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Papst Franziskus in Assisi für #EOF2022: Die Ansprache im Wortlaut

Lesen Sie hier in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan, was Papst Franziskus zum Abschluss der dreitägigen Konferenz „Economy of Francesco" zu jungen Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftlern aus aller Welt gesagt hat.

Liebe junge Leute, guten Tag!

Ich grüße alle, die hier hergekommen sind, aber auch alle, denen dies nicht möglich war und die daheim geblieben sind. Wir sind alle vereint. Ich habe mehr als drei Jahre auf diesen Moment gewartet, seit ich am 1. Mai 2019 den Brief geschrieben habe, der euch gerufen und dann hierher nach Assisi gebracht hat. Für so viele von euch – wir haben es gerade gehört – hat die Begegnung mit „Economy of Francesco“, der Wirtschaft im Sinne des heiligen Franziskus, etwas geweckt, das ihr bereits in euch getragen habt. Ihr hattet euch bereits verpflichtet, eine neue Wirtschaft zu schaffen; und dieser Brief hat euch zusammengebracht, euch einen weiteren Horizont, das Gefühl gegeben, Teil einer weltweiten Gemeinschaft von jungen Menschen zu sein, die die gleiche Berufung hatten wir ihr. Und wenn ein junger Mensch in einem anderen jungen Menschen seine eigene Berufung sieht und diese Erfahrung dann mit Hunderten, Tausenden von anderen jungen Menschen wiederholt wird, dann wird Großes möglich – sogar die Hoffnung, ein riesiges und komplexes System wie die Weltwirtschaft zu verändern! Heute von Wirtschaft zu sprechen scheint antiquiert, man spricht von Finanz. Und die Finanzwelt ist etwas Wässriges, Gasförmiges, man kann es nicht greifen. Eine sehr gute Wirtschaftswissenschaftlerin hat mir einmal von einer Begegnung zwischen der Welt der Wirtschaft, des Humanismus und der Religion erzählt. Und es lief gut, dieses Treffen. Sie wollte dann das Gleiche mit der Finanz auf die Beine stellen, aber das ging schief. Seid vorsichtig mit dieser "Gasförmigkeit" des Finanzwesens: ihr müsst die Wirtschaftstätigkeit auf ihre Wurzeln zurückführen, auf ihre menschlichen Wurzeln, auf das, wodurch sie entstanden ist. Und ihr jungen Leute wisst, wie man es macht, ihr könnt es schaffen; junge Leute haben das schon früher in der Geschichte geschafft, viele Dinge zu tun.

Eure Jugend fällt in eine Zeit, die nicht einfach ist: erst die Umweltkrise, dann die Pandemie und jetzt auch noch der Krieg in der Ukraine und die anderen Kriege, die seit Jahren in verschiedenen Ländern toben: das alles prägt euer Leben. Unsere Generation hat euch viele Reichtümer hinterlassen, aber wir haben es versäumt, den Planeten zu schützen, und wir schützen den Frieden nicht. Wir haben ja von den Fischern aus San Benedetto del Tronto gehört, die in einem Jahr mehr als 12 Tonnen Plastik und Müll aus dem Meer gefischt haben - da seht ihr, dass wir nicht in der Lage sind, die Umwelt zu schützen! Und wir schützen auch den Frieden nicht! Ihr seid gerufen, Handwerker und Baumeister des gemeinsamen Hauses zu werden: eines gemeinsamen Hauses, das „zerfällt“. Ich sage es, weil es genau so ist. Eine neue Wirtschaft, die von Franz von Assisi inspiriert ist, kann und muss heute eine umweltfreundliche Wirtschaft und eine Wirtschaft des Friedens sein. Es geht darum, eine Wirtschaft, die tötet (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 53), in eine Wirtschaft des Lebens zu verwandeln, und zwar in all ihren Dimensionen. Damit wir dieses gute Leben schaffen - und damit meine ich nicht das "dolce vita", das süße Leben, sondern diese Mystik, die uns die Indigenen lehren, die eine Beziehung zur Erde haben.

Ich schätze eure Entscheidung, diesem Treffen hier in Assisi die Ausrichtung der Prophetie zu geben. Mir hat gefallen, was ihr über die Prophetie gesagt habt. Das Leben des Franz von Assisi war nach seiner Bekehrung eine Prophezeiung, die auch in unserer Zeit fortbesteht. In der Bibel hat Prophezeiung viel mit jungen Menschen zu tun. Samuel war ein Knabe, als er berufen wurde, Jeremia und Hesekiel waren jung; Daniel war ein junger Mann, als er die Unschuld Susannas prophezeite und sie vor dem Tod bewahrte (vgl. Dan 13,45-50); und der Prophet Joel prophezeite dem Volk, dass Gott seinen Geist ausgießen werde und „eure Söhne und Töchter Propheten sein“ würden (3,1). Der Heiligen Schrift nach sind die jungen Menschen Träger eines Geistes der Erkenntnis und der Intelligenz. Es war der junge David, der dem Hochmut des Riesen Goliath eine Lektion der Demut erteilte (vgl. 1Sam 17,49-51). Wenn es einer Zivilgesellschaft und Unternehmen nämlich an den Fähigkeiten junger Menschen fehlt, verkümmert die gesamte Gesellschaft, und das Leben aller erlischt. Es mangelt an Kreativität, an Optimismus, an Begeisterung; am Mut, etwas zu riskieren. Eine Gesellschaft, eine Wirtschaft ohne junge Menschen ist traurig, pessimistisch und zynisch. Man muss sich nur an einer dieser hochspezialisierten Universitäten für freie Wirtschaft umsehen, und sich die Gesichter der Studenten dort ansehen. Aber Gott sei Dank seid ihr da: und ihr werdet nicht nur morgen da sein, sondern ihr seid schon heute da; ihr seid nicht nur das „noch nicht“, ihr seid auch das „schon“, ihr seid die Gegenwart.

Eine Wirtschaft, die von der prophetischen Dimension inspiriert ist, drückt sich heute in einer neuen Vision von Umwelt und Erde aus. Wir müssen auf diese Harmonie mit der Umwelt, mit der Erde setzen. Es gibt viele Menschen, Unternehmen und Institutionen, die einen ökologischen Wandel vollziehen. Wir müssen diesen Weg weitergehen und noch mehr tun. Ihr tut dieses „mehr“ bereits und fordert alle auf, es auch gleichzutun. Es reicht nicht aus, „kosmetische“ Änderungen vorzunehmen, wir müssen das Entwicklungsmodell in Frage stellen. Die Situation ist so, dass wir nicht einfach auf den nächsten internationalen Gipfel warten können: Die Erde brennt heute, und wir müssen heute etwas ändern, und zwar auf allen Ebenen. Im vergangenen Jahr habt ihr euch mit der Pflanzenwirtschaft beschäftigt, einem innovativen Thema. Ihr habt gesehen, dass das Paradigma der Pflanzen einen anderen Ansatz für die Erde und die Umwelt beinhaltet. Pflanzen verstehen es, mit ihrer Umgebung zu kooperieren, und selbst wenn sie miteinander konkurrieren, wirken sie zum Wohle des Ökosystems zusammen. Lernen wir von der Sanftmut der Pflanzen: Ihre Bescheidenheit und ihr Schweigen können uns einen anderen Stil aufzeigen, den wir dringend brauchen. Denn wenn wir von ökologischem Wandel sprechen, aber beim Wirtschaftsparadigma des 20. Jahrhunderts stehenbleiben, das die natürlichen Ressourcen und die Erde ausgebeutet hat, werden die von uns ergriffenen Maßnahmen immer unzureichend oder an der Wurzel krank sein. Die Bibel ist voller Bäume und Pflanzen, vom Baum des Lebens bis zum Senfkorn. Und Franz von Assisi hilft uns mit seiner kosmischen Geschwisterlichkeit mit allen Lebewesen. Wir Menschen sind in den letzten zwei Jahrhunderten auf Kosten der Erde gewachsen. Und die Erde hat den Preis dafür gezahlt. Wir haben sie oft geplündert, um unseren eigenen Wohlstand zu steigern – nicht einmal den Wohlstand aller! Es ist an der Zeit, einen neuen Mut zur Abkehr von fossilen Energieträgern zu fassen und die Entwicklung von Energiequellen zu beschleunigen, die keine oder positive Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Und dann müssen wir (der Papst wird von Applaus unterbrochen) .... ich habe jetzt keine Pause gemacht, weil ich auf einen Applaus gewartet habe, sondern weil ich auch mal Atem schöpfen muss.... Wir müssen auch den – wenngleich unbequemen – universellen ethischen Grundsatz akzeptieren, dass Schäden repariert werden müssen: Wenn wir auch mit dem Missbrauch des Planeten und der Atmosphäre aufgewachsen sind, so müssen wir doch heute lernen, Opfer für einen Lebensstil zu bringen, der noch immer nicht nachhaltig ist. Sonst werden unsere Kinder und Kindeskinder den Preis dafür bezahlen müssen – einen Preis, der viel zu hoch und zu ungerecht sein wird! Ein renommierter Wissenschaftler hat mir vor sechs Monaten einmal gesagt: Gestern ist meine Enkeltochter auf die Welt gekommen. Und wenn wir so weitermachen, dann wird die Arme in 30 Jahren auf einer Erde leben, die nicht mehr bewohnbar ist. Ein schneller und entschlossener Wandel ist notwendig. Und das meine ich ernst: Ich zähle auf euch! Lasst uns nicht allein und geht mit gutem Beispiel voran! Und ich sage euch noch etwas: Um diesen Weg zu gehen, braucht es Mut - und manchmal auch einen Funken Heldenhaftigkeit. Ich will euch ein Beispiel geben. Ein junger Mann, 25 Jahre alt, ein frischgebackener Ingenieur, hat lange einen Job gesucht und ihn dann in einer Fabrik endlich gefunden. Er wusste nicht genau, was da produziert wird. Und als er herausgefunden hat, dass es Waffen waren, hat er gekündigt, obwohl er arbeitslos war. Das sind die Helden von heute.

Nachhaltigkeit ist also ein mehrdimensionales Wort. Neben der Umweltdimension gibt es auch die soziale, relationale und spirituelle Dimension. Der soziale Aspekt wird allmählich erkannt: Wir begreifen, dass der Schrei der Armen und der Schrei der Erde ein und derselbe Schrei ist (vgl. Enz. Laudato si', 49). Wenn wir uns für eine ökologische Umgestaltung einsetzen, müssen wir auch die Auswirkungen bestimmter umweltpolitischer Entscheidungen auf die Armut im Auge behalten. Nicht alle Umweltlösungen haben die gleichen Auswirkungen auf die Armen, und daher sollten solche bevorzugt werden, die Elend und Ungleichheit verringern. Während wir versuchen, den Planeten zu retten, dürfen wir die Menschen nicht vernachlässigen, die leiden. Kohlendioxid ist nicht die einzige Verschmutzung, die tötet – auch die Ungleichheit fügt unserem Planeten eine tödliche Wunde zu! Wir dürfen nicht zulassen, dass die neuen Umweltkatastrophen die alten und allgegenwärtigen Katastrophen der sozialen Ungerechtigkeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden lassen. Und dann ist da noch die politische Ungerechtigkeit: denken wir nur an das arme gemarterte Volk der Rohingya, das von einem Land zum anderen zieht, weil sie nicht in seiner Heimat wohnen darf: das ist eine politische Ungerechtigkeit!

Es gibt auch eine mangelnde Nachhaltigkeit in unseren Beziehungen: In vielen Ländern verarmen die menschlichen Beziehungen. Vor allem im Westen werden die Gemeinschaften immer zerbrechlicher und fragmentierter. Die Familie durchlebt in einigen Regionen der Welt eine schwere Krise – und mit ihr die Akzeptanz und der Schutz des Lebens. Der Konsumismus unserer Zeit versucht, die Leere der menschlichen Beziehungen mit immer raffinierteren Waren zu füllen – mit der Einsamkeit kann man heute hervorragend Geschäfte machen! –, aber so wird eine Hungersnot des Glücks erzeugt. Und das ist eine hässliche Sache. Denkt nur an den demographischen Winter, wie das alles miteinander in Zusammenhang steht. Die Einwohnerzahlen der Länder nehmen ab, weil es kaum noch Kinder gibt. Es ist einfacher, einen Hund oder eine Katze zu haben. Es müssen wieder Kinder geboren werden! Und auf dieser Linie des demographischen Winters haben wir auch die Versklavung der Frau: Frauen, die nicht mehr Mütter werden können, weil sie - kaum sind sie schwanger- sofort entlassen werden. Schwangeren Frauen wird nicht immer erlaubt, zu arbeiten. 

Und dann haben wir noch die geistige Nicht-Nachhaltigkeit unseres Kapitalismus. Der Mensch, der nach dem Bild Gottes geschaffen wurde, ist nicht nur auf der Suche nach Gütern, sondern auch auf der Suche nach Sinn. Wir sind alle Sinn-Sucher. Deshalb ist das erste Kapital jeder Gesellschaft das geistige Kapital, weil es uns den Grund dafür gibt, jeden Tag aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, und weil es die Lebensfreude erzeugt, die auch für die Wirtschaft notwendig ist. Und diese wesentliche Form von Kapital, das über Jahrhunderte von Religionen, Weisheitstraditionen und Volksfrömmigkeit angesammelt wurde, wird von unserer Welt im Eiltempo verbraucht. Vor allem junge Menschen leiden unter dieser Sinnlosigkeit: Sie sind oft mit dem Schmerz und den Ungewissheiten des Lebens konfrontiert und haben keine geistigen Ressourcen mehr, um Leid, Frustration, Enttäuschung und Trauer zu verarbeiten. Man muss nur an die vielen Selbstmorde unter jungen Leuten denken; Zahlen, die gestiegen sind, und die nicht alle veröffentlicht werden: die genauen Zahlen werden verheimlicht. Die Zerbrechlichkeit vieler junger Menschen ist auf das Fehlen dieses wertvollen geistigen Kapitals zurückzuführen, das ein unsichtbares, aber realeres Kapital ist als das finanzielle oder technologische Kapital. Fragt euch also - habe ich ein geistiges Kapital? Es ist daher dringend notwendig, dieses wichtige geistige Kapital wieder aufzubauen. Die Technologie kann viel tun: Sie lehrt uns das „Was“ und das „Wie“, aber sie sagt uns nicht „warum“, und so werden unsere Handlungen steril und füllen das Leben nicht aus – nicht einmal das wirtschaftliche.

In der Stadt des heiligen Franziskus kann ich nicht anders, als über die Armut nachzudenken. Eine von Franz von Assisi inspirierte Wirtschaft zu entwickeln bedeutet, sich zu verpflichten, die Armen in den Mittelpunkt zu stellen; von ihnen ausgehend auf die Wirtschaft, auf die Welt zu blicken. Ohne Wertschätzung, Fürsorge und Liebe für die Armen – für jeden Armen, für jeden zerbrechlichen und verletzlichen Menschen, vom ungeborenen Kind im Mutterleib über den Kranken und Behinderten bis hin zum alten Menschen in Not – gibt es keine „Wirtschaft im Sinne von Franziskus“. Ohne all das gibt es sie nicht. Ja, ich würde sogar noch weiter gehen: Eine Wirtschaft im Sinne des Franziskus darf sich nicht darauf beschränken, für oder mit den Armen zu arbeiten. Solange unser System Menschen „produziert“, die wie Wegwerfmaterial behandelt werden und wir nach diesem System arbeiten, sind wir mitschuldig an einer Wirtschaft, die tötet. Wir sollten uns also fragen: Tun wir genug, um diese Wirtschaft zu verändern, oder begnügen wir uns damit, eine Wand einfach nur in einer anderen Farbe zu streichen, ohne die Struktur des Hauses zu verändern? Vielleicht liegt die Antwort nicht darin, was wir tun können, sondern darin, wie wir neue Wege eröffnen können, damit die Armen selbst zu Protagonisten des Wandels werden. Es gibt es gute Beispiele dafür in Indien, auf den Philippinen.

Franz von Assisi liebte nicht nur die Armen, er liebte auch die Armut, diese sehr frugale Lebensweise. Er ging nicht nur zu den Aussätzigen, um ihnen zu helfen, sondern weil er arm werden wollte wie sie. In der Nachfolge Jesu Christi hat er sich aller Dinge „entkleidet“, um mit den Armen arm zu sein. Nicht umsonst ist die erste Marktwirtschaft im Europa des 13. Jahrhunderts im täglichen Kontakt mit den Franziskanermönchen entstanden, die mit den ersten Kaufleuten befreundet waren. Diese Wirtschaft hat zwar Reichtum geschaffen, aber sie hat die Armut nicht verachtet. Reichtum schaffen, aber die Armut nicht verachten. Unser Kapitalismus dagegen will den Armen zwar helfen, schätzt sie aber nicht, weil er die paradoxe Seligpreisung „Selig die Armen“ (vgl. Lk 6,20) nicht versteht. Wir müssen die Armut nicht lieben. Im Gegenteil: wir müssen sie bekämpfen, indem wir vor allem Arbeit schaffen, würdige Arbeit. Aber das Evangelium sagt uns, dass ohne Wertschätzung der Armen kein Elend bekämpft wird. Und genau hier müssen wir ansetzen, auch ihr als Unternehmer und Ökonomen: indem wir diese Paradoxien des Evangeliums des Franz von Assisi leben. Wenn ich mit den Menschen rede oder Beichte höre, frage ich immer: Gibst du den Armen Almosen? - Ja, ja. - Und wenn du Almosen gibst, schaust du ihnen dann in die Augen? - Na ja, eher nicht. - Und wenn du einem Armen Almosen gibst, wirfst du ihm die Münze einfach hin oder berührst du seine Hand? Nicht in die Augen schauen und nicht berühren: so entfernt man sich vom Geist der Armut, indem man sich von der wahren Realität der Armen, der Menschlichkeit entfernt, die jede menschliche Beziehung kennzeichnen muss. Jetzt wird der ein oder andere fragen: Papst Franziskus, wie lange dauert das denn noch? Wann bist du endlich fertig? Jetzt gleich.

Im Lichte dieser Überlegungen möchte ich euch noch drei Ratschläge mit auf den Weg geben.

Der erste: seht die Welt mit den Augen der Armen. Die franziskanische Bewegung war in der Lage, die ersten Wirtschaftstheorien und sogar die ersten Solidaritätsbanken für Bedürftige (die "Monti di Pietà") im Mittelalter zu erfinden, weil sie die Welt mit den Augen der Ärmsten der Armen betrachtet hat. Auch ihr werdet die Wirtschaft verbessern, wenn ihr die Dinge aus dem Blickwinkel der Opfer und der „Ausrangierten“ betrachtet. Aber um die Augen der Armen und der Opfer zu haben, muss man sie kennen, ihr Freund sein. Und glaubt mir: wenn ihr euch mit den Armen anfreundet, wenn ihr an ihrem Leben teilhabt, dann habt ihr auch Anteil am Reich Gottes, denn Jesus hat gesagt, dass ihnen das Himmelreich gehört und sie daher selig sind (vgl. Lk 6,20). Und ich wiederhole: eure täglichen Entscheidungen dürfen keine Menschen „produzieren“, die wie „Wegwerfmaterial“ behandelt werden.

Zweitens: ihr seid vor allem Studenten, Wissenschaftler und Unternehmer, aber vergesst die Arbeit nicht, vergesst die Arbeiter nicht! Die Arbeit mit den Händen. Die Arbeit ist schon heute die große Herausforderung unserer Zeit und sie wird noch mehr die Herausforderung von morgen sein. Ohne würdige, gerecht bezahlte Arbeit werden junge Menschen keine wahren Erwachsenen, und die Ungleichheiten nehmen zu. Manchmal kann man ohne Arbeit überleben, aber man kann nicht gut leben. Vergesst daher bei der Schaffung von Waren und Dienstleistungen nicht, Arbeit zu schaffen, gute Arbeit, Arbeit für alle.

Der dritte Rat lautet: Inkarnation. In entscheidenden Momenten der Geschichte waren jene, die gute Spuren hinterlassen haben, dazu fähig, weil sie Ideale, Wünsche und Werte in konkrete Werke umgesetzt haben. Fleischwerdung. Diese Männer und Frauen haben nicht nur geschrieben und Kongresse veranstaltet, sondern auch Schulen und Universitäten, Banken, Gewerkschaften, Genossenschaften und Institutionen ins Leben gerufen. Ihr werdet die Wirtschaftswelt verändern, wenn ihr nicht nur Herz und Verstand, sondern auch eure Hände benutzt. Die drei Sprachen:  Kopf, die Sprache des Denkens, aber nicht nur, vereint mit der Sprache der Gefühle, des Herzens. Und dann noch die Sprache der Hände: das Zusammenspiel der drei Sprachen.

Ideen sind notwendig, sie üben eine große Faszination aus, vor allem, wenn wir jung sind, aber sie können sich leicht als Fallen entpuppen, wenn sie nicht „Fleisch“ werden, also etwas Konkretes, eine tägliche Verpflichtung. Ideen allein reichen nicht, sie müssen „Fleisch" werden. Die Kirche hat stets die gnostische Versuchung zurückgewiesen, die meint, die Welt nur mit einem anderen Wissen, aber ohne die Anstrengung des Fleisches verändern zu können. Werke sind weniger „strahlend“ als große Ideen, denn sie sind konkret, begrenzt, mit Licht und Schatten – aber sie befruchten die Erde Tag für Tag: Liebe junge Leute, die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 233). Die Wirklichkeit ist immer wichtiger als die Idee, vergesst das nie!

Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für euren Einsatz. Danke. Geht voran, mit der Inspiration und der Fürsprache des Franz von Assisi. Und wenn es euch recht ist, lasst mich mit einem Gebet schließen. Ich spreche es und ihr folgt mit dem Herzen. 

Vater, wir bitten dich um Vergebung dafür, dass wir der Erde Schaden zugefügt haben, dass wir die indigenen Kulturen nicht respektiert, die Ärmsten nicht geschätzt und geliebt haben, dass wir Reichtum ohne Gemeinschaft geschaffen haben. Lebendiger Gott, der du durch deinen Geist die Herzen, die Hände und den Geist dieser jungen Menschen inspiriert und sie auf den Weg in ein gelobtes Land geführt hast: schaue wohlwollend auf ihre Großzügigkeit, ihre Liebe und ihre Bereitschaft, ihr Leben einem großen Ideal zu widmen. Segne sie in ihren Bemühungen, ihren Studien, ihren Träumen; begleite sie in ihren Schwierigkeiten und Leiden und hilf ihnen, diese in Tugend und Weisheit zu verwandeln. Unterstütze sie in ihrem Verlangen nach dem Guten und dem Leben, gib ihnen Halt, wenn ihnen schlechte Vorbilder Enttäuschung bereiten, gib, dass sie sich nicht entmutigen lassen und ihren Weg fortsetzen. Du, dessen eingeborener Sohn Zimmermann wurde, schenk ihnen die Freude, die Welt mit Liebe, Verstand und Händen zu verwandeln. Amen. Und vielen Dank. 

(vaticannews- übersetzung: silvia kritzenberger)
 

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24. September 2022, 12:00