Auf den Straßen von Dschidda Auf den Straßen von Dschidda 

Vatikan-Diplomat in Saudi-Arabien: Geschwisterlichkeit besser als Toleranz

Ein hochrangiger Vatikanvertreter hat bei einem Besuch in Saudi-Arabien den Schutz der individuellen Menschenrechte empfohlen. Diese seien „für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung, und folglich hat jeder die Pflicht, auf dieses Ziel hinzuarbeiten”, sagte Erzbischof Ivan Jurkovič am Sonntag in Dschidda.

Jurkovič ist Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf und war zu einer Veranstaltung der Islamischen Weltliga nach Saudi-Arabien gereist. Vor seinen muslimischen Gesprächspartnern bezeichnete der Vatikanmann die Achtung der Menschenwürde als ersten und wesentlichen Pfeiler einer soliden Grundlage für den Dialog. „Es kann keinen Dialog geben, wenn die Menschenwürde nicht zuerst respektiert wird”, so der Erzbischof.

„Doch Toleranz allein ist nicht genug!“

Religionsfreiheit nannte Jurkovič „eines der grundlegendsten unter den unverletzlichen Rechten” von Menschen, weil sie „dem Bedürfnis von Männern und Frauen nach geistlicher Nahrung” entgegenkomme. Zur Religionsfreiheit gehöre auch die „Förderung von Akzeptanz und Toleranz”, so der Erzbischof in dem wahhabitisch regierten Land. Er legte an dieser Stelle eine Unterscheidung zwischen religiöser Toleranz und Religionsfreiheit vor. „Wenn Toleranz auf der gegenseitigen Achtung der Menschenwürde beruht, kann sie ein wichtiger Schritt zur Sicherung des Friedens zwischen den Völkern sein. Doch Toleranz allein ist nicht genug! Denn Toleranz an sich hat eine negative Konnotation des ,Aushaltens´ oder ,Ertragens´ des anderen, statt die Unterschiede zu würdigen und die gegenseitige Achtung der Religionen des anderen zum Ausdruck zu bringen.”

Besser als Toleranz: Geschwisterlichkeit 

Jurkovič schlug seinen muslimischen Zuhörern vor, statt auf bloße Toleranz auf das dynamischere Konzept der Geschwisterlichkeit zu setzen, weil dieses die „Möglichkeit bietet, nicht nur über die erfolgten, sondern auch über die unterlassenen Handlungen Rechenschaft abzulegen.” Der Erzbischof verwies auf das Dokument der Geschwisterlichkeit aller Menschen, das Papst Franzisk und der ägyptische Goßimam Al Tayyeb im Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet hatte.

Nach Saudi-Arabien eingeladen hatte den Vatikandiplomaten Scheich Muhammad bin Abdulkarim Al-Issa, der Generalsekretär der Islamischen Weltliga. Er hatte nach einem Besuch bei Papst Franziskus in Rom vor drei Jahren ein Buch über „Die Förderung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs als Instrument des Friedens und der Geschwisterlichkeit” vorgelegt. Jurkovič stellte seine Überlegungen zu Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit und Dialog bei der Vorstellung dieses Buches am vergangenen Sonntag in Dschidda vor.

Besuche hoher katholischer Würdenträger in dem wahhabitischen Königreich sind nach wie vor nicht häufig. Im April 2018 war der in der muslimischen Welt hoch geschätzte Kurienkardinal Jean-Louis Tauran als damaliger Präsident des Päpstlichen Rats für interreligiösen Dialog dort zu Gast. Die Reise von Papst Franziskus in die Vereinigten Arabischen Emirate 2019 war die erste Visite eines katholischen Kirchenoberhauptes auf der Arabischen Halbinsel überhaupt.

(vatican news – gs)

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25. November 2020, 13:41