Juni 2022, Mädchen in Afghanistan besuchen heimlich eine inoffizielle Schule Juni 2022, Mädchen in Afghanistan besuchen heimlich eine inoffizielle Schule 

Afghanistan 1 Jahr unter den Taliban: Krise und Hoffnung

Vor genau einem Jahr, am 15. August 2021 zogen die NATO-Truppen aus Kabul ab. Die Regierung in Afghanistan wurde wieder von den Taliban übernommen. Heute befindet sich das Land in einer beispiellosen humanitären Krise, doch er hat Hoffnung, berichtet Pater Giuseppe Moretti im Interview mit Radio Vatikan.

Francesca Sabatinelli und Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt

Nach 20 Jahren waren die NATO-Truppen in Afghanistan plötzlich schnell weg. Massen von Menschen versuchten verzweifelt noch einen Flug aus dem Land zu bekommen, klammerten sich sogar an Flugzeugräder. Kinder wurden über den Flughafenzaun in die Arme amerikanischer Soldaten geworfen. Drammatische Szenen. Der Barnabitenpater Giuseppe Moretti, war von 1990 bis 2015 Missionar in Afghanistan und ist seit 2002 Oberer der katholischen Mission sui juris in Kabul. Er kann immer noch nicht fassen, wie es so weit kommen konnte:

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„Die Taliban waren auch während der NATO-Zeit immer aktiv, es gab Attentate die sich dann immer wieder intensivierten und die internationale Präsenz hier, die die Taliban entwaffnen sollte, hat das nicht geschafft. Dann gab es das - sehr mysteriöse - Doha-Abkommen und so haben wir uns dann in dieser Situation wiedergefunden."

„Es gab die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dann hat leider die Dunkelheit gesiegt, die man in diesen 20 Jahren vertreiben wollte“

Es hieß international, man werde das Land nicht aufgeben. Doch ein Jahr später sind die Menschen im Land isoliert, sie leiden unter Armut und Hunger, einer humanitären Krise, einer beispiellos katastrophalen Wirtschaftslage. Besonders schwer haben es Frauen und Mädchen; die Taliban tun alles, um sie von Bildung und dem öffentlichen Leben auszuschließen. Für Pater Giuseppe Moretti war die Zeit mit der NATO in Afghanistan trotzdem nicht umsonst:

„Es waren nicht 20 negative Jahre. Sie haben etwas hinterlassen, sie haben ein Fenster der Hoffnung geöffnet. Die Konsequenz sieht man auch an den Frauen, die den Taliban jetzt ganz anders gegenübertreten. Es gab die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dann hat leider die Dunkelheit gesiegt, die man in diesen 20 Jahren vertreiben wollte. Aber es wurden Samen ausgesät." Und diese Saat wird aufgehen, davon ist der Kirchenmann überzeugt:

Die Saat wird Frucht tragen

„Was gesät wurde wird in den jungen Leuten Frucht tragen. Wir haben zum Beispiel in Italien 5.000 Afghanen aufgenommen, die mit uns zusammengearbeitet haben. Und wir begleiten sie weiter. Es gibt ein Projekt bei dem wir mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel auch die Mädchen und Frauen in Afghanistan weiter begleiten. Ihnen wurde die Schule und das Studium verboten. Wir haben Studentinnen dann an italienischen Universitäten eingeschrieben, so dass sie über ein Fernstudium ihre Abschlüsse machen können. Und die Afghanen, die wir hier aufgenommen haben, wollen wir befähigen, die Zukunft ihres Landes zu gestalten."      

Internationale Hilfe ist nötig

Außer Frage steht für Pater Giuseppe Moretti dabei, dass Afghanistan den Wandel nicht alleine schaffen kann und weiter internationale Hilfe braucht:

„Egal ob in Italien oder in Europa, die Staaten müssten sich jetzt verpflichten, neue politische und wirtschaftliche Mittel für ein neues Afghanistan zu finden“

„Egal ob in Italien oder in Europa, die Staaten müssten sich jetzt verpflichten, neue politische und wirtschaftliche Mittel für ein neues Afghanistan zu finden. Ein Afghanistan, das islamisch bleibt, aber in dem es einen ,erleuchteten' Islam gibt, der dem Land den Weg in die Moderne eröffnet. Ich glaube nicht, dass das, was in den jungen Leuten gesät wurde, verloren gegangen ist. Die Schließung der Botschaften im Land ist natürlich ein Hindernis, aber es muss der Jugend im Land weiter geholfen werden, sei es durch die internationalen Organisationen, die noch in Afghanistan sind, als auch indem man sich der Afghanen annimmt, die das Land verlassen haben. Es geht darum, ihnen zu helfen, dass sie selbst ihr Land neu wiederaufbauen können, dass sie zurückkehren können, mit ihrer Kultur, und dort Protagonisten des neuen Afghanistans werden können. Ist das eine Utopie? Ich weiß es nicht, aber ich liebe diese Vorstellung."

 

(vatican news-sst)

 

   

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15. August 2022, 11:12