Ukraine: Bischof Meier auf Solidaritäts-Besuch – Interview
Im Interview mit Radio Vatikan sagte er, die Welle der Solidarität mit dem von Russland überfallenen Land dürfe nicht abebben. Er habe bei vielen Gesprächspartnern eine Stimmung wahrgenommen, „die ins Triste geht“. „Das liegt daran, dass keiner richtig weiß, wie das Ganze mit dem Krieg wohl enden wird, und das wirkt sich auch auf die Bevölkerung aus.“
Interview
Herr Bischof, was sind Ihre Eindrücke von dieser Reise in die Ukraine?
„Es ist ja nicht meine erste Reise in die Ukraine; ich war im Juni 2022 schon mal da, auch in einer dramatischen Situation: Wir haben Butscha und Irpin besucht und haben dort Straßensperren gesehen, Panzersperren, viele Sandsäcke. All diese Dinge sind in dieser dramatischen Form so nicht mehr anzutreffen; es ist vieles aufgeräumt, und gerade in Kyiv oder Lemberg hat man den Eindruck, es herrsche Normalzustand.
Gleichzeitig aber hat sich in der Atmosphäre bei den Menschen etwas verändert. Denn wir müssen ja bedenken: Mit 2022 hat der Krieg nicht begonnen. Er hat sich radikal verschärft mit dem Angriffskrieg, doch die Offensive Russlands begann ja eigentlich schon 2014. Das Ganze läuft zehn Jahre! Und jetzt haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Menschen zwar einerseits ruhig sind – wir haben keine Panik-Situationen erlebt, auch wenn es schon mal einen Alarm gegeben hat –, doch gleichzeitig sind die Menschen sehr nachdenklich. Vor zwei Jahren waren manche fast enthusiastisch nach dem Motto: Wir werden den Krieg gewinnen. Solche Töne haben wir nicht mehr gehört; stattdessen ist eine große Nachdenklichkeit da. Nicht Melancholie, aber doch eine Stimmung, die ins Triste geht. Das liegt daran, dass keiner richtig weiß, wie das Ganze mit dem Krieg wohl enden wird, und das wirkt sich auch auf die Bevölkerung aus.“
Was sagen denn Ihre kirchlichen Gesprächspartner, unter anderem Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk? Man hört immer, die ukrainischen Katholiken beider Riten seien nicht so begeistert von den ständigen Friedensappellen des Papstes…
„Ich denke, dass sowohl die griechisch-katholische als auch die lateinische Kirche in jedem Falle den Frieden will – aber natürlich nicht einen Frieden zu verbilligten Preisen! Das ist, glaube ich, das Entscheidende: Kein Blankoscheck, geschweige denn ein Appell zu einer Kapitulation, sondern es geht letztendlich darum, dass das Recht auf Selbstverteidigung, auch die Notlage der Ukrainer gesehen werden muss. Sie haben ein Recht, sich selbst zu verteidigen! Das haben wir im Übrigen als Deutsche Bischofskonferenz auch in unserem jüngsten Text zum Frieden, der ja in Augsburg verabschiedet und präsentiert worden ist, deutlich gemacht.
Gleichzeitig aber sagen sie: Auch wenn der Krieg noch weiter herrscht, brauchen wir doch Kanäle des Dialogs, und da sind die kirchlichen Kanäle, denke ich, nicht unterzubewerten. Wir haben ein echtes Netzgeflecht internationaler kirchlicher Dialogformen; auch meine Reise jetzt war eine Solidaritätsreise, aber sicherlich auch eine Dialogreise. Sie diente nicht nur der Information, sondern die Menschen dort – auch die kirchenleitenden Persönlichkeiten – gehen davon aus: Wir, auch als Kirche in Deutschland, sind ein fester Knotenpunkt in diesem globalen Netz der Weltkirche.
Und gleichzeitig dürfen wir die Nuntiatur nicht unterschätzen – es gibt ja auch einen Nuntius in Kyiv, der ist im Übrigen 2022 nicht von hier weggegangen, im Gegensatz zu anderen Botschaftern, sondern hat ausgehalten. Ich habe ihn auch besuchen können. Und ich denke, da läuft sehr, sehr viel hinter den Kulissen, halt nicht öffentlich vor laufenden Kameras. Aber wir sollten diese diplomatischen Dinge nicht unterschätzen…“
Fühlen Ihre Gesprächspartner, vor allem die kirchlichen, genug Solidarität aus dem Westen, von den Kirchen, aber auch von den Gesellschaften? Oder haben sie das Gefühl, dass es da hapert?
„Ich denke, da ist auch eine Entwicklung festzustellen. Die große Solidaritätswelle von vor zwei Jahren ist so nicht mehr gegeben; aber gleichzeitig wurde unser Besuch mit ganz, ganz großem Wohlwollen, mit Herzlichkeit… ja, nicht nur mit offenen Armen, sondern mit offenen Herzen wahrgenommen. Ich selber hatte gestern die Gelegenheit, im Erzbistum Lemberg eine kleine Pfarrkirche zu konzentrieren, also einzuweihen – da war das ganze Dorf auf den Beinen, und die Menschen haben das ganz klar gewürdigt: Dass ihr jetzt gekommen seid, nicht mit dicken Schecks, aber dass ihr da seid und uns zur Seite steht, dass ihr die Stimme für uns erhebt… Das ist, denke ich, Weltkirche!
Auch das Gebet sollten wir nicht unterschätzen. Der Friede ist ja nicht nur menschliche Strategie und menschliches Mühen (das auch), sondern er ist auch ein Geschenk des Himmels, ja, vor allem eine Gabe des Auferstandenen. Also, wofür ich mich jetzt, wenn ich wieder daheim bin, stark machen möchte, ist, dass diese Welle der Solidarität bitteschön nicht abebbt. Wir müssen den Menschen dort die Hoffnung geben, dass sie auf der einen Seite Kraft haben, auch Russland, solange es irgendwie möglich ist, etwas entgegenzusetzen. Und gleichzeitig dürfen aber auch die Waffen nicht das letzte Wort haben. Es darf nicht das Recht des Stärkeren zählen, wie wir es jetzt gerade erleben, sondern wir müssen dahin kommen, dass die Stärke des Rechts auch völkerrechtlich wieder zum Tragen kommt!“
Gibt es etwas, das Sie bei dieser Reise besonders berührt oder überrascht hat? Vielleicht auch Ihr Gebet vorher am Schrein der seliggesprochenen polnischen Familie Ulma, die Juden versteckt hat in der Nazizeit… Oder jetzt in der Ukraine...
„Es waren eigentlich drei Dinge. Das erste, das haben Sie jetzt schon genannt: die Familie Ulma. Das war für uns auch ein erster Höhepunkt. Der zuständige Erzbischof hat es sich nicht nehmen lassen, uns zu begrüßen und uns zu führen, und ich denke: Auch wenn da schon Jahrzehnte vergangen sind – das war eine Familie, die Zivilcourage bewiesen hat. Die sich hingestellt und Menschen versteckt hat, in diesem Falle Juden, die verfolgt worden sind. Das ist, glaube ich, ein ganz, ganz großes Zeugnis.
Das zweite war die Tatsache, dass wir den Eindruck gewinnen konnten, dass der Zusammenhalt der christlichen Kirchen einen gewissen Impuls bekommen hat durch den Krieg. Ich denke da zum Beispiel an das Miteinander der griechisch-katholischen und lateinischen Kirche. Bei der gestrigen Kirchenkonsekration waren ein griechisch-katholischer Weihbischof und bestimmt zehn griechisch-katholische Priester mit dabei, und auch sonst höre ich, dass dieser Krieg auch dazu geführt hat, dass die Menschen, auch die Christen, sich besser suchen und auch finden, auch ökumenisch. Etwas schwierig ist natürlich das ganze Thema mit der ukrainisch-orthodoxen Kirche und deren Verhältnis zum Moskauer Patriarchat, vor allem auch in der Person des Patriarchen Kyrill. Das ist aber ein eigenes Thema.
Und eines der tiefsten Erlebnisse hatte ich am vergangenen Sonntag. Wir haben dort einen Besuch gemacht bei einem großen Friedhof in Kyiv, und eine Abteilung des Friedhofes birgt Gräber von gefallenen Soldaten. Der zuständige griechisch-katholische Pfarrer hatte auch Verwandte eingeladen, und da kamen viele, vor allem Frauen, die um ihren Ehepartner, ihren Sohn, ihren Enkel getrauert haben, mit Blumen. Ich bin dann von Grab zu Grab gegangen; jedes Grab ziert ein großes Konterfei des gefallenen Soldaten und dazu die ukrainische Nationalflagge. Und wir sind eben von Grab zu Grab gegangen, haben dort gebetet. Ich habe jedes Grab und auch die Frauen gesegnet, und denen standen Tränen in den Augen. Aber auch für mich selber war dies ein sehr tiefgreifendes Erlebnis… und manches Problem, das wir vielleicht hier in unseren Breitengraden haben, wird dadurch sehr, sehr relativiert, wo es um Leben und Tod, vor allem auch den Tod sehr vieler junger Menschen, geht.“
Das Interview mit Bischof Meier führte Stefan v. Kempis.
(vatican news)
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