Suche

Erri De Luca beim Goliarda-Sapienza-Literaturpreis als Tutor für Häftlinge, die zum Schreiben fanden Erri De Luca beim Goliarda-Sapienza-Literaturpreis als Tutor für Häftlinge, die zum Schreiben fanden  

Unser Buchtipp: Den Himmel finden

Er ist die Stimme in der zeitgenössischen italienischen Literatur. Ein Mann, der jeden Tag damit beginnt, die Bibel auf hebräisch zu lesen. Um den Kopf zu öffnen, wie er sagt. Die Rede ist von Erri De Luca. Der aus Neapel stammende Literat eignete sich das Hebräische im Selbststudium an. Jetzt hat er ein neues Buch herausgebracht. Den Himmel finden.
Zum Nachhören

Christina Höfferer - Vatikanstadt

Erri De Luca ist ein Mann der schlanken Worte. In klarer, knapper und präziser Sprache bringt er allgemein gültige Themen zu Papier. Den Himmel finden ist die parabelhafte Geschichte eines Bergsteigers, der Flüchtenden hilft, Grenzen zu überwinden. Mittels simpler Großzügigkeit.

 

„Hinter der Grenze zeige ich ihnen, wo sie Rast machen, wo sie Transportgelegenheiten finden. Ich gebe ihnen ihr Geld zurück und drehe mich auf dem Absatz um. Ich halte mir die Ohren zu, so verstehen sie, dass ich keinen Dank hören will. Ich bin allergisch, gegen die Thank you.“

 

De Luca ist selbst Bergsteiger. Vor seinem späten Durchbruch als Schriftsteller übte er viele Berufe aus. Immer als Autodidakt. Der Ich-Erzähler in Den Himmel finden betätigt sich neben dem Bergsteigen auch als Bildhauer. In dieser Eigenschaft bekommt er eines Tages eine ungewöhnliche Aufgabe: Er soll bei einer Marmorstatue des Gekreuzigten den nachträglich hinzugefügten Lendenschurz abschlagen und das verloren gegangen Geschlechtsteil der Christusfigur ergänzen. Dem Erzähler gefällt es, als über 60jähriger nützlich zu sein, in einem Alter, das in seiner Berggegend im Irrsinn, im Alkoholdelirium oder im Altersheim endet, wie er sagt. Kein Vater zu sein hat den Vorteil, dass es keinen Sohn gibt, der ihn dort einsperren will, so der Protagonist. Der ihm vom Pfarrer erteilte Auftrag, die Christusfigur zu restaurieren, berührt ihn tief.

 

„Das muss die Wirkung der Kunst sein: sie übersteigt die persönliche Erfahrung, lässt den Körper, die Nerven, das Blut unbekannte Ziele erreichen. Vor diesem nackten Sterbenden wurden meine Eingeweide erschüttert. Ich fühle eine Leere in der Brust, ein Zärtlichkeitswirrwarr, einen Mitleidskrampf. Ich habe eine Hand auf seine Füße gelegt, um sie zu wärmen.“

 

In seinem Text verwebt De Luca die Themen Migration und Glauben. Er sucht und findet das Göttliche im Alltäglichen. Der Gekreuzigte ist in Lebensgröße aus Marmor gehauen, von einem jungen Künstler im frühen 20. Jahrhundert. Der Verurteilte, so erläutert der Auftrag gebende Pfarrer, wurde bei Kreuzigungen nackt ans Kreuz geschlagen. Früher erlaubte man diese Darstellung des Leidens, sogar Michelangelo hat einen nackten Gekreuzigten aus Holz geschaffen. Nach dem Konzil von Trient begann die Kirche die Blöße zu bedecken. So wurde auch an der Statue in Den Himmel finden ein hässlicher Lendenschurz hinzugefügt, und das bei einem Werk, das den Meistern der Renaissance ebenbürtig ist. Jetzt will die Kirche den Originalzustand wieder herstellen und den Lendenschurz entfernen. Die im Buch zentrale Christusfigur wird zu einer Parabel, für eine wahre, nackte, verwundbare und menschliche Kirche.

 

„Ich sage dem Pfarrer, beim Entfernen würde unvermeidlich die Natur beschädigt. „Welche Natur?“ Die Natur, das Geschlecht, so ennen wir in meiner Gegend die Schamteile von Männern und Frauen. „Das ist genau das Problem. Viele Bildhauer, die vor dir gefragt wurden, haben abgelehnt.““

 

De Lucas Ich-Erzähler nimmt die Herausforderung an. Wie alle De Luca Bücher ist auch dieses ein schlankes Werk. Und es schürft tief. Menschlichkeit, Nächstenliebe, das geglückte Leben, sind die Themen, die De Luca immer aufs Neue und immer frisch behandelt. Ein Buch soll zu uns sprechen, wie ein guter Freund, sagt der Autor. Es soll uns ein ehrlicher und wahrhaftiger Weggefährte sein. Den Himmel finden versprüht eine tiefe Religiosität. Die tägliche Bibellektüre des Autors hat sein Schreiben geformt, das ist klar. Und so spricht er zu uns: ganz und gar unaufdringlich und wunderbar eindringlich. 

Details:

Den Himmel finden, Erri De Luca, erschienen 2018 im List Verlag, in der Übersetzung von Annette Kopetzki.

(vatican news)

 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

27. Oktober 2018, 10:00