgendwie ganz gut zu gehen. Je weiter man nach unten kommt, umso mehr hatte ich den Eindruck, dass es nicht ganz so einfach ist. Es hängt sicher auch mit der Rolle der Orthodoxen Kirche in Äthiopien im Verhältnis zum Staat zusammen. Aber das scheint für die konkrete Arbeit und fürs Anpacken offenbar kein Weg zu sein, der so leicht offen liegt.

(vatican news)  

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28. Mai 2019, 14:35