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Archivbild: Papst Franziskus empfängt eine EVP-Delegation unter der Leitung von Manfred Weber im Vatikan (18.3.2022) Archivbild: Papst Franziskus empfängt eine EVP-Delegation unter der Leitung von Manfred Weber im Vatikan (18.3.2022)  (Vatican Media)

Papst an EVP-Politiker: Europa vom Gründergedanken her wiederbeleben

Papst Franziskus hat christliche Politiker dazu aufgerufen, sich der Verantwortung bewusst zu sein, „den großen Traum der Geschwisterlichkeit in konkrete Aktionen guter Politik auf allen Ebenen umzusetzen“. Die Botschaft vom Freitag ist an den Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, adressiert. Am selben Tag hätte Franziskus eine Delegation von rund 100 EVP-Parlamentariern eigentlich persönlich treffen wollen, dies wurde jedoch durch seinen Krankenhausaufenthalt vereitelt.

Christine Seuss - Vatikanstadt

In seiner Botschaft, die er aus dem Gemelli-Klinikum geschickt hat, lädt Franziskus die Parlamentarier dazu ein, ihre Verantwortung als Delegaten ihrer Bürger wahrzunehmen und gleichzeitig den Kontakt zu den Wählern nicht zu verlieren. Schließlich sei das erlahmende Interesse der Stimmberechtigten ein „klassisches Problem“ aller Demokratien, diagnostizierte Franziskus, der den Parlamentariern einige Denkanstöße mit auf den Weg gab. So sei der Pluralismus in einer großen parlamentarischen Gruppe wie der ihren zwar normal, doch gelte es, bei Fragen der ethischen Werte und Themen, die mit der christlichen Soziallehre in Berührung kämen, Einigkeit zu zeigen, mahnte der Papst. Dazu könne auch die ständige Fortbildung der Parlamentarier beitragen:

Würde der Person und Gemeinwohl im Blick behalten

„Das ist eine spannende Herausforderung, die sich vor allem auf der Ebene des Gewissens abspielt, und die auch die Qualitäten derjenigen beleuchtet, die Politik betreiben. Der christliche Politiker sollte sich durch die Ernsthaftigkeit auszeichnen, mit der er Probleme angeht, indem er opportunistische Lösungen ablehnt und stets an den Kriterien der Würde der Person und des Gemeinwohls festhält“, so die Aufforderung des Kirchenoberhauptes an die Politiker. In diesem Zusammenhang hätten sie in der Sozialdoktrin der Kirche ein reiches Erbe auszuschöpfen, wie die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität, deren Einbringen in den politischen Diskurs der besonderen Verantwortung christlicher Politiker anvertraut sei.

„Der christliche Politiker sollte sich durch die Ernsthaftigkeit auszeichnen, mit der er Probleme angeht, indem er opportunistische Lösungen ablehnt und stets an den Kriterien der Würde der Person und des Gemeinwohls festhält“

Analog dazu gelte es, die Vision eines Europas zu verfolgen, das „Einheit“ und „Verschiedenheit“ zusammenhalte, so der Papst, der das „reiche Mosaik“ der verschiedenen Kulturen und Traditionen des Kontinents würdigte. Zwar dürfe man die tägliche Verwaltungsarbeit eines Politikers nicht unterschätzen, doch brauche es „hohe Werte und eine hohe politische Vision“, um die globalen Herausforderungen zu meistern, denen sich Europa im 21. Jahrhundert gegenübersehe.

Dabei gelte es, sich die Lehren der Gründervaters zu besinnen und nicht nur auf eine Organisation zu setzen, die das Wohl der einzelnen Nationalstaaten im Blick habe, sondern eine Union anzustreben, in der alle ein Leben nach „menschlichem Maß, brüderlich und gerecht“ leben könnten, so Franziskus mit einem Zitat des ehemaligen belgischen Präsidenten des Europäischen Parlamentes Paul-Henri Spaak, der 1957 seine Unterschrift unter die Römischen Verträge gesetzt hatte, die die Grundlage für die heutige Europäische Union darstellen sollten.

Ein gutes Leben für alle anstreben

Und gerade Geschwisterlichkeit und soziale Gerechtigkeit, der große „Traum“, dem er mit seiner Enzyklika Fratelli tutti Ausdruck verliehen habe, könne die Initialzündung und Inspiration zu einer „Wiederbelebung“ Europas bilden, damit es nicht nur den Erwartungen seiner Mitgliedsstaaten, sondern der ganzen Welt entspreche, formuliert Franziskus in seiner Botschaft: „Denn ein Projekt von Europa heute kann nur ein Projekt von weltweiter Tragweite sein“, zeigt sich das Kirchenoberhaupt überzeugt. Dazu könnten christliche Politiker beitragen, indem sie Themen wie Migration oder Umweltschutz auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene voranbrächten, stets unter dem Gesichtspunkt der menschlichen Geschwisterlichkeit.

Christliche Werte einbringen

Zwar sehe sich das Projekt Europa heute großen Herausforderungen gegenüber, doch eine Rückbesinnung auf die Gründerinspiration könne dabei helfen, dieses wieder voranzubringen und fruchtbar nicht nur für Europa, sondern für die gesamte Menschheitsfamilie zu machen, betont Franziskus. Für die jungen Menschen sei es heute normal, nicht gezwungenermaßen, sondern aus Interesse und eingebettet in ihren Ausbildungsweg, im Stil der Bildungsreisen der Vergangenheit, Stationen in verschiedenen Ländern einzulegen. „Schauen wir auf die jungen Leute und denken wir an ein Europa und eine Welt, die auf der Höhe ihrer Träume sind“, so die abschließende Aufforderung des Papstes, der den Parlamentariern dabei das Evangelium als „Polarstern“ und die Soziallehre der Kirche als „Kompass“ ans Herz legte.

Intensive Diskussion beim Malteserorden

Die EVP-Vertreter hatten während ihres Aufenthaltes in Rom mehrere Treffen in und um den Vatikan. So waren sie unter anderem am Donnerstag zu einer Debatte über das „Christentum, Europa und seine Mission in der Welt“ in der Magistralvilla des Malteserordens auf dem Aventin. Dabei trafen die rund 100 Mitglieder der Europäischen Volkspartei Großmeister Fra' John Dunlap, der erst durch den Großen Staatsrat in seinem Amt bestätigt wurde. Dieser hob mit Blick auf den Ukraine-Krieg die Bedeutung des Treffens in einer „sehr heiklen und schmerzhaften“ Zeit hervor.

Antonio Tajani trifft an der Magistralvilla zu den EVP-Studientagen ein
Antonio Tajani trifft an der Magistralvilla zu den EVP-Studientagen ein

Verbreitung der christlichen Botschaft als Gegenmittel

Unter der Leitung des Präsidenten der EVP, Manfred Weber, hörten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Reden von Kardinal Leonardo Sandri, stellvertretender Dekan des Kardinalskollegiums, Bischof Mariano Crociata, Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union COMECE, Miroslaw Wachowski, Untersekretär für die Beziehungen zu den Staaten des Heiligen Stuhls. Wie Riccardo Paternò di Montecupo, Großkanzler des Malteserordens, betonte, sei das „erste und wichtigste Ziel, das Europa verfolgen muss“, die „Verbreitung der christlichen Botschaft, die ein starkes Gegenmittel zu den Tragödien darstellt, die wir täglich erleben“. Bei diesem Thema könne Europa „eine entscheidende Rolle spielen und etwas bewirken“. Deshalb komme auch das Seminar, zu dem die Parlamentarier in Rom zusammengekommen waren, „genau zum richtigen Zeitpunkt“.

Antonio Tajani trifft an der Magistralvilla zu den EVP-Studientagen ein
Antonio Tajani trifft an der Magistralvilla zu den EVP-Studientagen ein

Europäischer Integrationsprozess, Ukraine-Krieg und Migrationsströme

Das Treffen bot Gelegenheit zu einer eingehenden Debatte über die Rolle der christlichen Werte im europäischen Integrationsprozess, bei der Bewältigung der Herausforderungen durch die russische Invasion in der Ukraine und bei der Steuerung der Migrationsströme sowie über den Beitrag, den sie zur Schaffung eines Klimas der aufrichtigen Solidarität und Geschwisterlichkeit im europäischen Kontext leisten können. Auch der italienische Außenminister Antonio Tajani gesellte sich an einem Abend zu der EVP-Veranstaltung. Weitere Begegnungen im Vatikan rundeten die Studientage ab. Die Konferenz in der Magistralvilla wurde durch Botschaft des Souveränen Malteserordens beim Heiligen Stuhl organisiert. Anschließend tagten die Abgeordneten im Auditorium der Via della Conciliazione, nur wenige Schritte entfernt vom Vatikan.

Ein Moment der Diskussionen im Auditorium
Ein Moment der Diskussionen im Auditorium

(vatican news/pm)

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11. Juni 2023, 11:33