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Polizisten in Naypyidaw kurz vor der Niederschlagung einer Protest-Demo am 1. Februar Polizisten in Naypyidaw kurz vor der Niederschlagung einer Protest-Demo am 1. Februar  (AFP or licensors)

3 Jahre nach dem Putsch: Ein Anruf in Myanmar

Vor drei Jahren putschte sich in Myanmar das Militär an die Macht und setzte damit einer zehnjährigen demokratischen Phase ein Ende. Einschätzungen eines Priesters, der anonym bleiben will.

Von einer Rückkehr zur Demokratie ist im früheren Burma keine Rede mehr; die Militärs haben stattdessen den Ausnahmezustand im Land um sechs Monate verlängert. Doch angesichts einer seit Ende Oktober andauernden Großoffensive von ethnischen Rebellengruppen wirken die Putschisten geschwächt. Wir sprachen mit einem Priester vor Ort, dessen Name aus Sicherheitsgründen hier ungesagt bleiben muss, über die Lage in Myanmar.

Rebellen in einem Trainingscamp, Dezember 2021
Rebellen in einem Trainingscamp, Dezember 2021

Interview

„Ja, wirklich, es ist die Herrschaft des Terrors! Der Terror ist das einzige, was es dem Militär ermöglicht, sich an der Macht zu halten, denn sie haben keine andere Legitimität als diese. Sie haben die Macht, ohne jeden Grund Menschen ins Gefängnis zu stecken oder zu töten. Sie betreiben eine Politik der verbrannten Erde und verbreiten Angst und Schrecken, um zu zeigen, dass sie die Befehlshaber sind. Sie tun, was sie wollen und wann sie wollen. Gelegentlich organisieren sie Unterstützungsbekundungen, indem sie Leute dafür bezahlen, auf die Straße zu gehen, aber niemand glaubt ihnen.“

„Man stößt auf Schritt und Tritt auf Straßensperren“

Ist die Armee allgegenwärtig?

„Es hängt von den Gebieten, den Regionen und den Tagen ab. Es gibt Tage, an denen man überall Militär sieht und andere, an denen man nichts sieht… Aber auch, wenn man sie nicht sieht – man weiß, dass sie da sind. Wenn man sich bewegt, stößt man auf Schritt und Tritt auf Straßensperren, die das Leben vieler Menschen erschweren.“

Beschädigtes Schulgebäude nach einem Luftangriff der Armee, Ende September 2022
Beschädigtes Schulgebäude nach einem Luftangriff der Armee, Ende September 2022

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Stärke des Militärs heute?

„Ich denke, es sind eher ihre technischen als ihre menschlichen Mittel, denn sie haben viele Todesopfer zu verzeichnen. Also die Tatsache, dass sie zum Beispiel Flugzeuge, Hubschrauber und Kanonen haben. Das übertrifft das Arsenal der meisten Oppositionsgruppen. Auch wenn einige (oppositionelle) Armeen gut ausgerüstet sind, im Vergleich zum Regime ist das gar nichts. Außerdem ist die Armee wirklich eine Art Mafia, sie übt großen Druck aus. Die Soldaten leben alle zusammen und können nicht aussteigen. Das Regime hat die Kontrolle über das gesamte Militär, die einfachen Soldaten haben schlichtweg keine Freiheit…“

Sie sprechen von Druck auf die Soldaten. Wir haben gesehen, dass sechs hohe Offiziere, die ihre Stellungen in Laukkai im Norden verloren hatten, verhaftet wurden und dass einigen Deserteuren jetzt die Todesstrafe droht. Die Botschaft ist klar...

„Ja, damit drücken sie sich sehr deutlich aus: ‚Wenn ihr aufhört zu kämpfen, erwartet euch Folgendes‘. Denn in der Tat gab es viele Desertionen, vor allem im Bundesstaat Shan, ganze Regimenter haben sich ergeben. Ich glaube also, dass es eine große Angst gibt, dass andere diesem Beispiel folgen könnten. Und so üben sie auf diese Weise Druck aus.“

„Das Militär hat Schwierigkeiten, Leute zu rekrutieren“

Es gibt Berichte über aufgegebene Stellungen, Dutzende von Desertionen, Gerüchte sprechen auch von einem Zerwürfnis innerhalb der Armee. Die Armee scheint so geschwächt zu sein wie nie zuvor. Ist das auch Ihr Eindruck?

„Es sieht auf jeden Fall so aus. Wir müssen hoffen, dass es stimmt. Ich denke, was sie schwächt, sind eher die Interessen des Kopfes, die wirtschaftlichen Interessen. Einige wollen eine Rückkehr zu etwas Stabilerem, damit sie Geld verdienen können. Und angesichts der Art und Weise, wie die Dinge im Moment gehandhabt werden, sagen sich einige, dass es besser wäre, den Chef zu wechseln. Aber das ist sehr schwer zu sagen, weil nur wenig nach außen dringt. Es sind Gerüchte, von denen man nicht weiß, ob sie wahr sind oder nicht. Abgesehen von den internen Spaltungen wird die Armee aber auch durch den Personalmangel geschwächt. Ganz einfach, weil niemand mehr in die Armee eintreten will. Sie haben Schwierigkeiten, Leute zu rekrutieren. Dadurch könnten sie anfälliger werden...“

Militärs am 1. Februar in der Hauptstadt
Militärs am 1. Februar in der Hauptstadt

Ein interessanter Punkt. Wissen Sie denn, wie die Armee ihre Soldaten rekrutiert?

„Es gab früher und gibt auch heute noch Militärschulen… Sie rekrutieren oft Leute, die nichts anderes tun können. Manche sagen sogar, dass sie Kriminelle aus den Gefängnissen rekrutieren, also gewöhnliche Häftlinge. In die Armee einzutreten wäre dann eine Möglichkeit, aus dem Gefängnis herauszukommen. Ich habe auch einige Jugendliche sagen hören, dass sie durch die Dörfer gehen, und sie lassen einem nicht wirklich eine Wahl. Sie rekrutieren auf diese Weise. Eine Art Wehrpflicht, aber erzwungen.“

Drei Jahre nach dem Putsch scheint die Demokratie in weite Ferne gerückt zu sein, da der Ausnahmezustand um sechs Monate verlängert wurde. Was meinen Sie, zu welchem Zweck?

„Ich denke, sie warten darauf, dass die Oppositionskräfte sich untereinander zerstreiten, da sie nicht sehr geeint sind. Leider denke ich, dass da ein bisschen was dran ist. Sie warten darauf, dass es zusammenbricht, damit sie das Land so lange wie möglich weiter regieren können. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie jemals die Absicht hatten, Wahlen abzuhalten.“

„Die Offensive der ethnischen Milizen war beeindruckend“

Im Herbst haben sich drei ethnische Milizen erstmals zu einer Offensive zusammengeschlossen, die ungewöhnliche Ausmaße annahm. Wie haben Sie das erlebt?

„Am Anfang, bis Dezember, sah es so aus, als würde eine große Welle über das Land hereinbrechen; aber jetzt habe ich das Gefühl, dass es sich beruhigt hat. Vielleicht liegt das an meiner geografischen Lage, vielleicht aber auch daran, dass einige ethnische Gruppen erreicht haben, was sie wollten. Sie haben es geschafft, ganze Städte einzunehmen, und kontrollieren nun große Teile des Territoriums… Es war also beeindruckend... vor allem zu sehen, dass die Armee geschlagen werden kann. Ich denke, das hat in vielen Köpfen einen Knacks ausgelöst: dass die Armee letztendlich nicht allmächtig ist und verlieren kann.“

Nach dem Angriff von Militärs auf die Kirche des Dorfes Daw Ngay Ku im Juli 2022
Nach dem Angriff von Militärs auf die Kirche des Dorfes Daw Ngay Ku im Juli 2022

Was lässt sich über den Zusammenschluss dieser drei bewaffneten ethnischen Gruppen sagen?

„Das ist ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass das Land anfängt, nachzudenken und zu verstehen, dass es ohne Einigkeit keine Demokratie, keine Freiheit, gar nichts geben wird. Ich muss sagen, dass dieser Zusammenschluss und die Tatsache, dass sie sich gegenseitig helfen, ziemlich beeindruckend ist, denn eine der großen Schwächen Myanmars ist die Lieblosigkeit, die ansonsten zwischen den ethnischen Gruppen herrscht. Es gibt keine Verbindung zwischen ihnen, jeder macht nur sein eigenes Ding. Was passiert, ist also für die Zukunft ermutigend. Es ist zu hoffen, dass es so weitergeht.“

Nach dem Staatsstreich vom 1. Februar 2021 griffen Tausende junge Menschen, übrigens vor allem junge Städter, zu den Waffen, um gegen die Armee zu kämpfen, und gründeten die ‚People's Defence Force‘. Sind sie heute noch aktiv?

„Es gibt sie immer noch. Sie spielen eine wichtige Rolle bei den Kämpfen in bestimmten Regionen, insbesondere in den mehrheitlich von Burmesen bewohnten Gebieten… Zu Beginn waren sie nicht unbedingt gut ausgebildet und sind ein wenig in alle Richtungen gegangen. Ich habe den Eindruck, dass die ethnischen Gruppen ihnen geholfen haben, sich zu organisieren. Aber ja, sie sind immer noch eine sehr wichtige Kraft. Und ich glaube, dass sie auf der Ebene des Images, für die Menschen, etwas Wichtiges bedeuten. Die Menschen hängen an diesen jungen Menschen, die ihr Leben für das Land geben, zumal einige von ihnen sehr jung sind und oft einen Preis für ihr Engagement zahlen, indem sie entweder inhaftiert oder getötet werden.“

„Die größte Schwierigkeit für die meisten Burmesen ist eher das tägliche Leben als der Konflikt selbst“

Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf die Familien in Myanmar?

„Im Allgemeinen, soweit ich das beurteilen kann, unterstützt die große Mehrheit der Menschen wirklich die demokratischen Kräfte und schließt sich daher zusammen. Aber einige Familien werden gespalten, weil sie Mitglieder sowohl in der Armee als auch in der Rebellion haben. Aber unabhängig davon sind alle Familien betroffen, was die Schulbildung der Kinder betrifft. Ich denke, die größte Schwierigkeit für die meisten Burmesen ist eher das tägliche Leben als der Konflikt selbst, außer natürlich im Kayah-Staat, wo 80 Prozent der Bevölkerung fliehen mussten. In den Städten ist der Krieg weniger spürbar, dafür aber die praktischen Folgen des Konflikts: Schwierigkeiten beim Reisen, explodierende Preise und Ähnliches. Und das hat große Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und die Kirche.“

Kardinal Charles Maung Bo von Yangon
Kardinal Charles Maung Bo von Yangon

Man hört von besetzten Gotteshäusern, die manchmal sogar bei Luftangriffen dem Erdboden gleichgemacht werden. Wie geht die Kirche mit diesem Krieg um?

„Die Diözese Laukkai im nördlichen Shan-Staat leidet sehr. Die meisten Pfarreien sind geschlossen, vielleicht sogar alle. Auch der Bischof fand sich vor kurzem in einem Flüchtlingslager wieder. Aber auch in anderen Gebieten wirkt sich der Krieg darauf aus, dass es für Priester schwierig ist, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen und die Diözesanzentren zu erreichen. Gleichzeitig organisiert sich die Kirche, um Flüchtlinge aufzunehmen, um denen, die sich nicht selbst ernähren können, etwas zu essen zu geben, diese Art von Dingen.“

„Liebet eure Feinde- mit dieser Botschaft haben viele junge Leute Schwierigkeiten“

Gelingt es der Kirche auch, etwas für die Erziehung zu Frieden und Geschwisterlichkeit zu tun?

„Das ist die große Stärke des Christentums, aber auch die große Schwierigkeit beim Predigen. Es war für mich früher nie ein Problem, wenn ich in Europa über die Worte Jesu ‚Liebe deine Feinde wie dich selbst‘ predigen sollte, aber es wurde viel komplizierter, als ich es hier zum ersten Mal nach dem Staatsstreich tun musste. Aber man muss es tun und vor allem die Kirche als einen Ort der Einheit vermitteln, da in der Kirche alle Ethnien vertreten sind. Man muss versuchen zu zeigen, dass die Kirche dieser Ort der Geschwisterlichkeit, der Versöhnung und vor allem der Friedensförderung sein kann, anstatt die Gewalt noch anzuheizen. Ich denke, dass die Bischöfe versuchen, dies in einigen Botschaften, die sie veröffentlicht haben, zu vermitteln. Aber es stimmt, dass die Botschaft bei einer jungen Generation, die sieht, wie ihre Freunde getötet werden oder die die Zerstörung des Landes miterlebt, manchmal schwer ankommt. Ich denke trotzdem, es ist sehr wichtig, dass wir bei dieser Botschaft bleiben und dass die Kirche nicht beispielsweise eine politische Botschaft vermittelt.“

Drei Jahre Putsch in Myanmar: Radio-Vatikan-Interview mit einem (anonymen) Priester über die Lage im Land

Vor ein paar Monaten haben Sie uns von der Gewissensnot der Seminaristen erzählt, die mit ansehen mussten, wie ihre Freunde zur Verteidigung der Demokratie zu den Waffen greifen. Wo stehen wir heute in dieser Hinsicht?

„Nun, es ist weniger der Fall als zu Beginn des Konflikts. Die Seminare funktionieren weiterhin, es werden Weihen durchgeführt, und Ordensfrauen legen ihre Gelübde ab. Schwierig ist der Eintritt ins Seminar, wenn man nicht außerhalb studieren kann, wenn man kein Abitur machen kann oder nicht einmal an die Universität gehen kann. Die Universitäten sind seit 2020 geschlossen. Das ist eine weitere Herausforderung, vor der die Kirche steht.“

(vatican news – sk)

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05. Februar 2024, 10:58