Papst besucht Bratislavas jüdisches Viertel

Mitten in der Altstadt von Bratislava, gleich neben der Kathedrale, lag jahrhundertelang das jüdische Viertel. An seinem ersten vollen Besuchstag in der Slowakei traf sich Papst Franziskus hier am Montagnachmittag mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Eine schwarze Mauer, die die Umrisse der zerstörten Synagoge zeigt, und eine abstrakte Bronze-Skulptur mit Davidsstern an der Spitze – viel mehr ist im Zentrum von Bratislava vom früheren jüdischen Viertel nicht geblieben. Die Synagoge mit ihren Zwiebeltürmchen, die immerhin den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überlebt hatte, wurde 1969 von der damaligen kommunistischen Regierung demoliert, zusammen mit den Überresten des ganzen Ghetto. Dabei war der „Rybné námestie“ (Fischplatz) einmal das pulsierende Zentrum jüdischen Lebens in der Slowakei.

„Der Platz, auf dem wir uns befinden, ist für eure Gemeinschaft sehr bedeutungsvoll“, sagte Papst Franziskus bei seinem Besuch. „Er hält die Erinnerung an eine reiche Vergangenheit wach… Hier hat der berühmte Rabbiner Chatam Sofer gearbeitet.“ Wie einst Mose am brennenden Dornbusch fühle er das Bedürfnis, „die Schuhe abzulegen“, denn hier sein ein heiliger Ort, „der durch die Geschwisterlichkeit der Menschen im Namen des Höchsten gesegnet ist“.

Ein heiliger Ort der Geschwisterlichkeit im Namen des Höchsten

15.000 Juden lebten im Jahr 1940 in Bratislava, zu Deutsch Preßburg; den Krieg überlebten nur 3.500 von ihnen. „Ich gehöre zu einer Generation, die ihre Großeltern nicht gekannt hat und sich auch an ihre Eltern nicht erinnert“, sagte ein Holocaust-Überlebender in einer kurzen Ansprache bei der Begegnung mit dem Papst. „Ich bin Jahrgang 1942; als ich drei Monate alt war, wurde mein Vater deportiert, und seine Spuren verloren sich. Erst fünfzig Jahre später habe ich, nach Öffnung der Archive, erfahren, dass er in der Ukraine gestorben ist.“

1944 sei dann seine Mutter deportiert worden, irgendwo in Deutschland habe sie auf einem Todesmarsch von Häftlingen den Tod gefunden. Er selbst habe dank mehreren beherzten Krankenschwestern auf einer Krankenstation überlebt; an die Tür habe man „Abteilung Ansteckende Krankheiten“ geschrieben, um die Häscher abzuschrecken.

Zum Nachhören: Der Papst trifft in Bratislava Juden

„Wie oft ist der unaussprechliche Name des Höchsten für unbeschreibliche Akte der Unmenschlichkeit benutzt worden!“

„Im hasserfüllten Wahn wurden während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend slowakische Juden ermordet“, sagte der Papst. „Und als man dann die Spuren der Gemeinschaft auslöschen wollte, wurde hier die Synagoge zerstört.“ Dieser Hieb galt dem früheren kommunistischen Regime.

„Hier, angesichts der Geschichte des jüdischen Volkes, die von dieser tragischen und unsagbaren Schmähung gezeichnet wurde, schämen wir uns zuzugeben: Wie oft ist der unaussprechliche Name des Höchsten für unbeschreibliche Akte der Unmenschlichkeit benutzt worden! Wie viele Unterdrücker haben erklärt: ‚Gott ist mit uns‘; aber sie waren es, die nicht mit Gott waren.“

Nein zu Gewalt und Antisemitismus

Ohne Umschweife solidarisierte sich Franziskus mit dem jüdischen Volk. „Liebe Brüder und Schwestern, eure Geschichte ist unsere Geschichte, eure Schmerzen sind unsere Schmerzen.“ Das furchtbare Leid der Shoah dürfe nicht vergessen werden, weil sonst „keine dauerhafte Morgenröte der Geschwisterlichkeit“ aufziehen könne.

„Dies ist für uns die Zeit, in der das Bild Gottes, das im Menschen erstrahlt, nicht verdunkelt werden kann. Helfen wir uns gegenseitig dabei… Wir sind – ich betone es – vereint in der Verurteilung jeglicher Gewalt, jeder Form des Antisemitismus und im Einsatz dafür, dass das Bild Gottes im menschlichen Geschöpf nicht geschändet wird.“

„Hier treffen unsere Geschichten wieder aufeinander...“

Richard Duda, der Präsident der Zentralunion jüdischer Gemeinden der Slowakei, hatte dem Papst in einer kurzen Rede auch von Zeichen der Hoffnung gesprochen. „Dieser Ort kann auch als eine Botschaft der Zusammenarbeit von Christen und Juden gedeutet werden – wir versuchen sie seit ein paar Jahren zu verstärken.“

Auf diesen Ton ließ sich auch Franziskus ein: „Wenn auch die Synagoge an dieser Stelle niedergerissen wurde, so ist die Gemeinschaft immer noch da. Sie ist lebendig und offen für den Dialog. Hier treffen unsere Geschichten wieder aufeinander. Hier bekräftigen wir gemeinsam vor Gott unseren Willen, auf dem Weg der Annährung und der Freundschaft fortzufahren.“

Die schönsten Momente der Begegnung im jüdischen Viertel von Bratislava in unserem Video

Das Gedächtnis reinigen

Christen und Juden sollten „in der Wahrheit und in Ehrlichkeit auf dem brüderlichen Weg der Reinigung des Gedächtnisses voranschreiten, um die Wunden aus der Vergangenheit zu heilen“. Jeder Einzelne könne das Seine dazu beitragen. „Mit Reinigung des Gedächtnisses“ griff Franziskus übrigens eine Formulierung seines hl. Vorgängers Johannes Paul II.‘ (1978-2005) auf. Der polnische Papst hatte im Heiligen Jahr 2000 ein „Mea Culpa“ für die Sünden und Verfehlungen von Christen gegenüber Juden gesprochen.

„Was ihr durch euer wertvolles Miteinander tut, zählt sehr viel. Ich danke euch für die Türen, die ihr auf beiden Seiten geöffnet habt. Die Welt bedarf offener Türen. Sie sind Zeichen des Segens für die Menschheit.“

Nach der Rede von Papst Franziskus wurde ein traditionelles jüdisches Totengebet gesprochen. Auch gab es während der Begegnung einen Moment der Stille, um der Holocaust-Opfer in der Slowakei und weltweit zu gedenken. 

(vatican news - sk)
 

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13. September 2021, 18:00