Aktion zum Weltkindertag, das Foto wurde in China aufgenommen Aktion zum Weltkindertag, das Foto wurde in China aufgenommen  (AFP or licensors)

Vatikan zum EU-Abtreibungs-Votum: Frauen und „Kultur des Wir" stärken

Als „ideologische“ und „rückwärtsgewandte Entscheidung“ hat der Vatikan den Vorstoß des EU-Parlamentes bezeichnet, ein Recht auf Abtreibung in die Europäische Grundrechte-Charta aufnehmen zu wollen. In Brüssel stimmte am Montag eine Mehrheit von 336 Abgeordneten für diesen Schritt.

„Ich halte es für eine völlig ideologische Entscheidung im negativen Sinne des Wortes“, kommentierte der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben gegenüber Radio Vatikan. In kultureller und sozialer Hinsicht sei es „sehr bedenklich“, dass bei der Entscheidung das Recht des ungeborenen Kindes nicht berücksichtigt werde, so Erzbischof Vincenzo Paglia: „In diesem Fall ist das ungeborene Kind schwächer, es kann nicht sprechen, kann nichts einfordern, und es ist zu einfach, die Rechte des Stärkeren durchzusetzen und den Schwächeren zu vergessen. Es ist eine falsche Entscheidung, ein Recht nur für eine Partei einzufordern, nicht für beide.“

Für den Vatikanvertreter würde ein Recht auf Abtreibung zudem die notwendige Unterstützung für Frauen untergraben: viele Schwangere trieben „aus Verzweiflung“ ab, gab Paglia zu bedenken. „In diesem Sinne scheint es mir eine Entscheidung zu sein, die rückwärts und nicht vorwärts geht“, so der Erzbischof.

„Es ist eine falsche Entscheidung, ein Recht nur für eine Partei einzufordern, nicht für beide.“

In Brüssel stimmten am Montag 336 Abgeordnete für die Verankerung eines Abtreibungsrechtes in der Europäische Grundrechte-Charta, 163 waren dagegen, 39 enthielten sich. In der Resolution vom 11. April werden die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, das „Recht auf körperliche Selbstbestimmung und auf einen freien, informierten und umfassenden Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit“ - wozu auch Abtreibung gehören soll - in die Charta aufzunehmen.

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Definition von Leben ist Schlüsselfrage

„Wenn es ein Leben ist, mit welchem Recht schließe ich es aus oder beseitige es?“

Schlüsselfrage bei der Frage der Abtreibung sei die Definition von Leben, so Vatikanvertreter Paglia: „Ist der Mensch, der gezeugt wurde, ein Leben oder nicht? Wenn es ein Leben ist, mit welchem Recht schließe ich es aus oder beseitige es? Das Recht desjenigen, der geboren werden soll, zugunsten der Rechte eines anderen völlig außer Acht zu lassen, zumal wenn er dann nichts entscheiden kann, scheint mir eindeutig ein kultureller Rückschritt zu sein.“ Der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben erinnert an die jüngste Erklärung der Glaubenslehre zur Menschenwürde „Dignitas infinita“, die hervorhebt, dass jedem Menschen eine unendliche Würde zukommt, die niemanden ausschließt.

„Deshalb muss die Kirche das Leben verteidigen: Wir sind gegen die Todesstrafe, gegen den Krieg, gegen die Abtreibung, gegen die Ungerechtigkeit, gegen das Fehlen von Rechten am Arbeitsplatz, das Fehlen des Schutzes des Lebens auch für diejenigen, die unter schrecklichen Bedingungen arbeiten. Das ist es, was wir unbedingt fördern sollten: die Verteidigung des Lebens im Ganzen, angefangen bei dem der Schwächsten.“

„Plural-Sein“ als Substanz des Menschlichen

„In diesem Sinne müssen wir auch die Mitverantwortung für das Leben, das geboren wird, wiederentdecken.“

Für den Vatikanvertreter ist das Votum des EU-Parlamentes für ein Recht auf Abtreibung nicht einfach nur eine politische Entscheidung. In dem Willen, ein „Recht auf Abtreibung“ zu verankern, spiegelt sich für Paglia der Vormarsch des Individualismus wider, die Tendenz einer „totalen Wiederbelebung individueller Rechte auf Kosten der Pflichten gegenüber anderen“. Diese „Trunkenheit des Individualismus“ lasse vergessen, „dass wir alle miteinander verbunden sind“, gibt der Erzbischof zu bedenken.

Das „Wir“ oder „Plural-Sein“ des Menschen komme gerade in der Mutterschaft und Geburt zum Ausdruck. „In diesem Sinne müssen wir auch die Mitverantwortung für das Leben, das geboren wird, wiederentdecken“, appellierte der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben. Die Fürsorge für die Frauen, die dieses Leben in sich tragen, gehöre wesentlich dazu, insistiert Paglia:

„Mutter Teresa richtete eine Aufnahmestelle für solche Frauen ein, wo sie den Schwangeren sagte: ,Lasst die Kinder zur Welt kommen, ich kümmere mich um sie‘. – So viele Frauen treiben ab, weil sie Probleme haben, vielleicht wirtschaftliche oder auch psychologische oder anderer Art. Sie treiben ab, weil sie allein sind und keine Hilfe bekommen. Deshalb müssen wir – statt eine Kultur, die weiterhin das ,Ich‘ verherrlicht – eine Kultur des ,Wir‘ anstreben. Dieses ,Wir‘ ist die Substanz des Menschlichen, der Solidarität, der Geschwisterlichkeit und damit auch der Gerechtigkeit.“

Was meint Förderung von Frauen?

Wie der Vatikan kritisiert auch die Vertretung der katholischen Bischöfe in Brüssel den Vorstoß des EU-Parlamentes vom Montag. Das Recht auf Leben sei der Grundpfeiler aller anderen Menschenrechte, erklärte die EU-Kommission der Bischofskonferenzen (COMECE) am Dienstag. Eine Erleichterung der Abtreibung gehe zudem in eine „entgegengesetzte Richtung zur wirklichen Förderung der Frauen und ihrer Rechte“.

Fragen der menschlichen Fortpflanzung seien in der Geschichte immer wieder dazu missbraucht worden, Frauen bestimmte Rollen zuzuweisen, warnte der deutsche katholische Theologe und Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl mit Blick auf die geforderte Verankerung eines Abtreibungsrechtes. Er äußerte sich an diesem Freitag gegenüber der ,Neuen Osnabrücker Zeitung'.

In seiner Reaktion auf das EU-Parlamentsvotum verwies das Mitglied des Deutschen Ethikrates positiv auf die bisherige rechtliche Regelung in Deutschland: Dass Schwangerschaftsabbrüche dort innerhalb der ersten zwölf Wochen zwar illegal, aber straffrei sind, sei ein „sinnvoller Ausgleich zwischen dem Lebensrecht des Kindes und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau“. Dieser Ausgleich sollte nicht zunichtegemacht werden, so Lob-Hüdepohl, der vor einem Aufschnüren des geltenden deutschen Abtreibungsrechts warnte.

„Wenn mühsam gefundene politische und gesellschaftliche Kompromisse in dieser Frage aufgekündigt werden, wird darunter nicht nur das ungeborene Leben zu leiden haben, sondern am Ende auch Frauen selbst."

Das Interview mit Erzbischof Paglia führte Francesca Sabatinelli, Vatican News.

(vatican news/kap – pr mit Audiomaterial von F. Sabatinelli)
 

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12. April 2024, 13:44