Erzbischof Anthony Poola aus Indien, der bald zum Kardinal erhoben wird Erzbischof Anthony Poola aus Indien, der bald zum Kardinal erhoben wird 

Der erste Dalit-Kardinal Anthony Poola im Interview

Er hat sich in Indien dem Dienst an den Verletzlichen und Ausgestoßenen verschrieben: Erzbischof Anthony Poola aus Hyderabad, den Papst Franziskus am 27. August zum ersten „Dalit“-Kardinal der Kirche erheben will. Radio Vatikan hat mit ihm gesprochen.

Deborah Castellano Lubov und Anne Preckel – Vatikanstadt

Das Wort „Dalit“, aus dem Altindischen mit „zerbrochen“ oder „mit Füßen getreten“ übersetzbar, bezieht sich auf alle Gruppen, die in Indien einst als „Unberührbare“ galten und außerhalb des vierstufigen Kastensystems eingeordnet wurden. Heute gehören etwa 200 Millionen der 1,4 Milliarden Inder und 60 Prozent aller Christen Indiens dieser sozial benachteiligten Schicht an.

Besondere Sorge um die Armen

Seine Ernennung versteht der designierte Kardinal Anthony Poola, der selbst aus einer Dalit-Familie stammt, als Auftrag und Bestätigung von Seiten des Papstes, sich gerade für diese Bevölkerungsgruppe einzusetzen. In Papst Franziskus‘ Pontifikat nehme er stark die besondere Fürsorge für die Armen und die Menschen am Rande wahr, so der indische Kirchenmann im Interview mit Radio Vatikan. Davon fühle er sich stark angesprochen.

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„Ich habe das verstanden, als Papst Franziskus das Papstamt antrat. Er verkörpert das, was ich persönlich verstanden habe: Liebe, Mitgefühl und die Hinwendung zur Peripherie, zu den Ärmsten der Armen. Deshalb geben wir den Armen und Ausgegrenzten immer den Vorrang und haben eine starke Botschaft: ,Eine arme Kirche für die Armen‘. Seien es Wirbelstürme oder Kriege wie der in der Ukraine – ich sehe diese Sorge des Heiligen Vaters für alle Menschen des Universums. Was mich betrifft, erwartet er vielleicht von mir, die Probleme der Ausgegrenzten und vielleicht auch der Dalit zu lösen. Was nicht bedeutet, andere Menschen in unserer Obhut zu vergessen.“

Nachricht kam überraschend

Die Nachricht, das Papst Franziskus ihn zum Kardinal erheben will, sei für ihn überraschend gekommen, berichtet der indische Erzbischof gegenüber Radio Vatikan.

„Ich war gerade in Kerala, als mir italienische Freunde zur Ernennung gratulierten. Ich sagte ihnen, dass ich nur Erzbischof von Hyderabad sei, kein Kardinal, und in dieser Funktion auch gerade mal 14 Monate diene. Dann schickten sie mir den Link zum Video, wo der Papst auch meinen Namen nennt. Ich war schockiert! Damit hätte ich nicht gerechnet, nicht mal im Traum… Aber ich fühle, dass es die Gnade Gottes ist und dass es sein Wille ist, dass ich durch Papst Franziskus diesen Ruf erhalte. Ich sehe es als große Chance, den Menschen zu dienen, in Südindien und allen gesellschaftlichen Schichten, insbesondere den Telugu-Staaten Telangana und Andhra Pradesh.“

Hyderabad, wo Anthony Poola seit November 2020 Erzbischof ist, ist die Hauptstadt des südindischen Bundesstaates Telangana. Telugu aus der dravidischen Sprachfamilie wird von 81 Millionen Menschen in Südindien gesprochen und ist nach Hindi, Bengali und Marathi die Sprache Indiens mit der höchsten Verbreitung. Als Telugu werden zugleich Angehörige einer Ethnie bezeichnet, zu der auch der designierte Kardinal gehört.

Regierung bemühe sich um Förderung

Mit Blick auf die Diskriminierung der Dalit merkt Poola an, dass auch nach der Abschaffung des Kastensystems in Indien soziale Faktoren der Benachteiligung weiterwirkten. Gleichwohl gebe es inzwischen von Seiten der Regierung Bemühungen, die Lage dieser sozialen Gruppe zu verbessern. Der Erzbischof von Hyderabad nennt ein Beispiel:

„Damals gab es für die ,Unberührbaren‘ keinen Zugang zu Schule oder Bildung. Aber jetzt bietet die indische Regierung, vor allem in unseren Bundesstaaten Telangana und Andhra Pradesh, wo ich herkomme, diesen ausgegrenzten, armen Menschen und Dalits mehr Möglichkeiten und ermutigt sie, zur Schule zu gehen und zu studieren. Was ich von den Menschen erwarte und was wir zu praktizieren versuchen, ist das Bewusstsein für Menschen und Situationen (der Ungleichheit, Anm.) zu schärfen und zu versuchen, Gleichheit herzustellen.“

Hilfe für arme Kinder

Persönlich sehr bewegt habe ihn sein Dienst als Seminarist und Priester in abgelegenen Dalit-Dörfern nahe seiner Heimatdiözese Kurnool, die im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh liegt. Dort habe er sich vor allem um die Ausbildung von Kindern in bitterarmen Gemeinden gekümmert, so der künftige Kardinal.

„Diese Orte sind sehr arm und von Dürre bedroht. Wir konnten nur abends dorthin gehen, da die Menschen tagsüber arbeiteten. Dann läuteten wir die Glocke der Kirche, sammelten die Kinder ein und unterrichteten sie im Katechismus. Manchmal kochten die Leute etwas und kamen in die Kirche. Es war wunderbar, das zu beobachten, es hat mich mit Mitgefühl und Liebe erfüllt, vor allem fühlte ich mich für die Kinder verantwortlich. Es war mir ein Anliegen, ihnen Bildung zu schenken, denn sie haben kein Geld oder Vermögen, das sie verkaufen könnten. Aber wenn man ihnen Bildung schenkt, dann ist das ein großes Geschenk. Ich schaute in meine eigene Lebensgeschichte...“

Selbst aus armen Verhältnissen

In der Tat wuchs der angehende Kardinal selbst in ärmlichen Verhältnissen auf. Wegen Armut habe er nach der siebten Klasse die Schule unterbrechen müssen, berichtet Poola. Auch Diskriminierung habe er als Dalit-Kind am eigenen Leib erfahren.

„Es gibt ein System im Dorf. Es gibt eine soziale Stigmatisierung. Was kann man tun – das ist schwer zu ändern. Unsere Häuser standen früher am nördlichen Rand des Dorfes. Wenn wir zu den Leuten der höheren Kaste gingen, gossen diese uns manchmal Wasser in die Hand, wenn wir durstig waren. So mussten wir trinken. Wir haben dieses soziale Stigma einfach akzeptiert, für mich war es nicht schmerzhaft, es war eine Form der Diskriminierung, die es vor allem in abgelegenen Dörfern gab. Dieses Aus-der-Hand-trinken-müssen oder die Verwendung von separaten Tellern und Gläsern für die Dalits gibt es heute nicht mehr, aber es war eine Form von Diskriminierung.“

Als er als Kind selbst die Schule abbrechen musste, habe er gedacht, dies sei das Ende seiner Laufbahn. Dank Missionaren, die den jungen Anthony nach Kadapa brachten und ihn beim Studium unterstützten, habe er sich aber weiterentwickeln können – intellektuell und menschlich, wie er gegenüber Radio Vatikan betont. Anthony folgte seiner Berufung zum Priester, studierte Theologie und Philosophie in Bangalore und wirkte danach zehn Jahre lang selbst als Missionar.

„Mein ganzes Leben lang war ich ein einfacher Priester, ein einfacher Missionar“, sagt der heute 60-Jährige über sich selbst. Seine Absicht sei dabei vor allem gewesen, „so vielen armen Kindern wie möglich zu helfen“, so der indische Kirchenmann, der sich um Ausbildung, Unterbringung und Patenschaften für seine Schützlinge bemühte.

Nach zwei Jahren als Erzbischof bald Kardinal

Nach einem Studienaufenthalt in den USA, wo er sich für die Gesundheitspastoral ausbilden ließ und in Chicago als Seelsorger wirkte, wurde er im Februar 2008 vom damaligen Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Kurnool ernannt. Papst Franziskus bestimmte ihn schließlich im November 2020 zum Erzbischof von Hyderabad. Im Konsistorium vom kommenden 27. August soll Anthony Poola nun zum Kardinal erhoben werden. 

(vatican news – pr)


 

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09. Juni 2022, 14:08