Indiens hindunationalistischer Premier Narendra Modi, dessen Partei vermutlich die derzeit laufenden Wahlen wieder gewinnen wird Indiens hindunationalistischer Premier Narendra Modi, dessen Partei vermutlich die derzeit laufenden Wahlen wieder gewinnen wird 

Indiens Wahlen: „Nicht mehr frei und demokratisch"

In Indien hat die Parlamentswahl begonnen, sie findet in sieben Phasen bis zum 1. Juni statt. Unvorstellbare 968 Millionen Wahlberechtigte sind im inzwischen bevölkerungsreichsten Land der Welt an die Urnen gerufen, das sind gut zehn Prozent aller Menschen auf dem Planeten. Die regierenden Hindu-Nationalisten dürften wieder siegen. Das Hilfswerk missio sieht Risiken für den säkularen Staat und die Rechte religiöser Minderheiten.

Das Kölner Domradio sprach mit Bettina Leibfritz - sie ist Indien-Referentin bei missio -, und wollte zunächst von ihr wissen, ob der amtierende Premierminister Narendra Modi wirklich so viele Erfolge im Kampf gegen Hunger und Armut verzeichnen kann, wie er im Wahlkampf ständig behauptete.

Bettina Leibfritz (Indien-Referentin des internationalen katholischen Missionswerkes missio): Modi hat sicherlich viel in die Wege geleitet, zum Beispiel kostenlose Schulspeisungen. Dennoch ist Indien auf dem Welthungerindex weiter abgerutscht, die Lage wird jetzt als ernst eingestuft; die am stärksten vom Hunger betroffene Bevölkerungsgruppe ist die der Kinder unter fünf Jahren. Ihre Situation bleibt kritisch. Insgesamt leben auch heute noch circa ein Drittel aller Menschen, die weltweit von Hunger und Armut betroffen sind, in Indien. 

Domradio: Zehn Jahre lang war Modi an der Macht. Wie real sehen Sie die Gefahr, dass Modi und seine Partei nach einem Wahlsieg den Hinduismus in Richtung einer Staatsreligion rücken könnten?

Leibfritz: Das ist eine sehr reale Gefahr, denn das ist die erklärte Agenda des Hindutva. Der ist nicht mit dem Hinduismus gleichzusetzen, sondern verkörpert eine politische Ideologie mit Elementen des Hinduismus. Modi selbst hängt dieser Ideologie an; er ist in der RSS groß geworden, einer paramilitärischen, radikal-hinduistischen Bewegung, die hinter seiner Partei BJP steht. Modi ist seit seinem achten Lebensjahr Mitglied der RSS, die ihn auch zum politischen Führer aufgebaut hat. Die RSS ist in den letzten Jahren immer stärker geworden und auch für die Gewalttaten mitverantwortlich, die in Indien im Namen des Hindutums begangen werden. 

Zum Nachhören


Domradio: 
Religiöse Minderheiten hatten es unter Modi schwer; besonders gegen Muslime ist er harsch vorgegangen.

Leibfritz: Muslime sind keine kleine Minderheit im Land, sondern Indien hat mit über 200 Millionen Menschen weltweit sogar die zweitgrößte Anzahl an Muslimen überhaupt. Diese vielen Menschen werden zunehmend als Bürger zweiter Klasse behandelt, als Abkömmlinge der Eroberer. Die muslimische Mogul-Herrschaft in Indien, die über Jahrhunderte angedauert hat, soll nichtig gemacht werden. Muslime haben einfach keinen guten Stand in Indien. 

„Massive Angriffe auf christliche Einrichtungen haben zugenommen“

 

Domradio: Wie ist es um das Verhältnis von Modi zu den Christen bestellt? 

Leibfritz: Christen sind eine viel kleinere Minderheit und machen gerade einmal zwei Prozent der indischen Bevölkerung aus. Aber die Ursprünge des Christentums in Indien sind sehr alt und reichen mindestens bis ins dritte Jahrhundert zurück, wenn nicht noch weiter. Aber auch hier lautet die Erzählung, die Christen seien letztlich fremd, das Christentum sei als fremde Religion von Kolonialherren ins Land gebracht worden. Und weil das Christentum also keine genuin indische Religion sei, sollten Christen auch nicht so viel zu sagen haben. Massive Angriffe auf christliche Einrichtungen haben zugenommen. Heute gibt es solche Übergriffe auch im Süden, wo die christliche Bevölkerung größer ist. Auch dort werden heute christliche Einrichtungen attackiert, vor allem Schulen. Und es gibt Vandalismus an religiösen Gebäuden und Statuen. Christen, vor allem auch Priester und Ordensleute, landen im Gefängnis, weil sie irgendwas gesagt haben, das angeblich nicht regierungskonform oder hindukonform ist. 

 

Domradio: Missio unterstützt deshalb in Indien eine ganze Reihe von Projekten zur Religionsfreiheit. Wie sehen die zum Beispiel aus? 

Leibfritz: Das interessanteste Projekt dazu fördern wir in Nordindien. Da geht es vor allem um friedliches Zusammenleben zwischen Hindus und Muslimen an Orten, die in der Vergangenheit von kommunaler Gewalt betroffen waren. In anderen Projekten werden Christen unterstützt, die von Pogromen betroffen waren, beispielsweise im Bundesstaat Manipur, in dem es aktuell einen großen, religiös aufgeladenen Konflikt gibt. Überall unterstützen wir Partner, die sich für Menschenrechte und auch für einen säkularen Staat einsetzen. 

Domradio: Was denken Sie, wie wird die Wahl ausgehen? 

Leibfritz: Ich befürchte das Schlimmste. Modi tut alles dafür, zu gewinnen. Das geht soweit, dass führende Oppositionspolitiker aktuell im Gefängnis sitzen, damit sie nicht weiter agieren können oder dass Konten der konkurrierenden Kongresspartei eingefroren wurden. Ich hoffe noch immer, dass so etwas auf Widerstand stößt und vielleicht die Wählerinnen und Wähler mobilisiert, andere Parteien zu wählen. Aber Modi hat einen unheimlich großen Fan-Kreis von Menschen, die ihn vergöttern und verehren, egal was er tut. Ich befürchte, dass der Ausgang der Wahl keine gute Entwicklung für Indien bringt. 

Domradio: Tatsächlich ist in den Medien immer wieder die Rede von den größten demokratischen Wahlen der Welt. Sind die Wahlen in Ihren Augen tatsächlich noch demokratisch?  

Leibfritz: Wenn diese aktuellen Wahlen in Indien frei und demokratisch genannt werden, würde ich schon ein Fragezeichen dahinter machen. Wenn die wichtigsten Oppositionspolitiker im Wahlkampf verhaftet und Konten eingefroren werden, sind das für mich sind keine fairen Wahlen. Schon jetzt nicht mehr. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

(domradio – gs)

 

 

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23. April 2024, 10:38