Suche

Archivbild: Sitzung des Gerichts zur Affäre rund um die Geschäfte mit einer Londoner Luxusimmobilie Archivbild: Sitzung des Gerichts zur Affäre rund um die Geschäfte mit einer Londoner Luxusimmobilie  

Prozess im Vatikan: Die Hintergründe

An diesem Samstagnachmittag ging mit einem Urteil des Vatikan-Tribunals das Gerichtsverfahren zu Ende, das zur Aufklärung der Vorgänge rund um den Verkauf eines Geschäftsgebäudes in London und weitere Anklagepunkte im Juli 2021 begonnen hat. Zehn Angeklagte, darunter zum ersten Mal ein Kardinal, 69 Zeugenanhörungen, Millionen von Akten und Dokumenten, die ausgewertet wurden - all das sorgte für den langwierigsten und komplexesten Prozess, den der Heilige Stuhl je erlebt hat.

Salvatore Cernuzio - Vatikanstadt

Neunundzwanzig Monate hat der Prozess gedauert, dessen 85 Anhörungen insgesamt mehr als 600 Stunden dauerten, wobei 69 Zeugen gehört und 124.563 Aktenseiten in digitaler und gedruckter Form produziert wurden. Doch damit nicht genug: 2.479.062 von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Files wurden analysiert, während die Verteidigung 20.150 Seiten einschließlich Anlagen vorlegte; 48.731 wurden von den Nebenklägern eingebracht. Hohe Zahlen, die für den Umfang und die Gründlichkeit des Prozesses stehen, den das Vatikangericht zur Verwaltung der Gelder des Heiligen Stuhls angestrengt hat.

Vor allem in englischsprachigen Medien wurde der Prozess, der seit seinem Start am 27. Juli 2021 die Aufmerksamkeit der Beobachter gefesselt hat, wegen seiner Komplexität und Dauer auch als „Jahrhundertprozess“ bezeichnet. Allerdings ließ die Aufmerksamkeit im Laufe der Anhörungen (die manchmal fünf- oder sechsmal im Monat oder mitten im Sommer stattfanden) manchmal nach. Doch die verschiedenen überraschenden Wendungen in dem Prozess, der mit vielschichtigen Charakteren, Luxusimmobilien, aufgezeichneten Telefongesprächen, Videoprojektionen, diktierten Verteidigungsschriften und WhatsApp-Chats in teils ungewöhnlich forschem Ton aufwartete, zogen die Spannungskurven wieder nach oben.

Kardinal Becciu
Kardinal Becciu

Lange Ermittlungen

Dem Prozess ging eine lange und eingehende Untersuchung voraus. Sie wurde vom damaligen vatikanischen Kirchenanwalt Gian Piero Milano und seinem Beisitzer Alessandro Diddi (der inzwischen selbst zum Kirchenanwalt, im Vatikan eine Art Staatsanwalt, ernannt worden ist) eingeleitet und durch die Ermittlungen der Vatikangendarmerie weiterentwickelt. Dank der Veröffentlichung von vier Reskripten des Papstes wurde während der laufenden Ermittlungen auch  der Handlungsspielraum der Kirchenanwälte bedeutend ausgedehnt, um der Untersuchungen Herr zu werden. Währenddessen wurden eine große Anzahl von beschlagnahmten Dokumenten und elektronischen Geräten überprüft sowie die Vernehmungsprotokolle mit Zeugenaussagen abgeglichen. 487 Seiten umfasste schließlich die Anklageschrift.

Viel Raum für Einwände

Erst nach sieben Monaten und einem Tag, nämlich am 1. März 2022, drang der Prozess aber wirklich zum Kern der Sache vor - zunächst nahmen nämlich, während der ersten acht Anhörungen, die Vorgeplänkel in Form von verfahrenstechnischen und anderen Einwänden ausnehmend viel Raum ein, um allen Beteiligten einen fairen Prozess zu ermöglichen.

14 Angeklagte und 49 Anklagepunkte

Insgesamt vierzehn Angeklagte mussten sich in 49 Anklagepunkten verantworten: vier Unternehmen und zehn Einzelpersonen. Bei den Unternehmen handelt es sich um Logsic Humitarne Dejavnosti mit Sitz in Slowenien, Prestige Family Office Sa, Sogenel Capital Investment und HP Finance LLC. Die drei letztgenannten Unternehmen gehören Enrico Crasso, der etwa zwanzig Jahre lang als Finanzberater des vatikanischen Staatssekretariats tätig war; das erstgenannte Unternehmen gehört Cecilia Marogna, der sardischen Managerin, die beschuldigt wird, vom Heiligen Stuhl Gelder für die Freilassung katholischer Geiseln in den Händen islamischer Terroristen erhalten und diese dann für Reisen und Luxusprodukte ausgegeben zu haben. In diesem Fall lautete die Anklage Veruntreuung. Crasso wurden  Veruntreuung, Bestechung, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Amtsmissbrauch, Fälschung einer öffentlichen Urkunde durch eine Privatperson und falsche Darstellung im Rahmen eines privaten Abkommens vorgeworfen.

Zu den Angeklagten gehörten auch René Brülhart und Tommaso Di Ruzza, der ehemalige Präsident bzw. der ehemalige Direktor der Finanzaufsichtsbehörde AIF (heute ASIF), die im Fall des ersteren des Amtsmissbrauchs bzw. im Fall von Di Ruzza der Veruntreuung, des Amtsmissbrauchs und der Verletzung der Schweigepflicht angeklagt waren. Ein weiterer Angeklagter war der Prälat Mauro Carlino, seines Zeichens ehemaliger persönlicher Sekretär zweier Substitute im Staatssekretariat (ihm wurde Erpressung und Amtsmissbrauch vorgeworfen); der Finanzmanager Raffaele Mincione (Veruntreuung, Betrug, Amtsmissbrauch, Unterschlagung und Geldwäsche wurden ihm zu Last gelegt); der Rechtsanwalt Nicola Squillace (Betrug, Unterschlagung, Geldwäsche und Geldwäsche die Anlagepunkte zu seinen Lasten); Fabrizio Tirabassi, ein ehemaliger Angestellter des Staatssekretariats, der sich wegen Bestechung, Erpressung, Veruntreuung, Betrug und Amtsmissbrauch zu verantworten hatte; sowie der Makler Gianluigi Torzi (ihm wurden Erpressung, Veruntreuung, Betrug, Veruntreuung, Geldwäsche und Selbstgeldwäsche vorgeworfen). Viele dieser Straftaten sollen gemeinsam begangen worden sein.

Prominentester Angeklagter in dem Mammut-Prozess war jedoch Kardinal Giovanni Angelo Becciu, ehemaliger Substitut des Staatssekretariats, gegen den auf der gesetzlichen Grundlage ein Verfahren wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauchs und Bestechung eingeleitet wurde.

Das Gebäude an der Londoner Sloane Avenue
Das Gebäude an der Londoner Sloane Avenue

Der Kauf und Verkauf des Londoner Palastes

Die meisten der fraglichen Straftaten sollen laut Staatsanwaltschaft im Zuge des Verkaufs einer Luxusimmobilie in der Sloane Avenue im Herzen Londons durch das Staatssekretariat begangen worden sein. Das Geschäft hatte sich als hochgradig spekulativ erwiesen und dem Vatikan einen Verlust von mindestens 139 Millionen Euro beschert, nachdem das Gebäude für 350 Millionen Pfund gekauft und für weniger als 186 Millionen Pfund weiterverkauft worden war. Deshalb ist das Staatssekretariat mit einer Forderung von 117,818 Millionen auch als Nebenkläger aufgetreten. Hinzu kamen die Schadensersatzforderungen der vier anderen Nebenkläger, die in dem Prozess aufgetreten sind: die Vatikanbank IOR, das 207.987.494 Euro forderte; die APSA mit einer Forderung von 270.777.495 Euro; sowie die ASIF und der ehemalige Leiter des Verwaltungsbüros des Staatssekretariats Alberto Perlasca. Beide Parteien beriefen sich bei ihrer Forderung auf die Entscheidung des Richtergremiums zur Bezifferung des Schadens.

Die Investition, so die Rekonstruktion der vatikanischen Ankläger, wäre nach dem Scheitern einer von Becciu vorgeschlagenen, aber nie zustande gekommenen Ölinvestition in Angola eingeleitet worden. Danach sei die Umorientierung auf das Gebäude in der Sloane Avenue erfolgt, wobei zahlreiche der undurchsichtigen Transaktionen unter Beteiligung ausländischer Banken und mithilfe riskanter Finanzinstrumente offenbar ohne die Genehmigung von Vorgesetzten getroffen wurden. Für die Verteidigung der Angeklagten handelte es sich jedoch um „normale“ Transaktionen für diejenigen, die mit der Finanzwelt vertraut sind. Am Ende der Londoner Affäre, nach Worten des aktuellen Substituts Edgar Peña Parra ein „Kreuzweg", stand auch die angebliche Erpressung mit der Forderung des Maklers Torzi an das Staatssekretariat von 15 Millionen Euro, um die tausend stimmberechtigten Aktien abzugeben, mit denen er die effektive Kontrolle über das Gebäude behielt.

Die Affären um Sardinien und Marogna

Die „Londoner Affäre“ wurde im Prozess von der „Sardinien-Affäre“ und der „Marogna-Affäre“ flankiert, die beide Kardinal Becciu betreffen. In der ersten Affäre ging es um die Überweisung von 125.000 Euro aus den Mitteln des Staatssekretariats auf ein Konto der Caritas von Ozieri und Spes, einer von einem der Brüder des Kardinals geleiteten Genossenschaft. Bestimmt waren die Gelder für den Kauf und die Renovierung einer Bäckerei, die benachteiligten Jugendlichen Arbeit geben sollte. Das Geld soll sich allerdings heute noch in der Kasse der Diözese befinden.

Die „Marogna-Affäre“ bezog sich stattdessen auf die bereits erwähnte Zahlung von 575.000 Euro an die Managerin, die vom italienischen Geheimdienst eingeführt wurde und als Expertin für diplomatische Angelegenheiten angeheuert wurde, um dem Heiligen Stuhl über einen britischen Geheimdienst bei der Befreiung der kolumbianischen Ordensfrau Gloria Cecilia Narváez zu helfen, die von Dschihadisten in Mali entführt wurde. Marogna habe dieses Geld der Anklage zufolge für den Kauf von Möbeln, Handtaschen, Schuhen und Aufenthalte in Luxushotels ausgegeben, sie wies allerdings alle Vorwürfe zurück. Der Kardinal seinerseits hat stets beteuert, dass er zunächst von der Frau „getäuscht“ worden sei; die gesamte diplomatische Operation sei außerdem vom Papst genehmigt und gebilligt worden, wobei sie zunächst unter päpstlicher Geheimhaltung gestanden habe. Kirchenanwalt Diddi und die Nebenkläger wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Marogna den Kardinal und seine Familie auch nach Ausbruch des Skandals weiterhin besucht habe.

Die Anträge des Kirchenanwalts

Für den Kardinal hatte der Kirchenanwalt in seiner Anklageschrift eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten, eine Geldstrafe in Höhe von 10.329 Euro und ein lebenslanges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter gefordert.

Für Mons. Carlino wurden 5 Jahre und 4 Monate Haft, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe in Höhe von 8,8 Tausend Euro gefordert;

für Crasso 9 Jahre und 9 Monate Haft, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe in Höhe von 18.000 Euro;

für Tommaso Di Ruzza 4 Jahre und 3 Monate Haft, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe in Höhe von 9.600 Euro;

für Cecilia Marogna 4 Jahre und 8 Monate Haft, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe in Höhe von 10.329 Euro;

für Raffaele Mincione 11 Jahre und 5 Monate Freiheitsstrafe, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe von 15.450 Euro;

für Nicola Squillace hingegen 6 Jahre Freiheitsstrafe, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe von 12.500 Euro;

für Fabrizio Tirabassi: 13 Jahre und 3 Monate Freiheitsstrafe, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter auf Lebenszeit und eine Geldstrafe von 18.750 Euro;

für Gianluigi Torzi: 7 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe, das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe von 9.000 Euro;

für René Brülhart 3 Jahre und 8 Monate Freiheitsstrafe, ein vorläufiges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe von 10.329 Euro.

Darüber hinaus wurden verschiedene Beschlagnahmungen in Höhe von mehreren Millionen Euro und Strafen gegen die beteiligten Unternehmen verlangt. 

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

16. Dezember 2023, 08:59