Ein Anschein von Wahlkampf: Der Kandidat Henri Falcon spricht vor seinen Anhängern Ein Anschein von Wahlkampf: Der Kandidat Henri Falcon spricht vor seinen Anhängern 

Venezuela: Wahlen, die gegen die Verfassung verstoßen

Alles andere als Schicksalswahlen: Am Sonntag sind die Venezolaner an die Wahlurnen gerufen, um einen neuen Präsidenten zu bestimmen – doch alles deutet darauf hin, dass Machthaber Maduro mit mehr oder weniger demokratischen Kniffen an der Macht bleiben will.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Demokratisch und gerecht seien diese Wahlen sowieso nicht, werden die Bischöfe des Landes nicht müde zu betonen. Denn der Verfassung nach müssten die Wahlen eigentlich erst im letzten Trimester des Jahres durchgeführt werden, und auch die Transparenz und unabhängige Kontrolle der Kandidatenaufstellung und der Wahlen selbst sei nicht gewährleistet, betonen die Bischöfe.

Zum Nachhören

Reiner Wilhelm ist Venezuela-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, im Gespräch mit Vatican News erklärt er, warum die Wahlen gegen die Verfassung verstoßen:

„Weil das Gremium, das die Wahlen festgesetzt hat, nämlich die Verfassungsgebende Versammlung, gegen die Verfassung steht. Sie ist nämlich gegen das demokratisch gewählte Parlament eingesetzt worden, um dieses zu entmachten. Die Verfassungsgebende Versammlung hätte eigentlich den Auftrag, eine neue Verfassung zu erarbeiten, was sie aber de facto nicht tut. Sie setzt sich über die Entscheidungen des Parlaments hinweg, regiert sozusagen parallel zum Parlament und hat dieses völlig entmachtet.“

Zwei Gegenkandidaten, kaum Erfolgsaussichten

 

Zwei Gegenkandidaten haben sich für die Präsidentschaftswahlen aufstellen lassen (können), doch nur einem werden zumindest kleine Chancen eingeräumt, einen Überraschungserfolg zu landen. Der italienischstämmige pentekostale Pastor Javier Bartucci hat sich selbst ins Abseits geschossen: Sein Name taucht im Zusammenhang mit den Panama Papers auf. Henri Falcon hingegen ist bereits Gouverneur, doch wie Wilhelm betont, ein Kandidat, der in der Vergangenheit mehrfach das politische Lager gewechselt hat.

„Falcon wäre ein Gegenkandidat, der aber aus dem eigenen Lager kommt. Er ist ehemaliger Militär, steht also einem der Machtblöcke vor, in diesem Fall den Sicherheitskräften und dem Militär, die in Venezuela ein wichtiges Wort mitzusprechen haben. Er hat sich nun gegen Chavez und Maduro positioniert. Das spricht für sich, und er hätte auch ein Alternativkonzept, das er vorlegen würde. Das heißt, er steht nicht mit der alten Riege, also der Opposition in Kontakt, sondern er ist sozialistisch angehaucht und auch in diesem System großgeworden. Er hätte durchaus Chancen; die Frage ist nur, ob Maduro und das gesamte System ihn lassen würden.“

„Mitglieder der Opposition wurden schon gleich gar nicht zugelassen“

Denn bereits jetzt ist klar: Unabhängige Wahlbeobachter wird es nicht geben, man vermutet Mehrfachstimmenabgaben durch gefälschte Wählerregister, und unverhohlen wird der Bevölkerung damit gedroht, dass man nachverfolgen könne, wer seine Stimme abgegeben habe. Wer nicht zur Wahl gehe (und implizit: den falschen Kandidaten wähle), habe auch kein Anrecht mehr auf den Basis-Lebensmittelkorb, der für viele Familien die einzige Chance zum Überleben darstellt.

Eine wirkliche Opposition zu Maduro konnte sich sowieso nicht bilden, bestätigt uns Wilhelm:

„Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine Grund ist, die Mitglieder der Opposition wurden schon gleich gar nicht zugelassen, und der andere ist, dass die Oppositionsmitglieder von vornherein gesagt haben, die Wahlen seien eine Farce und würden nicht korrekt, verfassungsgemäß ablaufen, so dass sie auch nicht teilnehmen wollten. Sie haben auch aktiv zum Wahlboykott gerufen.“

Eine Chance zum Wandel?

 

Manch einer mag die Wahlen sogar als „Chance zum Wandel“ sehen, doch inwieweit das zutreffend ist, ist schwierig vorherzusehen. „Dass es nicht so weiter gehen kann wie bisher, ist allen klar“, meint denn auch der Adveniat-Experte, der erst vor drei Monaten in Venezuela war und erschüttert über die greifbare Not der Bevölkerung zurückgekommen ist. „Es gibt nichts mehr zu essen, es gibt keine Medikamente, Wasser ist rationiert, Strom ist rationiert…“

Im Jahr 2017 musste Venezuela eine Inflation von 1300 Prozent verkraften, doch Analysten sehen für das laufende Jahr noch schwärzer: Bis auf 13.000 Prozent könnte die Inflation klettern, was übertragen heißt, die Preise der wenigen verfügbaren Waren steigen buchstäblich, während man in der Schlange steht, um sie zu kaufen.

„Es muss sich also auf jeden Fall etwas ändern an der Wirtschaft, denn sonst nützt natürlich auch Maduro eine solche Wahl nichts, denn er wird sich dann gegen breite Gruppen in der Gesellschaft stellen müssen, unter anderem auch die Militärs, die ebenfalls unter der Mangelwirtschaft leiden. Das einfache Volk wird sich gegen ihn wenden, das heißt, der Druck wird sich weiter erhöhen. Und deshalb wird ihm nichts anderes übrigbleiben, als an dieser Situation etwas zu verändern.“

„Im Moment ist es ziemlich deutlich, dass sowohl die USA als auch die Europäische Union und die Internationale Gemeinschaft als solche davon profitieren, dass Venezuela so schwach ist.“

Eine verfahrene Situation, die auch Geschäftemacher aus aller Welt anzieht. Denn das Land ist derzeit im völligen „Ausverkauf“, betont Wilhelm mit Blick auf den Reichtum, mit dem Venezuela eigentlich gesegnet wäre. Abgesehen vom enormen Ölvorkommen besitzt das Land auch Bodenschätze und seltene Erden.

„Im Moment ist es ziemlich deutlich, dass sowohl die USA als auch die Europäische Union und die Internationale Gemeinschaft als solche davon profitieren, dass Venezuela so schwach ist. Denn Venezuela ist damit gezwungen, sein Erdöl zu entsprechenden Preisen zu verkaufen, sie haben gar keine andere Möglichkeit. Unter anderen den USA spielt das natürlich auch in die Hände, ein Lateinamerika zu sehen, das völlig fragmentiert ist und das sich sozusagen selbst boykottiert beziehungsweise nicht gemeinsam handlungsfähig ist.“

Kinder durch Mangelernährung intellektuell unterentwickelt

 

Doch es sind die Menschen in Venezuela, die in erster Linie darunter leiden, gibt Wilhelm zu bedenken. Die Armut ist – kaum vorstellbar in dem Land, das einst zu den reichsten Lateinamerikas gehörte - in den vergangenen Jahren nochmals schlimmer geworden: Mittlerweile wühlen die Menschen auch im Müll nach Essbarem, und vor allem die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder steht auf der Kippe. Adveniat, wie zahlreiche andere Hilfswerke, versucht zu helfen, wo es irgend geht, insbesondere der Erwerb von Essbarem und Medikamenten ist Priorität:

„Das ist dann eine Hypothek, die in die zukünftigen Generationen hineingeht, nur weil es Hunger gibt“

„Mit dem bisschen Geld, das wir haben, versuchen wir etwas zu tun und die Not und den Hunger zu lindern. Es gibt nach wie vor Gemüse, aber es ist unheimlich schwer, an Proteine zu kommen. Deshalb gilt unsere Hilfe ganz besonders dem Kauf von Proteinen, damit die Menschen nicht nur nicht hungern und abmagern müssen, sondern auch eine Chance haben, sich zu entwickeln. Besonders bei den Kindern, bei denen man leider sieht, dass sie intellektuell schon zurückgeblieben sind. Das ist dann eine Hypothek, die in die zukünftigen Generationen hineingeht, nur weil es Hunger gibt. Da muss man sich klar positionieren.“

Hier sieht Wilhelm vor allem die internationale Gemeinschaft in der Pflicht. „Was ganz wichtig ist: Die internationale Gemeinschaft muss ihre Verantwortung übernehmen und muss Druck ausüben, damit humanitäre Hilfe möglich wird. Das ist eigentlich das, was wir machen müssen, nämlich darauf aufmerksam machen, wie es den Menschen geht, die in diesem Land leben, und dass durchaus auch wir dazu beitragen können, dass es den Menschen besser geht, nämlich indem das Regime unter Druck gesetzt wird und humanitäre Hilfe ermöglicht wird.“

„Je pointierter die Kirche ist und sich auch für die Armen einsetzt, desto klarer ist auch, dass die Regierenden sich dagegen wehren werden“

Die Kirche sei die einzige Institution in Venezuela, die überhaupt glaubwürdig sei, der die Bevölkerung Vertrauen schenke und die sich noch frei zu Wort melden könne, unterstreicht Wilhelm. Nicht nur die Bischofskonferenz und der wortgewaltige Erzbischof von Caracas, Jorge Urosa Savino, sondern auch die einzelnen Bischöfe und Priester verlören keine Gelegenheit, für Gerechtigkeit und Demokratie zu werben. Damit brächten sie sich teilweise auch selbst in Gefahr.

„Das konnte man beispielsweise im Januar bei den Predigten von Bischöfen bei der größten Wallfahrt Lateinamerikas, der Wallfahrt zur Divina Pastora, sehen. Da kommen fünf Millionen Menschen zusammen, und das wird landesweit im Fernsehen übertragen. Da sind die Bischöfe Maduro und seinem Regime sehr kritisch gegenübergetreten, und danach hat Maduro sie in seiner sonntäglichen Rede angeklagt, dass sie Hass gegen ihn und seine Regierung säten, und ihnen deshalb gedroht, sie einzusperren. Also, je pointierter die Kirche ist und sich auch für die Armen einsetzt, desto klarer ist auch, dass die Regierenden sich dagegen wehren werden.“

„Kein Bischof gibt derzeit Erlaubnis, dass ein Priester im Ausland arbeiten darf“

Ein zunehmender Druck, der auch die einzelnen Priester belastet. Die Bischofskonferenz des Landes sah sich kürzlich sogar gezwungen, mit einem Treffen auf den zunehmenden Exodus von Geistlichen zu reagieren, berichtet Wilhelm:

„Einige Priester versuchen, in den USA neue Aufgaben zu finden, und die Bischöfe haben sich da ganz klar positioniert und gesagt, wir sehen das als Fahnenflucht an. Ihr seid die Hirten, die der Herde voranstehen - und welche Hoffnung soll die Herde haben, wenn ihr das Land verlasst, wo ihr doch eigentlich von eurer Berufung her bei ihnen sein sollt und sie anleiten sollt? Das ist in einem Schreiben sehr klar und deutlich kommuniziert worden. Kein Bischof gibt derzeit Erlaubnis, dass ein Priester im Ausland arbeiten darf!“

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18. Mai 2018, 12:47