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Vatikan aktualisiert Standardwerk zur katholischen Soziallehre

Im Vatikan ist eine aktualisierte Fassung der katholischen Soziallehre in Vorbereitung. Es geht darum, päpstliche Lehrinhalte der vergangenen 20 Jahre einzuarbeiten, also aus den Pontifikaten Benedikt XVI. und Franziskus. Eingebunden ist der deutsche Moraltheologe Peter Schallenberg.

Gudrun Sailer – Vatikanstadt

Der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden hat 2004 das Kompendium der Soziallehre der Kirche herausgebracht. Das von Johannes Paul II. in Auftrag gegebene Werk ist die erste und einzige systematische Übersicht über die katholische Sozialethik, also über Antworten der Kirche auf die Grundsatzfragen menschlichen Zusammenlebens. Doch hat sich die Welt und infolgedessen auch die katholische Soziallehre seither fortentwickelt, namentlich mit den beiden Sozialenzykliken von Papst Franziskus „Laudato Si“ und „Fratelli tutti“.

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Digitalisierung, Biotechnologie, Ökologie und Arbeitswelt, Lieferketten...

Seit gut einem Jahr ist deshalb im Auftrag des Staatssekretariats und der Glaubenskongregation eine Arbeitsgruppe am Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen damit beschäftigt, das Kompendium zu überarbeiten. „Es ist eine doppelte Aufgabe: die Weiterführung und Ergänzung des Kompendiums seit 2004, und zweitens festzustellen, wo neue Themen sind“, erklärt der Paderborner Sozialethiker Peter Schallenberg, der als Konsultor des Dikasteriums mit der Arbeit betraut ist. Als Beispiele für neue Themen, die in das Kompendium einfließen werden, nannte er Digitalisierung, Biotechnologie, Ökologie und Entwicklungen der Arbeitswelt, hier etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Rentenansprüche aus Care-Arbeit, die Frage der Lieferketten oder der Zulässigkeit von Kinderarbeit.

Der Sozialethiker Peter Schallenberg
Der Sozialethiker Peter Schallenberg

Quellen: Ansprachen ja, Interviews nein

Zu diesen sozialen Themen haben Päpste einiges gesagt und geschrieben. Die Hauptquellen für die Ergänzung des Kompendiums der Soziallehre sind Schallenberg zufolge die Enzykliken sowie auch andere Dokumente und Ansprachen der Päpste, aber keine Interviews, wie Papst Franziskus sie zahlreich gibt. Stellungnahmen von Bischöfen oder Bischofskonferenzen fließen nicht in die Neufassung ein, es sei denn, Päpste haben sie in schriftlicher Form übernommen und sie sich damit zu eigen gemacht.

Das Kompendium der Soziallehre besteht aus drei Teilen. Der erste verortet die katholischen Soziallehre in der Theologie insgesamt, der zweite Teil fasst die Prinzipien und Grundlagen zusammen. Der dritte Teil geht der Frage nach, wie die Soziallehre das Handeln der Gläubigen bestimmen soll. Von der Aktualisierung betroffen ist besonders der zweite Teil, sagte Schallenberg. „Der einführende Teil kann bis auf einige ergänzende Sätze bleiben. Der Schlussteil ist wichtig, aber auch da ist daran gedacht, dass man nicht zu zentralistisch vorgeht. Entscheidend ist, den mittleren Teil, die Materie, fortzuführen und zu ergänzen, was dort an Neuem ist.“

Soziallehre in Bewegung  

Einige Fragen der katholischen Soziallehre sind in Bewegung und haben sich deshalb noch kaum im päpstlichen Lehramt oder einzelnen Vatikandokumenten niedergeschlagen, sagte Schallenberg. „Etwa bei der Frage von Ehe und Familie: neue Formen des Zusammenlebens, staatlich geförderte Formen des Zusammenlebens, die nicht der sakramentalen Form des Zusammenlebens entsprechen, aber trotzdem in einer säkularen Gesellschaft ja legitim sein können. Oder die Frage der Transsexualität, der Biomedizin. Es ist, glaube ich, gut, dass man da einfach die Materie an die Hand gibt und sagt, jetzt kann sich jeder damit ein Bild machen und daran weiterarbeiten.“

„Wenn noch nichts gesagt worden ist zu einer Fragestellung, dann hat man Spielraum“

Keine Aufgabe des erweiterten Kompendiums ist es, im Fall solcher Lücken eigene neue Inhalte vorzulegen, also gleichsam ein weiteres lehramtliches Dokument zu erstellen. „Wenn der Befund ist, dazu gibt es bisher keine päpstliche oder vatikanische  Äußerung, also päpstliches Lehramtes im weiteren Sinn, dann ist auch das ein Befund“, so Schallenberg. „Wenn noch nichts gesagt worden ist zu einer Fragestellung, dann hat man Spielraum, um selber eine Anregung zu geben oder weiterzudenken.“

Franziskus hob Soziallehre auf neue Ebene

„Mut zur Konkretion und auch der Mut zur Korrektur.“

Während Papst Benedikt XVI. viel für die Begründungszusammenhänge der Soziallehre leistete, hat sein Nachfolger Franziskus die kirchliche Soziallehre in einem mehr praktischen Sinn auf eine neue Ebene gehoben, findet Schallenberg. Franziskus scheue sich nicht, mitunter auch vermintes Feld zu betreten und auf brandaktuelle gesellschaftliche Fragen einzugehen. „Ganz konkret: Ist die zivile Nutzung von Atomkraft unethisch oder nicht? Ja, das kann sein, dass das auf einmal in Zusammenhang der Fragen von Energie-Unabhängigkeit in einem anderen Licht erscheint.“ Die Kirche brauche dann auch den Mut, zuzugeben, dass sie sich geirrt habe oder die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen gelangt sei, was zu anderen Güterabwägungen führen könne. „Möglicherweise sagt man: Wir wollen Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene, etwa durch Russland, vermeiden - dafür stellen wir etwas von unseren Klimaforderungen hinten an. Es kann sein, dass die Güterabwägungen sich verändern. Das, würde ich sagen, ist durch das päpstliche Lehramt von Papst Franziskus sehr stark vorangetrieben worden, dieser Mut zur Konkretion und auch der Mut zur Korrektur.“

Parallel-Katechismus für Sozialfragen?

Als Johannes Paul II. das Kompendium der Soziallehre in Auftrag gab, stellte er sich etwas wie einen zweiten Katechismus vor: eine Zusammenfassung nicht der Glaubensinhalte, sondern der Antworten der Kirche auf die sozialen Fragen der Jetzt-Zeit. Hat das Standardwerk zur Soziallehre heute in der Weltkirche wirklich einen ähnlichen Stellenwert wie der Katechismus? Schallenberg will nicht „einer autosuggestiven Binnenbegeisterung“ erliegen, aber er bejaht die Frage klar. „Das Kompendium ist eine Fundgrube, insbesondere auch mit dem Stichwortverzeichnis, wenn man wissen will zum gerechten Krieg, zu Waffenlieferungen und zu allen relevanten Themen der Ethik – ich glaube schon: Die Rechnung ist aufgegangen.“

Die überarbeitete Fassung des Kompendiums der Soziallehre der Kirche soll spätestens 2024 erscheinen.

(vatican news)

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20. April 2022, 11:25