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Kardinal Kasper: „Kirche ist nicht in ihrer Existenz bedroht“

Die Kirche ist keineswegs in ihrer Existenz bedroht, aber sie „muss durch das Feuer der Krise hindurch“. Das sagte der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper an diesem Sonntag in der deutschsprachigen Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom. Hier seine Fastenpredigt im Wortlaut.

Zweiter Fastensonntag 2022 mit Gedenken an Papst Hadrian VI.


I. Die Tragik des Pontifikats von Papst Hadrian VI.

Wir sind heute am zweiten Fastensonntag zusammengekommen, um an den großen zweitletzten deutschen Papst Hadrian VI. zu erinnern, der hier im Chorraum in der Kirche der deutschsprachigen Gemeinde Roms seine letzte Ruhe gefunden hat. Sein Pontifikat war nur sehr kurz, aber es fand in einer der schwierigsten Zeiten der Kirchengeschichte statt. In Deutschland hatte der Augustinermönch Martin Luther 1517 mit seinen 95 Thesen den Ablassstreit ausgelöst und die Reformation losgetreten, 1518 und 1521 wurde er von Papst Leo X. exkommuniziert und 1521 vom Reichstag in Worms reichsrechtlich verurteilt sowie mit der Reichsacht belegt. Sein Fürst Friedrich der Weise von Sachsen versteckte ihn 1521-22 auf der Wartburg. Aber die reformatorische Bewegung ging weiter und erfasste immer weitere Kreise. Es war eine der schwersten Krisen der Kirche.
In dieser Situation fiel die Wahl des neuen Papstes auf den Niederländer (1522-23). Von ihm erhoffte man sich viel. Er war ein an der weltberühmten Universität in Löwen gut ausgebildeter Theologe, war eng mit der Familie des neuen Kaisers Karl V. aus dem Haus Habsburg verbunden, leitete sogar eine Zeitlang die spanischen Staatsgeschäfte und war damit politisch erfahren. Aufgrund seines frommen asketischen Lebens galt als untadelig und so als der rechte Mann zur rechten Zeit.
Doch die Würfel waren in Deutschland im Grunde schon gefallen; Luther hatte längst seine drei reformatorischen Hauptschriften verfasst, einer Zurück war kaum mehr möglich. Aber man erhoffte sich von Hadrian, die Reformation wenigstens eindämmen zu können.
Doch Hadrian wurde zu einer tragischen Gestalt. An seinem Grab steht: „Wie viel hängt davon ab, in welche Zeit auch des besten Mannes Wirken fällt.“ Auch der beste Mann kann in schlechter Zeit nichts erreichen. Als er, der Niederländer, nach Rom kam, war er dort ein Fremder. Die römische Kurie und die Römer waren an ein leichtes Leben der Renaissance und ans Schuldenmachen seiner Vorgänger im Papstamt gewohnt. Sie hatte für die Anliegen des deutschen Mönchs wenig Verständnis; er interessierte sie kaum. Sie wollten weitermachen wie gewohnt. Und hatten auch nichts im Sinn mit den dringend notwendigen Reformen, die Hadrian zu Recht wollte. Damit fand er in der Kurie kaum Unterstützung, von der Bevölkerung wurde er geradezu gehasst.
Hadrian tat sein Möglichstes. Auf dem Reichstag in Nürnberg (1522-23) bekannte und tadelte er die die Sünden der Kurie und forderte Reformen ein. Letztlich hatte er weder auf der lutherischen Seite noch auf der katholischen Seite die Chance, das Rad nochmals herumzureißen und das Schlimmste zu verhüten, eine Kirchenspaltung mit alle den schlimmen Folgen, die wir bis heute beklagen müssen. Schon nach eineinhalb Jahren als Papst ist Hadrian VI. verstorben.
Sein Nachfolger Clemens VII. kam wieder - wie sein Vorgänger - aus der Florentiner Dynastie der Medici und war mehr den Interessen seiner Familie, der Kunst und dem schönen Leben als den deutschen Fragen zugetan. Erst als der Papst auch noch mit den Türken paktierte, wurde es Kaiser Karl zu dumm. Er zog mit einem Söldnerheer nach Rom. Beim Sacco di Roma (1527) schlugen die Söldner die Renaissance-Pracht kurz und klein. Die Renaissance-Zeit war damit in Rom zu Ende und es begann der Aufbau des barocken Roms, wie wir es noch heute mit den Plätzen und Brunnen und den vielen barocken Kirchen bewundern. Auch die Römer kamen zur Besinnung. Aber es war zu spät. Hadrian war mit seinen Idealen vielleicht die letzte Chance, sie war vertan. Eine edle und doch tragische Gestalt und Geschichte.

Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom
Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom

II. Jesus Christus, der gemeinsame Grund und das gemeinsame Maß

Sie werden nun fragen: Was hat diese Geschichte mit dem heutigen II. Fastensonntag und mit dem Evangelium von der Verklärung Jesu zu tun? Ich denke: Beides hat sehr viel miteinander zu tun.
Das Evangelium von der Verklärung endet mit der Stimme vom Himmel: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören!“ Jesus also ist das Maß, an dem wir uns messen und orientieren sollen, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Genau dies war die Grundfrage, die Luther an die katholische Kirche stellte. Wie haltet ihr es mit dem Evangelium von Jesus Christus? Seid ihr überzeugt, dass allein der Glaube an Jesus Christus selig macht? Oder meint ihr mit euren guten Werkne den Himmel selbst verdienen zu können?
Leider hat es fast 500 Jahre bis zu der denkwürdigen Augsburger Erklärung von 1999 gedauert, bis wir uns die Hand geben konnten und uns amtlich sagen konnten: Ja, der Glaube an das Evangelium Jesu Christi und die eine Taufe auf Jesus Christus verbindet uns. Selbstverständlich kann der Glaube an Jesus Christus kein bloßes Lippenbekenntnis sein; er muss in Werken der Liebe fruchtbar werde. Das alles ist ein Geschenk der Gnade. Nicht unsere guten Werke, allein die Gnade erlösen uns, die Christus für uns als Kreuz verdient hat. So konnten wir das Reformationsfest 2017 erstmals nicht gegeneinander, sondern gemeinsam begehen. Hätte man auf Papst Hadrian gehört, dann hatte diese Einigung schon viel früher möglich werden können. Es wäre uns dann viel erspart geblieben.
Aber Hand aufs Herz: Leben auch wir diese grundlegende Überzeugung? Oder meinen wir nicht sehr oft: Jesus ja - aber wie wir unser Leben einrichten, das bestimmen wir gefälligst selbst. Die Gebote, die er uns gibt, vor allem das zusammenfassende Gebot der Liebe, ist uns da oft eher lästig. Wir sind lieber uns selbst der Nächste. Sind wir uns denn bewusst, dass wir in den Armen, der Verfolgten, den Vertriebenen und den Flüchtlingen wirklich Jesus begegnen und dass wir nur dann wirklich zu ihm gehören, wenn wir uns der Notleidenden annehmen? Was wir ihnen getan haben, das haben wir ihm getan (Mt 25). Da müssen wir als katholische und evangelische Christen gemeinsam Gewissenserforschung anstellen und uns fragen: Welches Bild geben wir in der heutigen Welt ab? Damals zur Zeit Hadrians offensichtlich kein gutes Bild - aber heute ein besseres? Damals hat die Kirche die Herausforderung ihrer Zeit verschlafen. Aber sind wir denn heute wach und auf Draht? Hören wir auf die Mahnungen des heutigen Papstes?
III. Durch das Kreuz zur Herrlichkeit der Verklärung
Ich lasse die Frage zunächst einmal stehen und will zu einem weiteren Punkt der Verklärungsgeschichte kommen. Die Szene der Verklärung geschieht auf dem Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem. Jesus weiß, was ihm dort bevorsteht und will seine Jünger darauf vorbereiten. Er will ihnen zeigen, dass der Weg zum Leiden und ans Kreuz nicht der Weg des Scheiterns ist, sondern der Weg zur Verklärung. Die Verklärung ist eine vorweggenommene Ostererfahrung, welche den Jüngern die Kraft und die Zuversicht geben soll, den Schock der Verurteilung und des Kreuzes zu ertragen in der Hoffnung auf die Auferstehung und die endgültige Verklärung.
Die Szene der Verklärung will zeigen: Es geht auch im Christsein nicht immer vorwärts und aufwärts; die Geschichte ist nicht einfach eine Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte; es gibt auch Abbrüche, es gibt schwere und dunkle Zeiten; es gibt Krisen. So erfahren wir es ja auch heute in der Welt, wenn wir an den Wahnsinn des Krieges in der Ukraine und das unsägliche Leid denken, das er über viele Menschen bringt. In anderer Weise erfahren wir es in unserer eigenen Kirche. Es läuft besonders in Deutschland nicht alles rund. Der Missbrauchsskandal kostet viel Vertrauen und lässt die Kirche gar nicht gut, sondern recht schmuddelig aussehen. Die Kirche steht in einer tiefen Krise, einer Krise, die vielleicht schlimmer ist, als es die im 16. Jahrhundert war.

Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom
Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom


Trotzdem stimme ich nicht dem Urteil auch mancher Bischöfe zu, die meinen, die Kirche sei heute in ihrer Existenz bedroht. Nein, das ist sie nicht. Sie steht nach wie vor auf einem Felsenfundament, das Christus ist. Sie hat die Verheißung, dass die Mächte des Todes und des Bösen sie nicht überwältigen. Aber sie muss durch das Feuer der Krise hindurch. Es ist ein reinigendes Feuer und ein Weg zu neuem Glanz, wenn wir den Weg der Reinigung und der Buße, den Weg von Reformen, den Weg des Kreuzes gehen. Diesen Weg hat Papst Hadrian damals empfohlen; man ist ihm leider nicht gefolgt. Dieser Weg ist auch heute unausweichlich. Hoffentlich nehmen wir den Ruf der Stunde besser wahr als damals. Hoffentlich warten wir nicht, bis es zu spät ist.
Das Evangelium sagt uns, das Ziel des Weges ist die Verklärung. Die Verklärung ist das Ziel aller Wege Gottes, auch das Ziel unseres persönlichen Lebenswegs. Der Karfreitag ist der Durchgang zu Ostern, und das Ende wird nicht die Katastrophe des Weltuntergangs sein, vielmehr ein großes, endgültiges Ostern. Machen wir nicht den Fehler des Petrus, der dachte: Es ist ja so wunderschön, bauen wir also drei Hütten und richten wir uns gemütlich ein. Nein, endgültig einrichten können wir uns in dieser Welt nicht. Wir müssen aufbrechen. Auch in der Kirche kann nicht alles beim Alten bleiben. Wie müssen aus der tragischen Geschichte des Papstes Hadrian lernen.
Doch als das Volk Gottes, das in der Geschichte unterwegs ist, gehen wir letztlich dem ewigen Ziel, dem ewigen Ostern entgegen. Die Verklärung ist der Vorschein von Ostern. Sie sagt uns: Lassen wir uns trotz allen Krisen nicht die Freude an Christus, die Freude am Christsein, die Freude an der Kirche nehmen. Die Freude ist das Eintrittsticket in die Ewige Freude, ins ewige Ostern: Lassen wir sie uns trotz allem nicht nehmen. Seien wir trotz allem fröhlich in der Hoffnung. Die Freude an Gott ist unsere Stärke. Amen.


Das Grabmal von Papst Hadrian VI. liegt in der Kirche Santa Maria dell'Anima in Rom.

(vatican news - gs)
 

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14. März 2022, 09:25