Darstellung der Justitia als Halbrelief Darstellung der Justitia als Halbrelief 

Vatikan: Soziale Ungleichheit an der Quelle bekämpfen

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weltweit immer weiter auseinander. Ursachen dafür liegen im System selbst: „Es sind heute die Regeln und Strukturen der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen, die soziale Ungleichheit produzieren“, sagt Stefano Zamagni, Präsident der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften. Er ist Gastgeber eines Vatikan-Workshops an diesem Mittwoch, bei dem es um Gegenmaßnahmen geht.

Anne Preckel und Alessandro Guarasci – Vatikanstadt

Nur ein Prozent der gesamten Weltbevölkerung verfügt heute über 20 Prozent des gesamten Reichtums. Mehr als zwei Drittel aller Menschen lebt laut Angaben der UNO in Ländern, wo die soziale Ungleichheit in den letzten 30 Jahren zugenommen hat. Bei der Vermögensverteilung und der Entlohnung sind es vor allem Mädchen und Frauen, die weltweit immer mehr benachteiligt sind, wie eine OXFAM-Studie belegt, die das Hilfswerk pünktlich zum Auftakt des vergangenen Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlichte.

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Ganz oben ansetzen

Über Maßnahmen gegen diese Tendenz sprechen an diesem Mittwoch Teilnehmer eines Seminars im Vatikan: „Neue Formen der solidarischen Geschwisterlichkeit, Inklusion, Integration und Innovation“, so der Titel des Workshop, zu dem die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften Finanzminister, Banker und Wirtschaftsfachleute aus aller Welt in die Vatikanischen Gärten geladen hat. Aus gutem Grund genau sie: Um die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, muss nämlich ganz oben angesetzt werden, sagt Stefano Zamagni, Präsident der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften, im Interview mit Radio Vatikan:

„Es braucht einen globalen Pakt, um die Spielregeln der Wirtschaft zu verändern, vor allem auf internationaler Ebene. Man muss aufhören zu denken, man könne Ungleichheit durch Maßnahmen bekämpfen, die sich auf nachgelagerte Folgen beziehen. Man muss vielmehr zur Quelle der Ungleichheit! Vielleicht konnte man in der Vergangenheit noch Maßnahmen ergreifen, die mit der Wohlfahrt (eines einzelnen Landes, Anm.) zu tun hatten. Was in den letzten 30 Jahren sich allerdings als neu gezeigt hat ist Folgendes: Es sind die Regeln und die Struktur der Wirtschaftsbeziehungen selbst, die Ungleichheit produzieren – unabhängig vom menschlichen Willen. Dafür ein Verständnis zu schaffen, wäre ein gutes Ergebnis. Viele mögen denken, dass diejenigen, denen es schlecht geht und die am Ende der sozialen Leiter stehen, keine ausreichenden Talente besitzen.. Das ist heute nur teils noch wahr: Ungleichheit wird heute durch Funktionsweisen der internationalen Finanzwelt und ihre Spekulationen erzeugt.“

„Es braucht einen globalen Pakt, um die Spielregeln der Wirtschaft zu verändern“

Erträge fließen kaum in Entwicklung

Ein globaler Pakt - dessen Verbindlichkeit und Umsetzbarkeit gilt es freilich zu klären. So stellt sich etwa die Frage, ob moralische Selbstverpflichtungen hier ausreichen und inwiefern die Weltpolitik auf globale Player der Finanz- und Wirtschaftswelt überhaupt einwirken kann - und will. 

Zamagni verweist darauf, dass das Volumen finanzieller Transaktionen bis 1980 „mehr oder weniger so groß“ gewesen sei wie der weltweite Umsatz. Dabei seien Teile dieser Summen zu dieser Zeit noch in die Realwirtschaft geflossen und hätten damit zur Entwicklung in Ländern beigetragen. Das sei heute anders: Heute gehe es in der Finanzwelt um Summen, die mehr als vier Mal so groß seien wie der weltweite Umsatz. Sie würden aber mitnichten vielen Menschen zugutekommen, so der italienische Wirtschaftswissenschaftler. Konkret plädiert er dafür, Steuerhinterziehung im großen Stil entschieden zu bekämpfen:   

„Heute ist die Finanzwelt selbstreferentiell, in sich selbst abgeschlossen. Wenn wir nicht die Steuerparadiese, die sich in bestimmten Weltregionen befinden, schließen, wird man da schwer eingreifen können. Mit außergewöhnlichen menschlichen Fähigkeiten oder besonderer Innovation hat der Reichtum im Finanzbereich nichts zu tun. Diejenigen, die sich bereichern, haben ,Glück‘ gehabt oder einfach keine moralischen Skrupel – deshalb häufen sie enormen Geldsummen an.“

Ungleichheit speist Terror

Soziale Ungleichheit sei die tiefere Ursache von Phänomenen wie Terrorismus und Gewalt, fährt Zamagni fort. Sicherheitspolitik müsse so letztlich größere globale Zusammenhänge berücksichtigen.

„Ungleichheit sät Hass, sie sät den Willen zur Zerstörung des anderen und Gewalt. Wenn wir an terroristische Phänomene denken, ist es offensichtlich, dass sie genau dort entstehen, wo Menschen an den Rand gedrängt werden und soziale Ungleichheit erfahren. Wenn wir also Sicherheit herstellen wollen muss als erstes Ungleichheit verringert werden.“

Das Seminar am Sitz der Akademie der Päpstlichen Sozialwissenschaften ist am Mittwoch im Stream auf Youtube mitzuverfolgen. 

 

(vatican news – pr)

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05. Februar 2020, 14:29