Ein Vater bringt sein verwundetes Kind in ein improvisiertes Krankenhaus in der Rebellengegend Ost-Ghouta Ein Vater bringt sein verwundetes Kind in ein improvisiertes Krankenhaus in der Rebellengegend Ost-Ghouta 

Syrien: Humanitäre Situation in Ost-Ghouta katastrophal

Mit traurigen Schlagzeilen macht derzeit Syrien von sich reden: Allein in den letzten 48 Stunden sollen durch Luftangriffe des Regimes nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten in der östlich von Damaskus gelegenen Region Ost-Ghouta 250 Menschen ums Leben gekommen sein, darunter rund 60 Kinder.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Die betroffene Gegend ist eine der letzten von Rebellen kontrollierten Zonen in Syrien und durch Assads Truppen eingekesselt. Hilfswerke und die Vereinten Nationen zeigen sich äußerst besorgt über die sich verschlimmernde humanitäre Krise. Wir haben mit Marten Mylius von der Hilfsorganisation Care gesprochen und ihn gefragt, wie sich die Situation vor Ort darstellt.

„Ja, die Lage hat sich dramatisch zugespitzt in Ghouta, das ist ja auch wie ein Vorort von Damaskus, da sind um die 400.000 Menschen eingeschlossen. Das ist eigentlich schon  ein belagertes Gebiet seit drei, vier Jahren, und das hat sich den letzten Monaten noch mal dramatisch verschlimmert, weil die Tunnel und die Checkpoints geschlossen wurden.“

Dies, so berichtet der Care-Fachmann, habe zu einem sprunghaften Anstieg der Preise für Lebensmittel geführt, mit den bekannten Folgen: „Wir sehen viele, viele unterernährte Kinder, wir sehen – das haben wir vorher nicht gesehen – Frauen, denen fallen die Haare und die Zähne aus. Also, die Situation war schon vor den jüngsten Entwicklungen sehr dramatisch. Der letzte Konvoi, den wir da reinbekommen haben, das liegt schon wieder diverse Monate zurück.“

Nun habe die jüngste militärische Eskalation die Situation nochmals verschlimmert. Luftangriffe würden gezielt auch auf medizinische Einrichtungen, Märkte, Zivilisten und Häuser geflogen. „Und das hat sich auch in den letzten Stunden, also in den letzten 24 Stunden mit unseren Leuten vor Ort, gar nicht verbessert.“

Die syrische Regierung habe sich nun nach dem erklärten Sieg über den Islamischen Staat zum Ziel gesetzt, auch noch die letzten Enklaven, die in den Händen der Opposition seien, zurück zu erobern, betont Mylius. Doch dieses Vorgehen nähre die Befürchtungen, sich einem zweiten Aleppo gegenüberzusehen; in Aleppo kamen während der Belagerung Tausende von Zivilisten ums Leben. Humanitäre Hilfe sei unter diesen Umständen kaum zu leisten.

„Wir haben immer noch Partner vor Ort, aber natürlich, das Risiko ist dort deutlich stärker, die Kosten für die humanitären Hilfsoperation sind wesentlich höher. Und es mussten so viele Güter über die wenigen Checkpoints hineingebracht werden, der Aufwand ist also wesentlich größer. Von daher war das schon vorher eines unserer schwierigsten Gebiete, um humanitäre Hilfe zu leisten.“

Es fehle der Bevölkerung derzeit an allem, insbesondere an Nahrungsmitteln. Doch angesichts des Bombenhagels gehe es für die Menschen in diesen Stunden zunächst einmal ums nackte Überleben in Schutzunterkünften, betont Mylius. Sein Appell:

„Die Vereinten Nationen haben ja gefordert, dass es eine einmonatige Feuerpause geben muss, um die humanitäre Versorgung der Menschen zumindest zu einem gewissen Grad herzustellen. Und es muss ja eine diplomatische Lösung geben. Wir haben da große Bedenken, dass eine militärische Rückeroberung dieser Gebiete vorangetrieben wird. Die dann ganz klar auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen würde. Dass man das einfach zynisch in Kauf nimmt, den Tod von tausenden Zivilisten, von Kindern, von Müttern. Von Kindern, die haben ihr ganzes Leben noch nichts erlebt außer Krieg... Das ist einfach inakzeptabel. Wir fordern ganz massiv und schließen uns da der UNO an, dass es da eine Feuerpause gibt und dass da eine diplomatische Verhandlungslösung wieder auf den Tisch kommt.“

 

Nuntius: Auch in Damaskus selbst schwierige Situation

 

Rund 400.000 Zivilisten sind es, die allein in der Gegend Ost-Ghouta nahe der Hauptstadt eingeschlossen sind. Doch auch in Damaskus selbst kam es zu Explosionen. Der vatikanische Nuntius in Syrien, Kardinal Mario Zenari, erinnert im Gespräch mit Vatican News daran, dass christliche Viertel von den Angriffen besonders betroffen sind und damit viele Kinder im schulpflichtigen Alter und ihre Eltern in großen Sorgen leben müssen.

„In der vergangenen Woche sind einige christliche Schulen geschlossen geblieben, denn es stellt natürlich immer ein Risiko dar, die eigenen Kinder in die Schule zu schicken, angesichts der Raketen und Mörserbomben, die insbesondere im historischen Zentrum von Damaskus eingeschlagen sind, in dem sich besonders viele christliche Schulen befinden. Die Raketen schlagen eigentlich überall in Damaskus ein, wenn auch ein wenig stärker in diesen christlichen Vierteln. Also lebt die christliche Gemeinschaft in diesen Tagen in besonderer Sorge.“

Der Kardinal konstatiert eine „Verschlimmerung der Lage“, wie man sie „seit geraumer Zeit nicht gesehen hatte“, und eine „Intensivierung der Kämpfe mit Toten und Verletzten“.

„Die Situation ist angespannt, denn auch heute Morgen und gestern sind wieder Raketen und Mörserbomben nieder gegangen. Es besteht Sorge und Unsicherheit darüber, was rund um Damaskus passiert, insbesondere in der ländlichen Gegend Ost-Ghouta.“

Die „heißen“ Zonen, in denen besonders hart gekämpft wird, sind Ost-Ghouta nahe bei Damaskus, Idlib im Nordosten sowie Afrin an der türkischen Grenze, bestätigt uns der Kardinal im Gespräch. Insbesondere der türkische Militäreinsatz im Kurdengebiet hat international für Kritik gesorgt, doch von einer friedlichen Lösung der ausgewachsenen diplomatischen Krise scheint man weiter entfernt denn je zu sein. Genaue Zahlen zu den Opfern des Krieges, in dem man Freund und Feind kaum mehr unterscheiden kann, seien schwierig zu erhalten, gibt der Nuntius zu bedenken.

„Wir hier in Damaskus sehen die Verletzten, die in unsere Krankenhäuser gebracht werden, die katholischen Krankenhäuser, die wir in Damaskus betreiben. Es ist schwierig für uns zu sagen, wie viele Tote es gibt. Sicherlich ist jedoch leider die Anzahl der Opfer in diesen letzten Wochen sehr hoch und wir sprechen von hunderten Toten und Verletzten.“

Auf die Frage, ob er einen Appell an die internationale Gemeinschaft richten wolle, antwortet der Kardinal resigniert: „Wir haben schon Dutzende von Appellen gemacht. Jetzt werden wir mit besonderer Inbrunst den Moment des Gebets leben, zu dem Papst Franziskus für diesen Freitag aufgerufen hat. Wir glauben stark an die ,Waffe des Gebets´“.

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21. Februar 2018, 11:29