Renovabis-Chef zu Ukraine-Krieg: „Frieden um jeden Preis wäre fatal“
Thomas Schwartz (Leiter Renovabis, Osteuropa-Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland): „Zunächst haben wir versucht, viel humanitäre Hilfe zu leisten, mussten das ja auch tun, weil das gerade am dringendsten war. Mittlerweile merken wir aber, dass diese Menschen, die von diesem Krieg wirklich in millionenfacher Zahl traumatisiert sind, neue Formen der Hilfeleistung brauchen. Da geht es jetzt nicht mehr darum, dass man Schutzräume schafft oder mobile Küchen aufbaut, sondern wir sind jetzt dabei, Rehabilitationsmaßnahmen mit zu finanzieren. Und wir helfen, dass die Menschen, die von sehr jugendlichem Alter an - ebenso wie die Kriegsteilnehmer als Soldatinnen und Soldaten und die Familien - wirklich schwerst traumatisiert sind, lernen, mit diesem furchtbaren und millionenfachen Leid umgehen zu können. Auch wenn der Krieg natürlich weiter fortgesetzt wird durch die Aggression der Russischen Föderation.“
Radio Vatikan: Es gibt sehr viele Todesopfer zu beklagen, darunter eine steigende Anzahl ziviler Todesopfer in den letzten Wochen, wie das auch Quellen der Vereinten Nationen bestätigen. Wie gehen Sie bei der Hilfe für die Bevölkerung auf diese Problematik ein?
Thomas Schwartz: „Das ist eine ganz schwierige Angelegenheit, weil tatsächlich die Soldatinnen und Soldaten natürlich durch eigene Instanzen oder Institutionen, mit denen sie in Kontakt stehen und die sich um sie kümmern, auch direkte Ansprechpartner haben. Die zivilen Opfer sind aber oft alleingelassen. Da sind wir froh, dass wir wirklich ein großes kirchliches Netzwerk haben in den Pfarreien der griechisch-katholischen, aber auch der römisch-katholischen Kirchen und auch der orthodoxen Pfarreien, die nicht mit Moskau uniert oder verbunden sind. Sie alle teilen uns mit, wo Not am Mann ist. Dort versuchen wir dann, wie es uns auch wirklich möglich ist, zu helfen.
Radio Vatikan: Welches sind denn die wichtigsten Projekte, die Sie in diesen zwei Jahren Hilfe auf die Beine gestellt haben?
Thomas Schwartz: „Wir haben einerseits die Krankenhäuser verstärkt, die sich um die Opfer dieses Krieges im Militärischen, wie aber auch ganz besonders im zivilen Bereich kümmern, wir haben versucht, zerstörte Schulen wieder aufzubauen, um Kindern eine Zukunft zu geben, wir haben Tausende von Studien Stipendien für Studenten an der katholischen Universität Lviv gegeben, damit auch diese jungen Menschen an ihrer Zukunft trotz des Krieges weiterarbeiten können, und wir sind jetzt dabei, Rehabilitationsmaßnahmen zu unterstützen, um dabei zu helfen, die millionenfachen Traumatisierungen, die die Menschen in diesem Land natürlich haben, überwinden zu können, Verwundungen heilen zu können.“
Radio Vatikan: Sie haben das kirchliche Netzwerk in der Ukraine angesprochen, aber auch in Deutschland sind mit Renovabis und anderen Aktionen die Spender ja sehr aktiv. Wie erleben Sie die Hilfsbereitschaft in Deutschland zwei Jahre nach Kriegsausbruch?
Thomas Schwartz: „Dadurch, dass in den letzten Monaten ja auch wiederum andere Konfliktherde ins Bewusstsein gekommen sind, namentlich eben der Nahe Osten und das Heilige Land, der Gazastreifen, müssen wir immer wieder um die Aufmerksamkeit kämpfen. Auch um den Gewöhnungsfaktor, der immer mit einem solchen langwierigen Krieg und Konflikt verbunden ist, zu überwinden und das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass die Menschen eben noch mehr und noch andauernder Hilfe brauchen. Wir wollen verhindern, dass dieser Krieg zu einem vergessenen und eingefrorenen Krieg wird, der sozusagen geführt wird, ohne dass es uns noch bewusst ist. Wir müssen also da immer mehr und immer weiter Aufmerksamkeit zu generieren versuchen. Das gelingt uns noch, eben weil die Ukraine doch ein Land ist, das uns eigentlich nahe ist. Aber Sie haben recht, wir müssen da noch mehr tun. Und die deutsche Bevölkerung, wie viele andere, ist tatsächlich durch die Vielzahl der furchtbaren Nöte, die es in dieser Welt gibt, natürlich auch geneigt, mitunter das eine gegen das andere auszuspielen oder sich mehr um das Aktuelle zu kümmern als um das, was tatsächlich auch wesentlich ist. Und das ist im Blick auf die Freiheit Europas natürlich dieser furchtbare Krieg.“
Radio Vatikan: Selbst wenn der Krieg morgen aufhören würde, sind die Wiederaufbaukosten bereits jetzt astronomisch und eigentlich ist gar nicht abzusehen, wo das alles noch hinführt. Trotzdem sagt Renovabis: Nein, ein Frieden um jeden Preis, das darf nicht sein…
Thomas Schwartz: „Ein Frieden um jeden Preis hätte in der Tat fatale Folgen, weil er im Grunde andere Machthaber dazu einladen könnte, ihre machtpolitischen Spielchen in dieser Welt zu treiben und dann einen Frieden anzubieten, der im Grunde ein Diktat-Frieden wäre und die internationale Rechtsordnung aufheben würde. Und das Vertrauen darin, dass man sich tatsächlich an internationale Verträge halten wird, weil sie mit der Kraft auch von Sanktionen, auch im Waffenbereich und mit militärischen Hilfsmitteln dann Eingriff eingefordert werden können, dass man das verliert. Also ich glaube, Frieden ohne Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit für die Opfer, für die Angegriffenen, wäre ein Zeichen der Schwäche für die ganze Welt.“
Radio Vatikan: Welchen Appell setzt Renovabis nun zu diesem traurigen 2. Jahrestag ab?
Thomas Schwartz: „Vergesst die Menschen in der Ukraine nicht. Gewöhnt euch nicht an diesen Krieg, der so viel Leid hervorruft. Gewöhnt euch nicht an das Leid vor unserer Haustür, sondern seid euch dessen bewusst, dass jede Hilfe, die ihr leistet, um den Menschen in der Ukraine Unterstützung zu gewähren, auch ein Stein für das Gebäude der Sicherheit und der Demokratie in ganz Europa ist.“
Die Fragen stellte Christine Seuss
(vatican news)
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