Verletzte werden nach dem Luftangriff in einem Krankenhaus behandelt Verletzte werden nach dem Luftangriff in einem Krankenhaus behandelt 

„Unmenschliches Massaker an Flüchtlingen in Libyen“

Der italienische Flüchtlingsbischof Guerino Di Tora ist entsetzt über das Massaker an afrikanischen Migranten in Libyen. Die Bombardierung eines Internierungslagers, bei der 40 Migranten starben und 35 verletzt wurden, nennt er „unmenschlich“.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Auch wenn Italiens populistischer Innenminister Matteo Salvini so tut, als seien Flüchtlinge in Libyen (relativ) sicher, spricht die Bombardierung vom Dienstag eine andere Sprache. Mutmaßlich waren es Verbündete des aufständischen Generals Chalifa Haftar, die das Lager in Tajoura vor den Toren von Tripolis bombardierten; 120 Migranten aus vielen Ländern Afrikas waren in dem Lager unter unwürdigen Bedingungen eingepfercht. Wie sie laufen Migranten überall in Libyen Gefahr, zwischen die Fronten des libyschen Bürgerkriegs zu geraten. Einige werden sogar von Milizen zum Mitkämpfen gezwungen.

Zum Nachhören

„Eine furchtbare, unmenschliche Tat gegenüber Menschen, die in diesen Internierungscamps ohnehin schon Schlimmes erdulden“ – so nennt Bischof Di Tora die Bombardierung von Tajoura. „Das gleitet wirklich immer mehr ins Absurde, in den Wahnsinn ab. Wir sollten uns wirklich neu um eine Haltung nicht nur des Interesses, sondern auch des Verständnisses für gewisse Probleme bemühen, die die ganze Menschheit betreffen. Diese armen Menschen, die in diesen Lagern eingepfercht werden – dass man sie dort auch noch umbringt! Dass man sie dort bombardiert, ist wirklich ein Akt völliger Unmenschlichkeit, der gegenüber keiner gleichgültig bleiben kann. Alle müssen wir uns als Teil dieser Realität fühlen, keiner kann sagen: Das geht mich nichts an, das ist nicht mein Problem, daran ist nur dieser Krieg in Libyen schuld.“

Rom tut so, als gäbe es in Libyen sichere Häfen

Zwischen Italien und Libyen besteht eine gewisse, nicht nur geografische Nähe. Fast zehn Jahre lang (1934-43) war Libyen eine Kolonie des faschistischen Italien; heute sind Dutzende italienische Unternehmen in dem Wüstenstaat auf der anderen Seite des Mittelmeers engagiert. Der italienische Staat hat sich nach dem Ende des Gaddafi-Regimes sehr um den Wiederaufbau in Libyen bemüht; vor allem aber versucht er durch Ausbildung der libyschen Küstenwache (und auch durch zweifelhafte Deals mit Milizenchefs), Flüchtlingsboote am Ablegen in Richtung Italien zu hindern.

Auch das gehört zum Hintergrund des „Sea-Watch-3“-Skandals: Rom tut so, als gäbe es auch in Libyen sichere Häfen, damit die Seenotretter mit geretteten Migranten an Bord bloß nicht die italienischen Häfen, vor allem Lampedusa, ansteuern.

„Sie fliehen nicht nur vor dem Krieg der Waffen“

„Dieses Phänomen der Migration, der Menschen, die vor Kriegen flüchten, geht uns alle etwas an!“, so der italienische Flüchtlingsbischof. „Sie fliehen nicht nur vor dem Krieg der Waffen, sondern auch vor dem Krieg des Hungers, der Trockenheit, der sich ausbreitenden Wüsten. Wir alle sollten uns dafür mitverantwortlich fühlen. Das ist eine Gewissensfrage der Menschlichkeit, ganz ungeachtet des Christentums. Natürlich sehen wir Christen darin noch etwas mehr: den Ruf des Herrn, dass wir den Nächsten nicht allein der Not überlassen dürfen. Dass wir ihn retten, ihn aufnehmen sollen.“

Den Namen Salvini spricht der Bischof nicht aus. Die Spitzenvertreter der italienischen Kirche scheinen sich mit dem Papst in der Strategie einig zu sein, den populären „Lega“-Politiker, der, wenn kein Wunder geschieht, nächster Ministerpräsident werden dürfte, nicht frontal anzugreifen. Dass Salvini mit seinem Kurs der geschlossenen Häfen und der Abweisung von Flüchtlingen immer neue Wahlerfolge einheimst, bedeutet ein Hindernis für die kirchliche Haltung der Offenheit gegenüber Migranten.

„Konzentrationslager“im Wüstensand

Di Tora nennt, wie auch Papst Franziskus, die Verhältnisse in Libyen menschenunwürdig; man könne keinen Migranten dorthin zurückschicken, im Gegenteil, sie müssten aus dieser Falle gerettet werden. Die Internierungslager, in denen Migranten festgehalten würden, seien eine Art „Konzentrationslager“: Container ohne Lüftung, und nichts zu essen oder zu trinken. Viele schwarzafrikanische Migranten würden gefoltert, vergewaltigt, Frauen auf Dorfmärkten als Sex-Sklavinnen verkauft.

„Der Krieg in Libyen hält an, die Menschen töten sich in diesem Land untereinander, und natürlich beeinträchtigt dieser Konflikt auch die Migranten, die in diesen Konzentrationslagern eingesperrt sind. Andere Nationen müssten sich dringend um eine Art Vermittlung im libyschen Konflikt bemühen, damit man irgendwie zu einem Gleichgewicht des Friedens und der Stabilität zurückfindet. Solange es dort keinen Frieden und keine Stabilität gibt, wird der ganze Nahe Osten darunter leiden – und auch wir in Europa, die wir uns am anderen Ufer des Mittelmeers befinden.“

„Wir haben doch die furchtbaren Bilder gesehen“

Dass viele Migranten in Italien als „Invasoren“ angesehen werden und nicht etwa als Opfer, kann der Bischof nicht verstehen. „Wir haben doch die furchtbaren Bilder gesehen: Menschen, die verdursten, die den Verstand verlieren, die vergewaltigt werden… Und das alles nur, damit einige mehr Geld einstecken, und um die Händler des Todes zu ernähren… Das ist nichts anderes als Sklaverei – eine neue Entmenschlichung, zu der wir nicht schweigen oder uns gleichgültig verhalten können.“

(vatican news)
 

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04. Juli 2019, 10:52