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Demo gegen Rechtsextremisten in Erfurt, am 20. Januar Demo gegen Rechtsextremisten in Erfurt, am 20. Januar  (AFP or licensors)

D: Bistum Erfurt für „weltoffenes Thüringen“

Mit deutlich mehr als 30 Prozent der Stimmen würde die AfD aktuell stärkste Kraft in Thüringen werden, sagen die Umfragen. Und das, obwohl der Verfassungsschutz den AfD-Landesverband als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat. Mit der Kampagne „Weltoffenes Thüringen“ hat sich ein breites Bündnis gegen rechts formiert. Das Bistum Erfurt macht auch mit – mehr dazu im Interview.

AfD-Frontmann Björn Höcke darf inzwischen auch offiziell als „Faschist“ bezeichnet werden. Vor den Landtagswahlen im Herbst regt sich jetzt allerdings Widerstand im Land: Mit der Kampagne „Weltoffenes Thüringen“ hat sich ein breites Bündnis gegen rechts formiert (gemeint ist, wie meistens, „rechtsextrem“). Das Bistum Erfurt macht auch mit – neben großen und kleinen Unternehmen, NGOs, Universitätseinrichtungen und vielen anderen Gruppen. Claudio Kullmann, der Leiter des Katholischen Büros in Erfurt, erklärte in einem Interview mit Tobias Fricke vom Kölner Domradio, warum sich das Bistum, das in vier Monaten auch den nächsten Katholikentag ausrichten wird, an der Initiative beteiligt.

Interview

Claudio Kullmann, Leiter des Katholischen Büros in Erfurt: „Das Bündnis ist das größte und breiteste zivilgesellschaftliche Bündnis, das es in Thüringen in den letzten Jahrzehnten gegeben hat: Da sind aktuell, wenn ich es richtig weiß, über 5.000 Institutionen, Organisationen, Vereine, Privatpersonen dabei, und das aus allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen, aus Wirtschaft, Sport, Kultur. Diese Vielfalt und die Breite das ist wirklich das Besondere an diesem Bündnis. Hier haben sich sehr, sehr unterschiedliche Akteure zusammengefunden, die sonst vielleicht gar nicht so viel miteinander zu tun haben, die miteinander vielleicht sonst gar nicht über politische Fragen ins Gespräch kommen. Das ist etwas sehr Besonderes. Sie alle eint die Sorge um die Demokratie und das Eintreten für ein vielfältiges und weltoffenes Thüringen.“

Und die katholische Kirche hat nicht lange gezögert, sich anzuschließen?

Kullmann: „Richtig. Wir sind an den Debatten hier in Thüringen natürlich immer interessiert. Wir sind zwar eine vergleichsweise kleine Kraft aber wir wollen uns in die öffentlichen Debatten immer auch da einmischen, wo es geht, wollen uns für Thüringen einsetzen und das Leben hier mitgestalten. Es ist uns wirklich wichtig, uns auch für unsere christlichen Werte einzusetzen. Das Christentum verkörpert ja den unhintergehbaren Schutz der Menschenwürde; der christliche Glaube ist eine Botschaft der Freiheit. Deshalb passt auch dieses Bündnis sehr gut zu uns!“

„Der christliche Glaube ist eine Botschaft der Freiheit, deshalb passt dieses Bündnis sehr gut zu uns“

Ich glaube, die Sorge, die alle verbindet, ist klar – darüber brauchen wir schon gar nicht mehr zu sprechen. Aber wenn man jetzt auf die Landratswahl im Saale-Orla-Kreis schaut, dann sieht man zwar, dass die AfD verloren hat; aber trotzdem muss man sagen, fast die Hälfte der Wähler hat den AfD-Kandidaten gewählt. Ist man da jetzt eher froh oder trotzdem entsetzt?

Kullmann: „Ja gut, das Bündnis ist ja nicht unbedingt ein Bündnis gegen eine konkrete politische Partei – auch nicht gegen Menschen, die eine Wahlentscheidung treffen, die sie sicher erklären müssen. Es geht erst mal darum, dass man zeigt, wofür man eintritt. Dass man für Vielfalt eintritt, für Weltoffenheit, dass das uns sehr gut tut in Thüringen. Für mich das Wichtigste: dass wir uns auch neu daran erinnern, dass vor 35 Jahren hier Menschen mit Kerzen in der Hand sich Freiheit und Demokratie überhaupt erst mal erstreiten mussten und erkämpft haben. Und dass wir heute in der Verantwortung stehen, für unsere eigenen Kinder diese Errungenschaften auch zu bewahren. Das ist etwas, was uns sehr wichtig ist. Und wenn Sie Menschen ansprechen, die vielleicht auch einen Denkzettel verpassen wollen mit ihrer Wahlentscheidung… Ich habe ja die Hoffnung, dass es uns gelingt, auch diese Menschen zum Nachdenken zu bringen, ob das der richtige Weg ist, um mit den Problemen unserer Zeit umzugehen. Also, die Kampagne läuft!“

„Hier mussten sich vor 35 Jahren Menschen mit Kerzen in der Hand Freiheit und Demokratie überhaupt erst mal erstreiten“

Was ist da bisher schon an konkreten Dingen geplant?

Kullmann: „Es gibt verschiedene Vernetzungsereignisse, wo Menschen miteinander ins Gespräch kommen über die Grundlagen, über die Werte unserer Gesellschaft, die sonst vielleicht sich nicht vernetzen würden und darüber sprechen würden. Es sind auch noch eine Reihe weiterer Veranstaltungen geplant. Viele der Partner wollen in ihren Bezügen diese Themen, die das Bündnis stärker in den Vordergrund rückt, thematisieren und wollen die Menschen anregen, darüber nachzudenken, sich bewusst zu machen, um was es jetzt geht – gerade in so einem Superwahljahr. Das ist wichtig.“

Sie selbst sitzen ja an der Schnittstelle zwischen Kirche und Politik. Wo sehen Sie denn die Rolle der katholischen Kirche innerhalb des Bündnisses?

Kullmann: „Wir bringen uns mit unseren Erfahrungen ein: Wir Katholiken sind ja eine international gut aufgestellte Religionsgemeinschaft. Auch hier in Thüringen leben Katholikinnen und Katholiken verschiedenster Muttersprache. Wir sind also diesen internationalen, vielfältigen Dialog durchaus gewöhnt. Ich denke, wir müssen schon auch mit kleiner Kraft warnen und mahnen, wenn wir den Eindruck haben, dass Menschenwürde und Freiheit in Gefahr sind. Und wir wollen natürlich auch gerne zu Debatten anregen, den Raum dafür bieten, sich zu überlegen: Wo macht man sein Kreuz, was kann da Richtschnur sein, wo kann man sich vielleicht auch mal mit anderen Argumenten befassen und auch mal wieder einüben zu lernen, dass auch ein Gegenüber recht haben könnte und nicht ich quasi Maßstab jeder Debatte und auch jeder Überzeugung sein kann?

Ich sage mal so: Diejenigen, die bei der Kampagne mitmachen, die wählen ohnehin nicht AfD. Jetzt gilt es aber, die Protestwähler anzusprechen, die eben rechtsaußen wählen, weil sie mit dem jetzigen Regierungssystem, mit dem, was da läuft, nicht einverstanden sind. Wie kann ich da rangehen? Wie kann mir das gelingen, sie davon zu überzeugen, dass es nicht gut ist, was sie tun? Ja, das ist natürlich eine sehr schwierige Sache und auch eine schwierige Frage… Ich finde, man kann mit so einem Bündnis eher die Grundlage dafür schaffen, noch mal sensibel zu machen für die wichtigsten Fragen und sich noch mal klar zu machen, dass wir es in Vielfalt, in Rechtsstaatlichkeit, auch mit unserem demokratischen System in Deutschland sehr, sehr weit gebracht haben. Und dass es auf dieser Grundlage wirklich möglich ist, die Probleme, die wir haben, auch die Sorgen, die Menschen umtreiben, zu adressieren. Dass das damit geht, und dass Denkzettel keine gute Wahl sind.“

(domradio – sk)
 

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30. Januar 2024, 10:10