Suche

Migrantin mit Baby in einem Flüchtlingscamp in Lesbos Migrantin mit Baby in einem Flüchtlingscamp in Lesbos 

EU-Asylreform: Jesuiten pochen auf Einhaltung von Rechten

Nach der Einigung über die EU-Asylreform fordert der Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Europa eine Einhaltung der Rechte von Migranten und Flüchtlingen. Besonders das Risiko einer willkürlichen „Inhaftierung“ und eines mangelnden Rechtsbeistandes an den EU-Außengrenzen bereitet der katholischen Hilfsorganisation Sorgen.

Sebastián Sansón Ferrari und Anne Preckel - Vatican News

„Positive Elemente, die wir an dieser Reform sehen, gibt es sehr wenige, beziehungsweise sie sind gar nicht vorhanden. Und das macht mich traurig, denn ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch und sehe das Glas normalerweise ,halb voll‘“, kommentiert den Pakt der spanische Ordensmann Alberto Ares Mateos SJ. Er ist Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) in Europa.

Zentrales Element der Asylreform, die das EU-Parlament am 10. April final billigte, ist die Erfassung und Einteilung der Ankommenden direkt an den EU-Außengrenzen: Diejenigen ohne große Asylchancen sollen wieder abgeschoben werden, die anderen Asylanträge stellen können. Insgesamt zielt die Reform auf schnellere Abschiebungen und eine Auslagerung von Asylfragen.

Auf Festsetzen angelegt

Pater Ares Mateos sieht mit der neuen Regelung „in rechtlicher als auch in operativer Hinsicht erhebliche Herausforderungen“ verbunden, wie er im Interview mit Radio Vatikan schildert. Die neuen Verfahren an den EU-Grenzen seien darauf angelegt, die Bewegungsfreiheit der Menschen von vornherein zu begrenzen, teilweise massiv.

Zum Nachhören

„Der Jesuitenflüchtlingsdienst ist besonders besorgt über das Risiko, das damit verbunden ist – vor allem die Frage der Inhaftierung, die willkürlich und in gewisser Weise auch automatisch sein kann. Das bedeutet nicht, dass Menschen automatisch inhaftiert werden müssen, aber Inhaftierung kann eine Maßnahme sein. Wir sind uns darüber im Klaren, dass so etwas vielleicht eingesetzt werden muss, wir denken aber: nur als letztes Mittel und je nach individuellem Fall.“

Die Grenzlager, von denen aus Abschiebungen und Asylverfahren organisiert werden sollen, sind aus menschenrechtlicher Sicht umstritten. Ähnlich wie der Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisierte auch der katholische Dachverband Caritas Europa die mögliche „Inhaftierung“ von Familien und Kindern und sprach von einer „diskriminierenden Vorsortierung Schutzsuchender“.

Rechte bei „Abwicklung“ garantieren

Flüchtlinge und Migranten sähen sich an den EU-Grenzen nun mit „komplizierten Verfahren“ konfrontiert, gibt Pater Alberto Ares Mateos weiter zu bedenken. In dieser Zeit würden sie „ohne angemessenen Rechtsbeistand inhaftiert oder festgehalten“, kritisiert der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Europa. In der ersten Phase des Asylverfahrens sei zwar ein Rechtsbeistand vorgesehen. Das bedeute aber nicht, dass die Menschen während des gesamten Verfahrens einen Anwalt zur Seite gestellt bekämen, erläutert er.

„Unserer Erfahrung nach - und wir besuchen seit vielen Jahren Menschen in Gewahrsams-Einrichtungen - ist ein qualifizierter Anwalt sehr wichtig, um sicherzustellen, dass die Rechte von Menschen in Gewahrsam respektiert werden. Das neue Asylpaket wird unserer Meinung nach diese prekäre Situation nur verschlimmern. Dabei müssten die Umsetzungspläne doch zumindest diesen Prozess garantieren.“

So lautet eine Forderung des Jesuitenflüchtlingsdienstes auch, dass Flüchtlingen und Migranten, die an den EU-Grenzen festgehalten werden, eine durchgängige Rechtsberatung durch Anwälte und Vertreter der Zivilgesellschaft garantiert ist, die ihnen helfen, alle notwendigen Schritte für einen Asylantrag zu verstehen und zu unternehmen. „Es gibt viele Menschen, die aus ihren Heimatländern kommen, wo sie einen Krieg durchleben mussten; die seit Jahren unterwegs sind und ihre Unterlagen zusammenstellen müssen, wobei sie sich bewusst sind, dass dies Zeit braucht“, gibt Pater Ares Mateos zu bedenken. Bei den Verfahren müssten flächendeckend Rechte gewahrt bleiben, schärft er ein.

Ein weiteres Kernelement der Asylreform ist ein „Solidaritätsmechanismus“, der eine Umverteilung von Migrierenden vorsieht. Aus Ländern wie Italien oder Griechenland, wo besonders viele Geflüchtete ankommen, sollen demnach pro Jahr mindestens 30.000 Migrierende in andere EU-Staaten umverteilt werden. Wer niemanden aufnehmen will, soll Strafzahlungen leisten.

Solidarität erreicht?

Was Spitzen der Politik als „Balance“, „Kompromiss“ und „Überwindung von Spaltung in Europa“ lobten, unterstützen allerdings nicht alle EU-Mitgliedsstaaten. Vor allem Polen und Ungarn, die sich seit Jahren gegen eine Aufnahme von Flüchtenden aus Mittelmeeranrainer-Staaten stellen, signalisieren ihre Ablehnung.

Der spanische Ordensmann Ares Mateos bezweifelt, dass ein „Solidaritätsmechanismus“ die tatsächliche „Mitverantwortung“ in Europa in der Migrationsfrage fördern kann – so etwas erzeuge eher noch mehr Druck, gibt er zu verstehen. Umsiedlungen sollten dagegen tatsächlich als „Solidaritätsmaßnahmen“ gefördert werden, betont der Direktor des Jesuitenflüchtlingsdienstes. Anstatt Grenzen zu externalisieren, brauche es echte „Mitverantwortung“ aller Staaten mit dem Ziel, die Mittelmeeranrainer zu entlasten und eine „würdige Aufnahme“ der Schutzsuchenden zu garantieren.

Abschiebung in Drittländer 

Dazu gehöre auch, eine Willkommenskultur für Flüchtlinge und Migranten in den Aufnahmeländern zu fördern: „Das ist die große Frage, die wir uns heute in unseren Gesellschaften stellen sollten und die Papst Franziskus selbst allen Christen so sehr auf die Lippen legt: Wie können wir gastfreundlich sein, wie können wir unsere Gesellschaft willkommen heißen und einen gemeinsamen Tisch haben, wie können wir zusammenleben“.

Für Kritik bei Menschenrechts- und Hilfsorganisationen an der Asylreform sorgt auch die Möglichkeit der Abschiebung Schutzsuchender in Drittländer, wo prekäre Menschenrechtslagen bestehen. Die Abmachungen von EU-Ländern mit autokratischen Regierungen, um Flüchtende an einer Einreise nach Europa zu hindern, zielen ebenfalls in diese Richtung: die EU-Außengrenzen zu verhärten und Asylanfragen zu unterbinden.

Das Interview mit P. Alberto Ares Mateos SJ führte Sebastián Sansón Ferrari für Vatican News.

(vatican news – pr)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

15. April 2024, 13:15