Frauendemonstration in Minsk Frauendemonstration in Minsk 

Belarus: „Kirche ist nicht Partei“

In Belarus gibt es nach wie vor Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Am Sonntag kam es zu Dutzenden neuer Verhaftungen auf einem sogenannten „Frauenmarsch“, bei dem die Freilassung der Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa gefordert wurde. Auch an diesem Montag gibt es wieder Demonstrationen und Verhaftungen. Am Dienstag treffen sich Lukaschenko und der russische Präsident Wladimir Putin in Sotschi.

Die Möglichkeit eines Dialogs zwischen der Opposition und Präsident Alexander Lukaschenko, der stark umstritten ist, scheint derweil noch in weiter Ferne zu liegen - insbesondere nach dem Sieg des Staatsoberhauptes bei den Wahlen vom 9. August, die von den Demonstranten als manipuliert angesehen werden. Wir sprachen über die Lage in Belarus mit Martin Lenz, Abteilungsleiter für den Bereich Projektarbeit Länder. beim katholischen Osteuropa-Hilfswerk Renovabis.

Zum Nachhören

Der vatikanische Außenminister Erzbischof Richard Paul Gallagher war am Wochenende zu Gesprächen in Belarus. Was kann Ihrer Meinung diese Visite bewirken?

Ich denke, es ist sehr wichtig, dass der Heilige Stuhl eine so wichtige diplomatische Aktion gestartet hat. Belarus hat im Augenblick keinen Nuntius vor Ort. Deswegen ist es umso wichtiger, dass der vatikanische Außenminister jetzt einen direkten Kontakt aufgenommen hat. Ich glaube, die Berichte, dies es bisher darüber gegeben hat, sind sehr positiv. Damit ist klar, dass der Fokus des Vatikans auf die Situation einen besonderen Akzent bekommt.

„Dass der Metropolit für Belarus nicht mehr in sein Land einreisen darf, schockt die Katholiken“

Wie ist denn aktuell die Lage der katholischen Kirche in Belarus? Was wissen Sie als Osteuropa-Hilfswerk über die Situation der Katholiken in Belarus?

Die katholische Kirche ist, wie es bereits von vielen Medien berichtet wurde, mit 10 bis zu 15 Prozent der Bevölkerung vertreten. Die Katholiken leben dort ganz normal wie alle anderen Bürger. Da gibt es keine Unterschiede. Man muss natürlich schon sagen, dass gerade die Politik, wie sie in den vergangenen Tagen offenbar wurde, wie zum Beispiel durch das Einreiseverbot für den katholischen Erzbischof von Minsk, die Katholikinnen und Katholiken ein Stück weit besonders getroffen. Dass der Metropolit für Belarus nicht mehr in sein Land einreisen darf, schockt die Katholiken. Ich habe selber einige Kontakte nochmal angefragt, und man sagte mir, dass es nicht verständlich sei, denn bei allem, was man in den letzten Tagen hören konnte, war die Kirche dennoch nie im eigentlichen Sinne eine Partei und personenpolitisch eingebunden. Man hat immer als Kirche darauf hingewiesen, keine Gewalt anzuwenden. Es wurde auch betont, dass nach Verhaftungen zum Beispiel keine Gewalt angewendet werden solle. Aber es kam nie zu einer wirklich politischen Einmischung.

„Verschiedene Positionen in der orthodoxen Kirche“

Dann gibt es ja noch die orthodoxe Kirche. Sie kündigte an, sich im Konflikt neutral verhalten zu wollen. Welche Rolle spielt sie denn in Belarus?

Die orthodoxe Kirche würde sich vermutlich selbst als kulturell prägend für Belarus bezeichnen. Vor diesem Hintergrund nimmt sie gegenüber der aktuellen Regierung nochmal eine andere Position ein. Ich habe aus Belarus vernommen, dass es durchaus verschiedene Einzelströmungen gibt in der orthodoxen Kirche des Landes. Es gibt offenbar einige hochrangige Vertreter der Orthodoxie, die auf die aktuelle politische Situation einen sehr kritischen Blick einnehmen. Das liegt daran, dass man sieht, dass durch die wochenlangen Spannungen die Spaltung in der Gesellschaft immer größer wird. Die Hoffnung, die es vielleicht auf der Regierungsseite gab, war, dass die Proteste irgendwann einmal auslaufen würden. Es sieht nicht danach aus. Am Sonntag gingen wieder viele Menschen auf die Straßen, und es gab große Demonstrationen im ganzen Land. Deswegen sieht es auch von orthodoxer Seite so aus, kritisch darauf zu schauen. Der neue Metropolit für Belarus, Benjamin, hat allerdings relativ deutlich gesagt, dass sich die Orthodoxen erstmal aufs Beten konzentrieren sollten.

„Die wirtschaftliche Krise, die ja in Belarus seit Jahren herrscht, ist durch die Coronakrise und durch die politische Krise nochmals verschärft worden“

Inwieweit hilft Renovabis den Menschen in Belarus? Es gibt ja neben den politischen Spannungen auch andere Herausforderungen, wie beispielsweise das Coronavirus.

Belarus ist für Renovabis in den vergangenen Jahren immer einer der starken Projektländer gewesen. Wir haben in Belarus die gesamte Bandbreite unseres Förderungsangebots präsent. Wir unterstützen die Kirche und kirchliche Partner beim Aufbau der Pastoralstrukturen. Wir sind aber auch dabei, wenn es darum geht, Anfänge von Bildungswesen in kirchlicher Trägerschaft mit zu unterstützen. Und in den letzten Jahren sind wir auch bei der Unterstützung von Sozialprojekten stark geworden. Gerade jetzt in der Coronazeit haben wir zusammen mit Partnern wie die Caritas sehr umfangreiche Projekte gestartet. Da geht es um ganz handfeste Einkaufsmöglichkeiten, um an Hygieneartikel zu kommen. Es geht auch um Verteilung von kleineren Nutztieren, die gerade für ältere Menschen und auf dem Land wichtig sind, um längerfristig zu helfen. Die wirtschaftliche Krise, die ja in Belarus seit Jahren herrscht, ist durch die Coronakrise und durch die politische Krise nochmals verschärft worden.

Das Gespräch führte Mario Galgano.

(vatican news)

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14. September 2020, 14:24