„Menschen in der Zeit" - Karoline Mayer „Menschen in der Zeit" - Karoline Mayer 

„Menschen in der Zeit" - Karoline Mayer

Karoline Mayer – Das Geheimnis ist immer die Liebe - Die Mutter Teresa von Südamerika wird sie genannt - und in Chile, ihrem Missionsland, wird sie von den Armen wie eine Heilige verehrt.

Karoline Mayer – Das Geheimnis ist immer die Liebe

Die aus Eichstätt in Bayern stammende Missionarin und seit einem halben Jahrhundert in Südamerika wirkende Karoline Mayer bezeichnet sich selbst als Chilenin. Etwa wie der aus Südtirol stammende China-Missionar Joseph Freinademetz von sich selbst sagte: ich bin ein Chinese. Das heißt: das sind Menschen, die ihr Herz in ihr Missionsland und an andere Menschen verloren haben, bedingungslos und ohne Abstriche.

Hier zum Hören:

Eigentlich hatte es Karoline auch nach China gezogen – doch das Schicksal wollte es anders. Die Enttäuschung, von der Ordensgemeinschaft der Steyler Missionsschwestern nicht in das Reich der Mitte geschickt zu werden, war anfangs groß – doch bald sollte Chile für Karoline Mayer das Land ihrer Verwirklichung werden. Immer wieder wird sie von den Schergen der Pinochet-Diktatur verfolgt und wird für kurze Zeit sogar verhaftet. - Seit dem Übergang von der Diktatur von Augusto Pinochet zur Demokratie leitet die Missionarin ihre eigene Stiftung Cristo vive. Christus lebt. Unter dem Regime Pinochet war die Entwicklungshelferin eine offene Unterstützerin des zuvor demokratisch gewählten Salvador Allende. Die Steyler Missionsschwestern riefen sie darauf zurück in die Zentrale nach Holland. Kaum zwei Monate später tritt Karoline aus der Gemeinschaft aus und kehrt nach Santiago zurück. Zurück in die Elendsviertel am Rande der Großstadt.

„Es ist ein sehr schwieriges Erlebnis, in die Hütten der Leute zu kommen und zu sehen, dass die Kinder unterernährt sind, dass es im Haus an allem fehlt“

Zurück in die Bergregionen Lateinamerikas. Hier kann die begabte Missionarin ihren Weg nach oben beginnen: begleiten wir Karolina Mayer jetzt persönlich auf ihrem mühsamen aber erfolgreichen Weg der Nächstenliebe:

„Es ist ein sehr schwieriges Erlebnis, in die Hütten der Leute zu kommen und zu sehen, dass die Kinder unterernährt sind, dass es im Haus an allem fehlt und dass der Inhalt des Kochtopfes für eine gesunde Ernährung der ganzen Familie nicht ausreicht. Ich merkte, dass der Familienvater zwar hart arbeitete – oft mehr als 48 Stunden pro Woche – sein Verdienst jedoch nicht ausreichte, die Familie zu ernähren und die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dieses Erlebnis hat mich für immer geprägt und ich verstehe jetzt, warum die Menschen, die dort inmitten der Armut leben, immer darum bangen, dass sie genügend zum Leben haben. Diese Grunderfahrung bleibt über Jahrzehnte hinweg nicht nur in ihren Kleidern, sondern auch in der Seele haften. Und auch, wenn es ihnen dann bessergeht, haben sie dennoch nie genug. Denn in ihrem Leben gibt es immer das „Gespenst“, dass es nicht ausreichen könnte.

„Als dann die Kinder zum Essen kamen, staunte ich, dass sie in den ersten Wochen stets drei überhäufte Teller leeraßen“

Das habe ich auch gemerkt, als ich mit den Frauen die Suppenküche anfing. Sie hatten die Idee gehabt, dass wir miteinander kochen könnten, dass wir in den Supermärkten nach Lebensmitteln mit abgelaufenem Verfallsdatum und auf Märkten nach leicht angefaultem Obst und Gemüse fragen könnten, das sich nicht mehr verkaufen lässt. Die Männer mussten in die Berge gehen und dort alles Brennbare holen, damit wir Feuer für den Suppentopf machen konnten. Und als dann die Kinder zum Essen kamen, staunte ich, dass sie in den ersten Wochen stets drei überhäufte Teller leeraßen. Ich hatte oft das Gefühl, sie müssten Bauchschmerzen haben und ich wollte ihnen so viel Essen verwehren, aber die Kinder mussten futtern. Das war ein Bedürfnis. Manchmal, wenn es ein Stück Brot dazugab, haben sie sich auch noch das ihres Nachbarn geschnappt. So war es zunächst.

Nach sechs bis acht Wochen regelmäßigen Essens ist dieses Bedürfnis bei den Kindern verschwunden, während ich oft gemerkt habe, dass die Eltern sehr viel mehr Sorge hatten, dass es nicht ausreichen könnte. Und das nicht nur bezüglich des Essens, sondern auch ihrer ganzen Lebensbedingungen. Sie haben Sorge, dass ihre Kinder keine Chance auf eine bessere Zukunft haben. Das ist ihr größter Wunsch. Gleichzeitig ist dieser aber immer verbunden mit dem Gefühl, dass das, was sie jetzt haben, wieder verloren gehen könnte oder dass sie nicht in der Lage sind, endgültig aus dieser sehr schwierigen Situation herauszukommen. Das ist ein Gefühl der Ohnmacht vor dem Leben und für diejenigen, die solche Situationen nie erlebt haben und nicht kennen, ist es sehr schwierig, diese Menschen zu verstehen.

„... vor allem, wenn sie spüren, dass ich sie nicht verurteile“

Von daher ist es eine ganz wunderbare Erfahrung, ihnen so nahe zu kommen und auch zu wissen, was im Armenviertel nachts passiert. Welche Probleme es gibt, worüber sich die Familien streiten. In den Holzhütten mit nur 50 Zentimeter Entfernung hörte ich alles: Die Person von nebenan, die sich gerade im Bett herumdreht, den Streit, wenn der Familienvater nach Hause kam und seine Frau anfing zu schimpfen, weil er betrunken war, die Kinder im Haus schrien und kreischten. Diese Situation mitzuerleben ermöglicht es, den Menschen näherzukommen, vor allem, wenn sie spüren, dass ich sie nicht verurteile, dass wir sie so annehmen, wie sie sind. In dieser Erfahrung war dann vor allem wichtig, dass die Menschen an der Lösung ihrer Probleme selbst beteiligt waren.“

Karoline Mayer aus den Anfängen ihrer Zeit

Unter dem Schutz der Kirche und in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Hilfsorganisation „Cristo vive“ baut Karoline in den nächsten Jahren als gelernte Ärztin ein großes Familiengesundheitszentrum und eine Polyklinik auf, eröffnet weitere Kindergärten, Drogen-Therapiezentren sowie eine Obdachlosenherberge in acht Stadtteilen von Santiago de Chile. Weitere Stiftungen gibt es nun auch in Peru und in Bolivien. Eine fast unmenschliche Leistung. Fast 90 Prozent der Kosten werden inzwischen durch den chilenischen Staat übernommen, doch rund zehn Prozent müssen über Spenden finanziert werden. – Doch hören wir noch einmal Karoline selbst:

„Damals überlegten wir mit den Frauen: „Was könnt ihr machen?“ Ich hatte vorgeschlagen: „Wir könnten stopfen.“ Sie sollten ihre kaputten Sachen mitbringen, aber keine der Frauen – wir waren etwa zwölf – hatte etwas mitgebracht. Sie sagten, sie hätten nichts zum Mitbringen, hatten gar kein Interesse daran, stopfen zu lernen. Unglücklicherweise sagte eine von uns Frauen daraufhin unglücklicherweise: „Aber in deiner Jacke ist doch so ein dickes Loch!“ Da hat sich die Frau mit der Jacke so geärgert und fühlte sich so beleidigt, dass sie weggegangen ist. Wir mussten lernen damit umzugehen, wie sich diese armen Menschen vor uns, die wir ihnen ja helfen wollen, verteidigen. Einer von uns fiel dann ein, dass sie ja auch noch andere Dinge mitgebracht hatte und sie fing an, den Armen Kreuzstich beizubringen. Und das war fantastisch. Wir haben dann diese Individuals für den Tisch gemacht und die Frauen waren fasziniert. Sie wollten auch den Anderen zeigen, was sie konnten. Dass daraus Werkstätten und eine richtige Schule für Frauen werden würde, konnten wir uns damals nicht vorstellen.

„Verboten ist hier nur eines, nämlich zu sagen: „Ich bin nicht fähig. Ich kann nicht. Ich weiß nicht.“ Alle können etwas, alle wissen etwas und alle sind fähig zu etwas“

In den späteren Jahren konnten wir den Frauen anbieten, dass sie nicht nur Kreuzstich lernen, sondern auch Stricken und Nähen. Eine Frau gibt eine Jacke ab, die verkauft werden soll, doch der eine Ärmel ist drei Zentimeter länger als der andere. Im ersten Moment ärgert sich die Frau: „Ich habe so viel gearbeitet. Ihr versteht das nicht!“ Sie besteht darauf: „Ich habe so viel gearbeitet!“ Aber mit Liebe und Festigkeit musste ich ihr sagen: „Nein, es ist ganz wichtig, dass du das noch einmal aufmachst. Ich kann das natürlich auch für dich tun. Ich kann den Ärmel jetzt auch so machen, dass es ordentlich ist, aber auf die Dauer ist das nicht möglich, denn du wirst dein Produkt nicht verkaufen können.“ Die Leute haben es gelernt, und das hat auch ihr Selbstbewusstsein gestärkt. Sie merkten, dass sie etwas wert sind und dass sie etwas können, dass ihre Produkte auch verkauft werden können – zu einem guten Preis, wenn sie es gut machen. Wir haben an die Wände geschrieben: „Verboten ist hier nur eines, nämlich zu sagen: „Ich bin nicht fähig. Ich kann nicht. Ich weiß nicht.“ Alle können etwas, alle wissen etwas und alle sind fähig zu etwas.

Die Frauen haben so einen kleinen Horizont. Unsere Mission ist, mit ihnen einen größeren Horizont zu erreichen. Das bedeutet, dass die Frauen etwas dazulernen müssen, sich mit dem, was sie wissen, nicht zufriedengeben dürfen. Sie müssen dazulernen, vor allem, um auch den Kindern mehr vermitteln zu können. Talente sollen gefördert werden, von denen die Frauen sich manchmal gar nicht vorstellen können, dass sie in ihren Kindern schlummern. Unsere Aufgabe ist, die Frauen auf ihrem Weg zu begleiten, um den Kindern eine Erziehung zu ermöglichen, die ihnen Zukunft gibt und das Potential, das in ihnen steckt zum Blühen bringt. Aber der Weg ist noch lang. Er darf nicht von oben herunter bestimmt werden, sondern gemeinsam mit den Leuten. Sie sollen immer spüren, dass sie dabei sind. Ganz wichtig in unserer Mission ist, dass das, was uns prägt, die Liebe zum Menschen ist. Eine Liebe nicht nur auf emotionaler oder sentimentaler Ebene, sondern eine Liebe, die bereit ist, das Leben für den Anderen einzusetzen, ein Stück Leben für den Anderen zu geben. Das ist eines der Ziele. Mit diesem Dienst wollen wir auch viele andere in der Gesellschaft zum Mitträumen einladen.“

Die Ehrungen und die Ungerechtigkeiten

Soweit ein kurzer, unvollständiger Rückblick auf das segensreiche Werk und Wirken von Karoline Mayer im O-Ton und auf ihre große Stärke, Menschen anzuregen und zu begeistern.

Die Liste der bisherigen Auszeichnungen für die „Mutter Theresa von Südamerika“ ist schier endlos, hier die wichtigsten: Bundesverdienstkreuz am Bande, Schalompreis der katholischen Universität Eichstätt, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, Kardinaal Augustin Bea-Preis, Kardinal Fringspreis, Göttinger Edithstein-Preis, Marion Dönhofpreis, Preis „Heldin des Friedens“ der Jesuitenuniversität Santiago de Chile, „Goldenes Herz“ von „Ein Herz für Kinder“.

Post Scriptum: Karoline Mayer musste auch Ungerechtigkeiten erleben und ertragen. Von einem RTL-Explosiv Fernsehteam wurde ihre Stiftung „Cristo vive“ vor Jahren angeklagt, Spendengelder veruntreut zu haben. Natürlich hatte die Missionarin nichts damit zu tun, wie sich später herausstellte.. Zweitens: In einer Fernsehreportage der ARD war es Schwester Karoline vor laufenden Kameras nicht gelungen, sich von sexuellen Übergriffen eines Priesters aus Deutschland – mit dem sie viel zusammengearbeitet hatte - zu distanzieren. Die gute Samariterin zeigte, wenn es um ihre eigenen Angelegenheiten geht, wenig Talent zur Selbsthilfe. Das ist Charaktersache. Karoline Mayer hatte darunter sehr gelitten und beschrieb die Episode als eine der dunkelsten Stunden in ihrem bisherigen Leben. Dennoch hält sie weiterhin oder gerade deshalb eisern an ihrem Motto fest: Das Geheimnis ist immer die Liebe.

Von Aldo Parmeggiani

(vatican news)

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26. April 2019, 15:00