Frau auf dem Sockel: Mariensäule in München, dahinter die Türme der Frauenkirche Frau auf dem Sockel: Mariensäule in München, dahinter die Türme der Frauenkirche  

„Fratelli tutti”: Lob und Kritik deutscher Katholikinnen

Die beiden großen katholischen Frauenverbände Deutschlands haben die eindringliche Mahnung zur Solidarität und Geschwisterlichkeit von Papst Franziskus in „Fratelli tutti” einhellig gewürdigt. Kritik übten sie an einer aus ihrer Sicht mangelhaften Benennung von Ungerechtigkeiten innerhalb der katholischen Kirche. Außerdem habe Franziskus in seinem Lehrschreiben keine einzige Frau zitiert.

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) sieht in „Fratelli tutti” einen wichtigen „Aufruf, über eine auseinanderdriftende und von Egoismen geprägte Welt nachzudenken, die auf das Recht der Stärkeren setzt und Schwache außen vor lässt”, heißt es in einer Mitteilung von diesem Montag. Der Frauenbund stehe „an der Seite des Papstes, wenn es darum geht, eine geschwisterliche Gemeinschaft zu verwirklichen, die auf der Würde eines jeden Menschen beruht”.

Ähnlich schätzt die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) das neue Papstschreiben ein. Man teile „den Aufruf des Papstes, Solidarität gerade mit den Ärmsten und Schwächsten, insbesondere den Geflüchteten zu üben”, schreibt der Verband auf seiner Webseite. Die kfd stellte sich auch hinter die Forderung des Papstes nach einem „ehrlichen Dialog auf allen Ebenen zwischen Menschengruppen und Staaten”. Nur so ließen sich „Nationalismen, Fremdenhass und Ausgrenzung überwinden und ein am Gemeinwohl orientiertes solidarisches Denken und Handeln stärken”.

Franziskus tritt für Frauenrechte in der Welt ein: Lob

Lob zollen die beiden katholischen Frauenverbände auch dem Eintreten des Papstes für Frauenrechte in der Welt. Zu Recht mache Franziskus darauf aufmerksam, dass Frauen, „die Situationen der Ausschließung, der Misshandlung und der Gewalt erleiden“, doppelt arm dran seien, „denn oft haben sie geringere Möglichkeiten, ihre Rechte zu verteidigen”, zitiert der KDFB aus der Enzyklika.

Auch die kfd dankte dem Papst dafür, „dass er sehr klar die vorhandenen Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen und zwischen den Geschlechtern” benenne. Er beklage es zu Recht als „grenzenlose Verirrung", wenn Frauen versklavt und zur Abtreibung gezwungen werden und fordere „die Wahrheit und damit die Anerkennung des Schmerzes von Frauen, die Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sind. Der Papst stelle darüber hinaus klar, es sei inakzeptabel, dass eine Person weniger Rechte habe, nur weil sie eine Frau ist (121).

Kein Wort zu Frauen in kirchlichen Strukturen: Kritik

Beide katholischen Frauenvereinigungen vermissen in der Enzyklika jedoch, dass der Papst in seiner Kritik auch kirchliche Strukturen einbezieht. „Wenn man von der Welt Dialog- und Konsensfähigkeit, Solidarität, Achtung der Menschenwürde und Gerechtigkeit einfordert, dann muss man auch fragen, wie es in der Kirche selbst aussieht”, zitiert der KDFB seine Präsidentin Maria Flachsbarth. Sie nannte als Beispiele „sexuellen und geistlichen Missbrauch an Frauen in der Kirche, die Öffnung von Weiheämtern für Frauen oder den mangelnden Dialog einiger vatikanischer Kreise mit den Ortskirchen”.

Darüber hinaus bemängelte der Frauenverband, dass der Papst in seinem Lehrschreiben in 288 Fußnoten keine einzige Frau zitiert. Gerade an den Stellen, wo die Enzyklika speziell auf die Situation von Frauen blickt, zeige sie Frauen „nicht in ihrer Stärke, sondern in ihrer Verletzlichkeit”. Der KDFB sieht datin „subtile Formen, die Leistungen von Frauen nicht anzuerkennen und die Verletzlichkeit von Männern zu unterschlagen”.

Der Titel „Fratelli tutti"

Der Titel der Enzyklika widerspricht nach Darstellung der kfd „der im Text herausgearbeiteten Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit”. „Fratelli tutti" bedeutet wörtlich „Brüder alle", der Vatikan hatte aber nach Kritik beschlossen, den Titel in allen Sprachen im italienischen Original zu belassen und nicht zu übersetzen.

Dank sprach die kfd dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, für den Formulierungsvorschlag für den Untertitel der deutschen Textfassung aus: „Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft". Es ist das erste Mal, dass der Vatikan in der deutschen Übersetzung eines offiziellen Dokuments den italienischen Begriff „fratellanza” (oder Spanisch „fraternidad”) mit „Geschwisterlichkeit” wiedergibt. Das wegweisende Dokument von Abu Dhabi von 2019 spricht noch durchgängig von „Brüderlichkeit”, obwohl Männer und Frauen gleichermaßen gemeint sind; der Titel des Schreibens lautet in amtlicher deutscher Übersetzung aus dem Vatikan: „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt".

(pm/vatican news – gs)

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05. Oktober 2020, 12:11