Ukrainier beten in Liviv Ukrainier beten in Liviv 

D/Russland: Geflohener Bischof mahnt, „nicht wegzuschauen"

Vor einem Abstumpfungseffekt mit Blick auf die Nachrichten und Bilder vom Krieg in der Ukraine warnt der im Frühjahr aus Russland geflohene ehemalige Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands (ELKR), Dietrich Brauer, bei einem Online-Vortrag der Evangelischen Akademie Kärnten.

Die Lage in der Ukraine dürfe „nicht zur Routine" werden, sagte Dietrich Brauer laut Pressedienst epdö bei einem Online-Vortrag der Evangelischen Akademie Kärnten. Es dürfe nicht sein, „dass man sich auch an das Schlimmste gewöhnt". Dabei forderte er, dass genau hingeschaut werde, was in der Ukraine passiert: „Wir können tausendmal von den Kanzeln von Liebe sprechen, aber einmal wird es ganz konkret, da kann man nicht wegschauen", sagte Brauer bei dem Online-Vortrag.

Brauer selbst schöpft Kraft aus persönlichen Gesprächen und Gebeten. „Das Gebet für den Frieden ist das Mindeste, was wir tun können", meinte Brauer, der selbst Friedensgebete organisiert hat. „Es darf keine Pause geben in den Gebeten, weil auch der Krieg den Menschen keine Pause gönnt."

Nichts mehr wie es war

Für ihn und seine Familie, aber auch für die Kirche sei nichts mehr wie vor dem 24. Februar. Der Tag habe alle in Schock versetzt, niemand habe zuvor erwartet, dass es zu einem Krieg kommen werde. „Unvorstellbares" sei inzwischen passiert. Wenn ein Staat seine Macht missbrauche, Menschlichkeit verloren gehe und stattdessen Entmenschlichung um sich greife, gelte es, „nicht wegzuschauen und der Wahrheit ins Gesicht zu blicken". Dennoch bliebe nur wenig, was der Einzelne machen könne. „Wir alle sind Geiseln dieser Situation", sagte Brauer. Fehlende Antworten machten müde, aber „das ist zugleich Wasser auf den Mühlen der Kriegstreiber". Trotzdem gebe er nicht auf und äußert sich immer wieder zum Krieg und der russischen Kirche.

„Wir können tausendmal von den Kanzeln von Liebe sprechen, aber einmal wird es ganz konkret, da kann man nicht wegschauen“

Hintergrund

Brauer war im März mit seiner Familie aus Russland nach Deutschland geflohen und von seinem Amt in Russland zurückgetreten. Zuvor hatte er in einer Predigt Kritik an der russischen Staatsführung geäußert und auch deren Aufforderung abgelehnt, die „Spezialoperation" gegen die Ukraine öffentlich gutzuheißen, sondern den Krieg als „Schande" bezeichnet. 

Brauer stammt aus einer russlanddeutschen Familie. Er wurde 2011 als erster Einheimischer zum Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche Europäisches Russland (ELKER) geweiht. Ab 2014 war er Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland. Kirchenangaben zufolge gibt es etwa 40.000 Lutheraner in 200 Gemeinden in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Vor der russischen Revolution 1917 waren es etwa 1,5 Millionen. 

(kap – schw)

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27. Juli 2022, 15:21